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"Das Burgtheater und die Wiener Identität“ - unter diesem Titel beschrieb Klaus Dermutz über einhundert Jahre Theatergeschichte in ihrer Kontinuität und in ihren Krisen.

Das Burgtheater hat im 20. Jahrhundert wie keine andere Institution die Wiener Identität geprägt. Klaus Dermutz widmete dem Burgtheater ein Buch (s. u.) und erläutert im Interview, warum.

H. C. Ehalt: Worin liegt die Bedeutung des Burgtheaters?

Klaus Dermutz: Seit seinen Anfängen hat das Burgtheater eine identitätsstiftende Aufgabe für Wien und Österreich übernommen und damit ein imaginäres Gewölbe über eine für viele Österreicherinnen und Österreicher nicht gerade reichhaltige Basis geschaffen. Das Burgtheater vermittelt weitgehend eine nachholende Haltung: Was sich in anderen Städten durchsetzt, wird mit zeitlicher Verzögerung an der Burg übernommen. Die Ensemblemitglieder haben mit ihrem viel beschworenen Burgtheaterstil viele Generationen in ihrer Weltanschauung, in ihrer Theaterauffassung und in ihren privaten Verhaltensregeln und Sitten geprägt. In keiner anderen Metropole der Welt ist der Konnex eines Theaters mit seiner Stadt so eng wie beim Burgtheater und Wien.

Ehalt: Was war aus Ihrer Sicht die größte Katastrophe des Burgtheaters in der Geschichte?

Dermutz: Dass ein Großteil des Ensembles mit den Nazis sympathisiert hat. Paula Wessely und ihr Mann Attila Hörbiger haben dafür geworben, bei der Volksabstimmung zum "Anschluss“ für das Hitler-Regime zu stimmen. Fußballer von Rapid, unter ihnen Ernst Happel, haben während des NS-Regimes wesentlich größeren Mut bewiesen. Am Burgtheater schlossen sich der Schauspieler Fritz Lehmann, das Orchestermitglied Friedrich Wildgans und Löschmeister Gubitzer einer Widerstandsgruppe um den Theologieprofessor Karl Roman Scholz an.

Ehalt: Was waren die wichtigsten Zäsuren und worin bestanden sie?

Dermutz: Das Burgtheater ist immer ein Ort von Debatten und bisweilen skurril anmutender Diskussionen gewesen. Der Wunsch nach überregionaler Bedeutung hat sich am Burgtheater nach dem Zusammenbruch der Monarchie immer stärker herauskristallisiert. Je weniger Einfluss Österreich in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht hatte, desto mehr wurde darauf Wert gelegt, das Burgtheater als Europas erstes Theater zu etablieren. Für die Erfüllung dieses Wunsches wurden die Leiter und das Ensemble mit Privilegien ausgestattet. Die zweite große Zäsur war die Gleichschaltung mit der NS-Ideologie, die am Burgtheater reibungslos vor sich ging. Die dritte große Zäsur war das Ende des Sozialismus. Das Burgtheater wurde durch die Umwälzungen von 1989 mit den Anforderungen der Erlebnisgesellschaft und den Spielweisen des postdramatischen Theaters konfrontiert.

Ehalt: Wie hat sich die Theaterkultur in den vergangenen 30 Jahren verändert? Und wie war das Burgtheater daran beteiligt?

Dermutz: Es gab nach dem Zusammenbruch des Sozialismus eine Hinwendung zu kleineren Formaten und einer postdramatischen Erzählweise, mit der sich ein so großes und traditionsreiches Haus, wie es das Burgtheater ist, schwertut. Vor allem das jüngere Publikum hat nach dem Verlust der politischen Utopien das Zutrauen verloren, Regenten wie Wallenstein oder Lear als tatsächliche Lenker der Geschichte zu sehen. Diese veränderte historische Sichtweise findet am Burgtheater noch keine tiefere Berücksichtigung in der Interpretation klassischer Stücke. Die Beteiligung des Burgtheaters an der veränderten europäischen Theaterkultur hält sich in Grenzen. Das Burgtheater ist selten ein Theaterinstitut gewesen, von dem neue ästhetische Entwicklungen ausgingen. Peter Zadek und Andrea Breth haben an der Burg bedeutende Inszenierungen erarbeitet, von Zadek seien sein "Kaufmann von Venedig“, "Iwanow“ und "Der Kirschgarten“, von Andrea Breth ihre "Emilia Galotti“, "Das Käthchen von Heilbronn“ und "Der jüngste Tag“ genannt.

Ehalt: Welche Dramatiker hatten es am Burgtheater schwer?

Dermutz: Henrik Ibsen und Bertolt Brecht. Das Burgtheater war in seiner langen Geschichte für Dramatiker kein Ort der Avantgarde. Für Ibsen und Brecht gab es lange Zeit keine Wertschätzung. Ihre Stücke wurden zunächst in Grund und Boden verdammt. Es dauerte viele Jahre, bis eine differenziertere Rezeption einsetzte. Die Schiller-Gemeinde kämpfte im Fin de siècle gegen die Ibsen-Anhänger. Die Logenschließer standen auf der Seite der Herrschaft und sahen es als ihre Aufgabe, die Besucher mit zweckdienlichen Informationen auf die Inszenierung vorzubereiten: "Bitte, Herr Baron, heute nicht ablegen. Es geht ein Ofenrohr durch die Bühne.“ Aus Gerhart Hauptmanns Fuhrmann Henschel wurde im inszenatorischen Zugriff ein Hofrat Henschel, der gleichsam auf Gummirädern fuhr. Bertolt Brecht war in Wien als Kommunist verschrien. 1966 wurde mit "Das Leben des Galilei“ an der Burg zum ersten Mal Brecht gespielt, das Stück wurde der Verflachung preisgegeben. Wurden kritische Stücke in den Spielplan des Burgtheaters aufgenommen, kam es durch eine abgefederte Regie zur Weichzeichnung der sozialen und seelischen Konflikte. Am Burgtheater besteht die Gefahr einer Veredelung, des Abschleifens der Kanten und Ecken, des Abrundens des Widerständigen und der Einverleibung der Außenseiter. Die Schauspieler/innen werden wie in keiner anderen Stadt gefeiert. Durch die Akklamation werden sie zu großen Leistungen angespornt, andererseits wird ihnen aber die Konzentration auf ihre Arbeit genommen. Für Thomas Bernhard werden die Künstler in Wien durch die Kunstmühle gedreht.

Ehalt: Worin sehen Sie die Unterschiede zu zwei anderen bedeutenden Theatern, zur Comédie-Française und zum Piccolo Teatro?

Dermutz: Die Comédie-Française hat sich fast ausschließlich der Pflege der französischen Sprache verschrieben. Das Piccolo Teatro unter Giorgio Strehler hat im Zuge der Politisierung der Gesellschaft nach 68 seine Kraft auf die Umgestaltung der Gesellschaft gelenkt und ein teatro populare mit den höchsten Ansprüchen verwirklicht. Das Burgtheater ist nach der Vertreibung Sigmund Freuds die Couch von Wien geworden, auf der sich wie in einem Wiederholungszwang ungestüme Leidenschaften ihre Bahn brechen. Es fehlt freilich ein deutender Analytiker, der die Konflikte dieser Nation, dieser Stadt auflösen könnte. So wird Karl Kraus’ Aphorismus auch im 21. Jahrhundert weiterhin seine Gültigkeit behalten: "In Österreich ist öfter schon alles drunter und drüber und schließlich doch ins Burgtheater gegangen.“

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