Ein König, der im Fallen steigt

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Die erste Schauspielpremiere der neuen Intendanz am Tiroler Landestheater, Shakespeares "König Lear", wurde ein Erfolg.

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Die erste Schauspielpremiere der neuen Intendanz am Tiroler Landestheater, Shakespeares "König Lear", wurde ein Erfolg.

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König Lear" aufzuführen, gehört bekanntlich zu den sperrigsten und zugleich spannendsten Aufgaben, die an eine Bühne gestellt werden können. Das Tiroler Landestheater ging an das Wagnis heran und kredenzt mit diesem Shakespeareschen Endzeitspiel Beckettscher Prägung Vollbluttheater, das sich sehen, hören und beklatschen lassen kann.

Zeitlos und geheimnisvoll wie das Universum, das eine mystische Kulissenscheibe (Bühne: Karl-Heinz Steck) zur stimmigen Inszenierung Klaus Rohrmosers anbietet, entwickelt sich die Tragik des mythischen Königs, der sein Land durch eine "Liebesprobe" an seine Töchter aufteilen will. Rohrmosers Regie verknappt das Stück auf drei Stunden Spieldauer, bleibt stets nah bei Shakespeare (Übersetzung: Michael Wachsmann) und fern jeder süßlichen Romantik.

Wie der "begnadete Landlümmel aus dem Nest Stratford" um 1604 es tat, erzählt er ganz einfach die traurig-schaurige Mär vom alten König, der Macht gegen falschzüngige Kindesliebe eintauscht und dabei sich selbst, sein Haus, sein Reich zugrunderichtet. Auf die immer wieder diskutierten Interpretationsprobleme und schwer auszulotenden seelischen Brüche des Stückes mit den vielen Handlungssträngen wird kaum eingegangen. Dieser "Lear" verpsychologisiert das Leben nicht - mit dem Dichter sagt er: So ist es - und läßt den allzeit getreuen Narren (ausgezeichnet: Axel Neumann) doppelsinnig darüber spotten.

Der aggressiv angelegte König Dietmar Schönherrs kommt anfangs etwas verhalten - ist trotz des herrschsüchtigen Polterns leicht zu täuschen - wird zusehends lockerer und zuletzt groß!

Ganz in Schwarz und falschen Herzens die Töchter: Regan (Agathe Taffertshofer) und Goneril (Eleonore Bürcher) mit den dazugehörigen männlichen Schurken - alle in brillanter Beherrschung des schauspielerischen Ausdrucks. Die gute Tochter Cordelia (Patrizia Götte) ganz in Weiß und reinen Herzens. Doch jeder Heuchelei abhold, wird sie sogleich ohne Pardon verstoßen. Auch Oswald Fuchs als Gloucester (ersten Ranges!) täuscht sich in seinen Söhnen, wird des Augenlichts beraubt und erst durch den einst verkannten Edgar (Andreas Schachl schleicht sich in entschlossener Nacktheit ins Schlangennest der Intrigen) zum wahrhaften Sehen geführt.

Aus dem Geist Shakespeares inszeniert, sprachgewaltig und schwarzweiß gezeichnet (wobei die Kostüme Michael D. Zimmermanns überzeitlich typische Charaktere symbolisieren), erkennt Lear den Sinn (oder Un-Sinn) seiner Existenz erst im totalen Absturz, im absoluten Nothing - eine blutige Leichenspur hinter sich herziehend.

Und findet sich darein. "Die Last von dieser harten Welt müssen wir tragen", heißt es im Stück.

Im grotesk-tragischen Endspiel findet Dietmar Schönherr ergreifende Töne des Wahnsinns und der Liebe, denen es nicht an Hoheit und Weisheit fehlt. Er setzt nicht auf äußerliche Effekte, er schöpft aus dem Innersten. Ein Lear, der steigt, während er fällt - und sich dem Leid ergibt.

Fazit: "Dulden muß der Mensch sein Scheiden aus der Welt wie seine Ankunft. Reif sein ist alles."

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