Ein Kontinent zum Verlassen

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"Fort Europa" bei den Wiener Festwochen suggeriert: Auf nach Buenos Aires oder Shanghai!

Der Bühnenraum hat den Charme einer Bahnhofshalle - immerhin, denn manche moderne Bühnenbilder haben nicht einmal diesen -, denn wir sind im Wiener Südbahnhof, den ein Grazer Politiker einmal seinen Lieblingsort in Wien genannt hat. Hier zeigt Johann Simons seine letzte Inszenierung mit der Gruppe ZT Hollandia, "Fort Europa", ein Drama des belgischen Autors Tom Lanoye, dessen Untertitel "Hohelied der Zersplitterung" lautet.

Tatsächlich handelt es sich um lange zersplitterte Monologe. Da klagt ein junger Mann darüber, wie Belgien trotz Neutralität zum Kriegsschauplatz wurde, da verkündet die Vertreterin der modernen Wissenschaft "Der neue Mensch ist im Anmarsch" und begrüßt Experimente mit embryonalen Stammzellen. Die Texte fügen sich nur mit viel Nachsicht des Betrachters zu einem Ganzen, noch dazu einem, das die besondere Situation Europas zeigen will. Für Simons und Lanoye ist dieser Kontinent offenbar in einem Zustand, der nicht Einwanderer anziehen, sondern eher die Bewohner zum Auswandern veranlassen sollte. Ein chassidischer Jude betont, die Wahrheit liege in der Wanderschaft. Ein abgebauter Wirtschaftsmensch und Tangofan verabschiedet sich nach Buenos Aires. Drei alte Huren, von denen eine aidskrank ist und ihren jungen Körper zurückbegehrt, die zweite mit 68 Jahren noch Mutter werden und die dritte zum Sterben nach Shanghai reisen will, kommen ausführlich mit ihren obszönen Memoiren zu Wort. "Vertrau nie einem Intellektuellen oder Künstler", heißt es einmal. Das tröstet über viel Oberflächliches in den Texten hinweg.

Dass dazwischen durch die Bahnhofshalle gerannt, auf Leitern oder Rollwagen gestikuliert, herumgeturnt oder ein Tango angedeutet wird, macht die Sache nicht wirklich dramatisch. Mehr Eindruck hinterlassen einzelne Gesangseinlagen, vor allem das Lied "Unser Schtetl brennt".

Wie weit das Stück die gegenwärtige Krise Europas wirklich aufzeigt oder selbst ein Bestandteil dieser Krise ist, darüber dürften die Premierenbesucher, die der Produktion mit sehr unterschiedlicher Intensität Beifall zollten, nicht einig gewesen sein.

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