Ein Land am Wendepunkt

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Ruth Beckermann gehört zu den herausragenden Zeitzeuginnen heimischen Filmschaffens. Sie leistete nicht zuletzt als jüdische Erinnerin des verschwundenen jüdischen Erbes des Landes auch in ihren Filmen Wesentliches für die Nachgeborenen. Aufsehen erregend zwar zuletzt ihre Videoinstallation "The Missing Image" (2015), die sie aus der kurz zuvor aufgetauchten, fünf Sekunden langen Filmsequenz, bei der eine feixende Menge einen mit (Zahn-)Bürsten die Straße reinigenden Juden im März 1938 (eine so genannte "Reibpartie") begafft, zu einer Endlosschleife aufblies, die mehrere Monate bei Hrdlicka-Denkmal am Wiener Albertinaplatz, das bekanntlich auch einen straßenwaschenden Juden darstellt, zu sehen war .

Nun hat Beckermann ein verschollenes Band aus eigener Produktion zum Ausgangspunkt ihres Essayfilms "Waldheims Walzer" gemacht. 1986, im Präsidentschaftswahlkampf von Kurt Waldheim, hatte die junge Filmemacherin mit einer Videokamera die Auseinandersetzungen um den Kandidaten, die Politisierung wie Polarisierung des Landes und den Widerstand der sich entwickelnden "Zivilgesellschaft" begleitet. Diese Aufnahmen tauchten auf VHS-Kassetten wieder auf. Zusammen mit Film-und TV-Aufnahmen aus den Archiven montierte Beckermann daraus ihre sehr subjektiv geformte Erzählung der Wochen jenes Wahlkampfs, als erste Vorwürfe gegen den Kandidaten auftauchten, bis zum ersten Wahlgang, den Waldheim sicher, aber noch nicht entscheidend gewann.

1986 und die Folgen werden präsent

Dieser Wahlkampf war ein Wendepunkt in Österreichs Nachkriegsgeschichte, weil in ihm der Mythos vom "ersten Opfer Hitlerdeutschlands" zusammenbrach. Wer in jenen Jahren politisch wach wurde, erinnert sich anhand des Beckermann-Films, wie und warum sich die damaligen Zeitläufte so entwickelten. Auch die Verständnislosigkeit des Kandidaten Waldheim -und seine dann um die Welt gehenden Sager, die sich je nach Sichtweise als schwere politische Fehler (was seine spätere internationale Isolierung betrifft) oder als Argumente für den Wahlerfolg bei den Österreichern erweisen sollten, werden durch den Film markant präsent.

Beckermann zieht bewusst keine Parallelen zu den Ereignissen der letzten Jahre. Die Parallelen tun sich von selbst auf -auch das mag der Kunst der Montage und der Zuspitzung, wie sie Beckermann in "Waldheims Walzer" gelingen, geschuldet sein.

Was der Film aber nicht leisten kann und will, ist der distanzierte Blick auf die Geschehnisse. Dass der globale Hype rund um Waldheim zum einen die nötige Katharsis im Land auszulösen begann, ging auch mit der Symbolwerdung Waldheims für ein schlampiges Geschichtsbewusstsein im Lande, was die Mitverantwortung zur NS-Zeit betrifft, einher. Dass sich dabei die individuelle Schuld oder Nichtschuld des Kandidaten und nachmaligen Präsidenten sowie seine persönliche politische Verantwortung in der gehypten Schwarz-Weiß-Sicht schwer vermitteln ließ, gilt es gleichfalls festzustellen.

Der öffentliche Furor taugt(e) nicht für Zwischentöne. Auch das wird anhand von "Waldheims Walzer" klar.

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