Ein kreativer Intellekt wird 70

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Kaum vorstellbar, dass sie ihren 70. Geburtstag am 3. Juli lang und rauschend feiern lässt. Sie wird sich wohl zurückziehen und dann wieder an die Arbeit gehen. Brigitte Fassbaender hat gelernt, über die Schatten zu springen, die ihr die Öffentlichkeit abverlangt, aber ein scheuer Wesenszug, die Abneigung gegenüber der Selbstdarstellung ist spürbar geblieben. Als sie 1995 überraschend ihre Weltkarriere als Sängerin beendete, Regisseurin, Operndirektorin in Braunschweig und 1999 Intendantin des Tiroler Landestheaters wurde, half ihr die Abwendung von der notwendigen Selbstzentriertheit, also das gleichsam Objektivieren ihres künstlerischen Daseins, aus dem Elfenbeinturm zu treten.

Es gibt keine vergleichbare Karriere. Die Tochter von Kammersänger Willy Domgraf Fassbaender debütierte mit 21 Jahren an der Münchner Staatsoper und wurde zu einer der weltweit führenden Mezzosopranistinnen ihrer Zeit. Zu viele gleichwertige Rollen, um sie aufzuzählen, aber sie war ein Jahrhundert-Rosenkavalier. Der suggestive Sehnsuchtsklang ihrer Stimme, das Geheimnisvolle und Schmerzliche und Lodernde, das Verhaltene auch und Zarte ihres Singens war fesselnd und herzergreifend. Als sie nach Opernabenden in der Garderobe immer dringlicher den Augenblick herbeisehnte, „wenn unter der Schminke wieder das eigene Gesicht hervorkam“, verstärkte sie ihren immer schon singulären Einsatz für das Lied. Sternstunden gab es nicht nur, aber vor allem bei Schubert und Hugo Wolf, den Schwersten. Die drei großen Schubert-Zyklen hat sie als einzige Frau bisher aufgenommen.

Brigitte Fassbaender ist der Welt als Interpretin nicht ganz abhanden gekommen. Nach ihrer aktiven Gesangskarriere belebte sie die Kunstform des Melodrams wieder und tritt als Rezitatorin auf. Erst kürzlich war sie in Aachen die Sprecherin in Bersteins „Kaddish“. Am 7. Oktober 2009 wird sie als Sprecherin mit Thomas Quasthoff und Helmut Deutsch am Klavier in Hamburg Brahms’ „Die schöne Magelone“ gestalten.

Das Tiroler Landestheater führt Brigitte Fassbaender souverän von Erfolg zu Erfolg, es ist ihr tatsächlich gelungen, „das Publikum mit Liebe und Verstand für neue Wege und Sichtweisen“ zu begeistern. Und es ist kein Geheimnis, dass Operndirektoren in Innsbruck in den Logen sitzen, um Sänger abzuwerben. Fassbaender ist seit vielen Jahren eine gesuchte Gesangspädagogin, Juliane Banse, Michelle Breedt und Janina Baechle gehören zu ihrem Schülerkreis, und sie ist als Fachfrau zu befragen: Ob in der Jury bei Wettbewerben oder, wie soeben, als Leiterin der Findungskommission für eine neue Intendanz der Salzburger Festspiele.

Die Kreativität dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit scheint grenzenlos: Sie führt seit heuer die Richard Strauss-Tage in Garmisch, leitet dieser Tage wieder den sich zunehmend etablierenden Lied-Sommer in Eppan/Südtirol, sie schreibt für Innsbruck an einem Lulu-Libretto für ein Musical, sie ist als Übersetzerin tätig, sie malt. Am intensivsten äußert Brigitte Fassbaender ihr Denken und Fühlen jetzt aber wohl in ihren Inszenierungen. Über 50 Regien hat sie im In- und Ausland bislang geleistet, und viele bleiben ob der sensitiven Sicht der Regisseurin und ihres oft ungewöhnlichen, überraschend neuen intellektuellen Zugangs in Erinnerung. „Der Rosenkavalier“ gehört dazu, „Salome“, „Pelléas et Mélisande“, „Die Frau ohne Schatten“, „Fidelio“, von Britten „A Midsummer Night’s Dream“, „Peter Grimes“ und „The Turn of the Screw“.

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