Ein Koffer zur Verbrecherjagd

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Hans Gross, dem Begründer der modernen Kriminalistik, ist in Graz ein Museum und eine Ausstellung gewidmet.

Heute werden zur Aufklärung eines Verbrechens die modernsten naturwissenschaftlichen Methoden eingesetzt, unterstützt von psychologischen Täterprofilen und neuen Erkenntnissen der Gerichtsmedizin. Bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts aber gab es so gut wie keine Möglichkeiten zur objektiven Beweisaufnahme. Die Richter stützten sich auf Zeugenaussagen und schlecht gesicherte Spuren. Vorurteile und offenkundige Lügen verhinderten oft ein gerechtes Urteil. Das änderte sich mit dem Wirken des Grazers Hans Gross. Er wurde 1847 geboren, studierte Jus und begann seine Laufbahn als Untersuchungsrichter und Staatsanwalt in Graz. Mit all den Nachteilen der damals üblichen Methoden konfrontiert, entwickelte er seine eigene Vorgangsweise: Tatortskizzen, penible Spurensicherung und Einsatz der damals existierenden chemischen und physikalischen Methoden. Darüber hinaus interessierte sich Gross für die Gedankenwelt der Täter und die Motive ihres Handelns. Das erste Ergebnis war 1893 das "Handbuch für Untersuchungsrichter", das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weltweit die Grundlage zur Aufklärung von Verbrechen bildete - selbst das FBI arbeitete nach seinen Grundsätzen. 1898 folgte die "Kriminalpsychologie". Doch Gross wollte auch die praktische Arbeit des Untersuchungsrichters erleichtern. Sein "Tatortkoffer" vereinigte alle Utensilien, die man bei der Untersuchung eines Verbrechens am Tatort brauchte: Chemikalien, Messgeräte, Schrittzähler, ein Kreuz mit zwei Kerzen, falls ein Zeuge vereidigt werden sollte, eine Miniaturausgabe des Strafgesetzes und sogar eine Büchse mit Bonbons zur Beruhigung verängstigter Kinder. In Graz wurde Gross zunächst die akademische Laufbahn verweigert. Er folgte einem Ruf nach Czernowitz, dann nach Prag, bis er schließlich 1905 nach Graz berufen wurde. In den folgenden zehn Jahren begründete er eine Lehrsammlung zur praktischen Ausbildung von Untersuchungsrichtern. Das Justizministerium erkannte die Bedeutung dieser Einrichtung und wies alle Gerichte der Monarchie an, entsprechendes Material zu senden. Objekte und Bilder kamen aus allen Teilen des Landes, auch aus dem Ausland.

Bald wurde diese Sammlung Bestandteil des Universitätsinstituts für Kriminologie. Doch Hans Gross konnte sich seines Lebenswerks nicht lange freuen, er starb schon 1915.

Eine private Tragödie überschattete seine letzten Jahre. Sein Sohn Otto studierte Medizin, erwarb eine Dozentur für Psychopathologie und arbeitete eng mit seinem Vater zusammen. Doch konnte er sich mit dessen Ansichten über Schuld und Strafe nicht identifizieren, der Konflikt war unvermeidlich. Auch mit Siegmund Freud der ihn als einen seiner begabtesten Analytiker bezeichnete, brach er und wandte sich C.G. Jung zu. Auf einer Bahnfahrt lernte Otto Gross Franz Kafka kennen, der an seinem konfliktreichen Verhältnis zu seinem Vater litt. Gemeinsam planten sie die Herausgabe einer Zeitschrift "Blätter gegen den Machtwillen" Otto Gross suchte noch Zuflucht in der alternativen Lebensform auf dem Monte Verita, verfiel aber dem Morphium, wurde in Kliniken interniert und starb schließlich halb verhungert in Berlin. Nun zeigt eine Ausstellung im Grazer Stadtmuseum unter dem Titel "Die Gesetze des Vaters" die Verflechtungen zwischen Vater und Sohn Gross, Freud und Kafka, die keiner der Beteiligten unbeschadet überstand.

Im Jahr 1977 wurde das von Hans Gross gegründete Institut für Kriminologie aufgelassen, die Objekte des Kriminalmuseums wurden in einem Keller abgestellt. Nun aber ist diese Sammlung zur Geschichte der Kriminologie wieder geordnet und als Museum zugänglich gemacht. In wohltuend sachlicher Atmosphäre, fern jeder Sensationslust, sind hier die Spuren von Verbrechen und ihrer Aufklärung ausgestellt. Man sieht den legendären Tatortkoffer, alle nur denkbaren Tatwerkzeuge, Waffen und Messer. Da liegt aber auch das präparierte Strafgesetzbuch, das ein Jus-Student zum Schwindeln bei der Prüfung benützte. Geschwindelt wurde überhaupt sehr viel, mit gezinkten Karten oder sensationellen Erfindungen. In einem Dorf "ordinierte" ein Mann als Zahnarzt und Spezialist für Aderlass, übrigens zu größter Zufriedenheit seiner Patienten. Die Schürze der Hühnerdiebe mit eingearbeiteter Tasche für die Beute unterscheidet sich kaum von der Berufskleidung heutiger Kaufhausdiebe. Wie gefährlich ideologische Verblendung für einen Angeklagten sein kann, zeigen Sätze in Vernehmungsprotokollen wie "der Täter ist nicht Mitglied der NSDAP" oder "Er vermied regelmäßig den sonntäglichen Kirchgang".

Der Besuch in diesem Museum lässt erkennen, dass Verbrechen zu allen Zeiten begangen wurden, dass aber die Methoden der Aufklärung immer besser geworden sind, seit Hans Gross seine Arbeit begonnen hat.

Hans Gross - Kriminalmuseum

Karl-Franzens-Universität Graz

Di 10-15 Uhr oder nach Voranmeldung

www.kfunigraz.ac.at/kriminalmuseum

Die Gesetze des Vaters

Stadtmuseum Graz

Di 10-21 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr

ab 1.12. So 10-13 Uhr

www.stadtmuseum-graz.at

Bis 29. Februar 2004

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