Ein Krieg, dem viele Intifadas folgen

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Die Hamas zerschlagen, moderate Palästinenser stärken, Iran schwächen und Frieden schaffen - das erhoffen sich Kriegsbefürworter vom Gaza-Krieg. Und was fürchten die Kriegsgegner?

Intifada ist Arabisch und bedeutet "sich erheben, um etwas abzuschütteln". Nach 1987 und 2000 hat der Chef der radikalislamischen Hamas, Chaled Maschaal, nun die dritte palästinensische Intifada ausgerufen. Passender ist es jedoch diesmal, Israel die Intifada zuzuschreiben: Denn Israel hat sich vor drei Wochen erhoben und losgeschlagen, um die Hamas loszuwerden.

Doch nicht nur das: In diesem Gaza-Krieg werden mehrere Kriege gleichzeitig gekämpft: einmal Israel gegen die Hamas, dann der Bruderkrieg zwischen Hamas und der palästinensischen Fatah-Partei; außerdem der Krieg zwischen den von den USA unterstützten und mit Israel in Frieden lebenden arabischen Ländern Ägypten und Jordanien gegen die Hamas und ihre Sponsoren in Syrien und dem Iran; im weltweiten Kontext kommt dazu, dass dieser Krieg um die Deutungshoheit, wer wen "Bestie" nennen darf, zwischen der jüdischen und arabischen Diaspora und ihrer jeweiligen Anhängerschaft ausgefochten wird; und nicht zuletzt tobt auch in Israel selbst ein Kampf zwischen den sehr vielen Kriegsbefürwortern und den sehr wenigen Kriegsgegnern.

Krieg, der "Gazaner kampfbegieriger macht"

Die israelische Friedensaktivistin Gila Svirsky gehört zur zweiten Gruppe. Die FURCHE erreicht sie in Jerusalem in "extrem depressiver" Stimmung. Sie ist überzeugt, dass dieser Krieg "die Gazaner langfristig kampfbegieriger gegen Israel" macht: "Ich weine um die Palästinenser und Israelis, die unschuldige Opfer ihrer Politiker werden. Und ich weine um den Frieden, der mit diesem Krieg erneut in weite Ferne rückt." Am meisten weint sie um ihr Land "das herzloser und grausamer" wird. Svirsky: "Israel strebte einmal danach, Athen zu werden, aber es hat sich in ein Sparta verwandelt. Was ist mit meinem Land passiert?"

Keren Doron-Katz, eine Mutter aus der in den letzten Jahren von tausenden Hamas-Raketen beschossenen israelischen Stadt Sderot, gibt darauf eine eindeutige Antwort: "Wir werden angegriffen! Wir wehren uns!" Kritik an der israelischen Kriegsführung lässt sie nicht gelten: "Wir sind nicht grausam, wir haben mehr Moral als die Hamas." Sderot und Gaza-Stadt sind keine 20 Kilometer entfernt - doch im Gespräch mit Doron-Katz wird schnell bewusst, dass Welten zwischen diesen Orten und ihren Bewohnern liegen. Die israelische Mutter versteht die palästinensischen Mütter nicht, die Selbstmordattentate ihrer Kinder gutheißen. Die Israelin versteht nicht, warum es den Palästinensern trotz der Millionen-Dollar-Hilfe vonseiten Israels und der restlichen Welt nicht gelungen ist, "aus Gaza einen blühenden Streifen Land" zu schaffen: "Stattdessen quälen sie uns mit ihren Raketen."

Israels Außenministerin Tzipi Livni behauptet im dieswöchigen Newsweek-Interview, dass dieser Konflikt nicht länger zwischen Israelis und Palästinensern stattfindet und auch nicht zwischen Juden und Arabern, sondern ausschließlich zwischen Moderaten und Extremisten. Das Gespräch mit der Mutter aus Sderot hinterlässt einen anderen Eindruck: Zorn und Hass sowie Verachtung für alles Palästinensische.

Auf palästinensischer Seite zeigt sich das spiegelverkehrte Bild: Wut und Verzweiflung: "Seit Langem haben die Menschen den Eindruck, dass es seitens der internationalen Gemeinschaft keinen Willen gebe, zu ihren Gunsten einzuschreiten - das lässt den Extremismus gedeihen", sagt die palästinensische Politikerin und Literaturwissenschafterin Hanan Ashrawi in der Neuen Zürcher. "Man kann Menschen nicht einsperren, aushungern und dann von ihnen verlangen, sich ordentlich zu benehmen."

Ordentliches palästinensisches Benehmen bedeutet für Israel vorrangig, der Hamas die Gefolgschaft zu verweigern. Die Meldungen hierzu aus dem Gaza-Streifen sind verwirrend: Einerseits sollen sich die Palästinenser enttäuscht von der Hamas-Führung abwenden, die der Zivilbevölkerung so viel Leid zumutet, sich selbst aber im Exil oder in sicheren Bunkern versteckt. Andererseits heißt es, die Solidarität mit der Hamas werde mit jedem Kriegstag größer.

Stimmt die zweite Einschätzung, die auch Gila Svirsky teilt, dann endet dieser Krieg für Israel, selbst bei militärischen Erfolgen, in einem Desaster. Die Raketenangriffe aus Gaza zu stoppen und die Hamas zu schwächen, waren Israels Kriegsziele. Doch rechtfertigen diese Ziele selbst bei einem Erfolg einen mehrwöchigen Krieg, tausend zivile Opfer, darunter hunderte Kinder, den Verstoß gegen UN-Sicherheitsratsbeschlüsse, weltweite teils gewaltsame Proteste und einen neuerlichen Höchststand an Israel-Hass in der arabischen Welt? Nein, solche Mini-Erfolge stehen in keinem Verhältnis zu einem derartigen Maxi-Aufmarsch inklusive Mega-Kollateralschäden. Israels Regierung muss mehr wollen; und die USA müssen mehr erhoffen, dass sie dem Waffengang zugestimmt haben und ihn (noch) schweigend gutheißen. Was können also die entscheidenden Akteure, Barak und Livni gewinnen?

Chance für Friedenstrio Livni-Barak-Abbas?

Zuerst einmal die israelischen Parlamentswahlen in einem Monat. Dieses Ziel scheint erreicht: Laut Umfragen konnte Barak mit dem Kriegslärm seine in die politische Versenkung torkelnde Arbeiterpartei zu neuem Leben erwecken. Livni wiederum gelingt es im Krieg, ihr palästinenserfreundliches Tauben-Image loszuwerden und damit den Falken Benjamin Netanjahu und seine Likud-Partei auf Distanz zu halten.

Optimisten hoffen, dass dann das Duo Livni-Barak den Friedenszug wieder auf Schiene bringt. Zusammen mit dem friedenswilligen Palästinenser-Präsidenten Abbas. Denn ein israelischer Erfolg im Gaza-Krieg würde auch den palästinensischen Bruderkrieg zugunsten der Fatah entscheiden. Mit dem Niedergang der Hamas wäre auch der iranische Einfluss geschwächt. Und generell würde den extremistischen Organisationen in der Region ein schwerer Schlag versetzt. Jubel von Jerusalem über Amman, Kairo, Riad bis Washington wäre die Folge.

In der Theorie. In der Praxis wird der Gaza-Krieg in einer Nahost-Katerstimmung enden. Denn mit diesem Hinausprügeln der Hamas hat man die Saat für eine Vielzahl von weiteren Intifadas in den Köpfen der malträtierten Palästinenser und ihrer Freunde und Unterstützer gepflanzt.

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