Ein Land in der "Schließungs-Epidemie"

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Die Flüchtlingskrise stellt das griechische Finanzdrama in den Schatten. Aber Nicht-Beachtung macht nicht ungeschehen. Szenen einer weiter ungelösten europäischen Schieflage, die im Sommer mit neuer Heftigkeit auf der politischen Tagesordnung auftauchen dürfte.

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Die Flüchtlingskrise stellt das griechische Finanzdrama in den Schatten. Aber Nicht-Beachtung macht nicht ungeschehen. Szenen einer weiter ungelösten europäischen Schieflage, die im Sommer mit neuer Heftigkeit auf der politischen Tagesordnung auftauchen dürfte.

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Nichts ist so geduldig wie Papier, auf dem ökonomische Berechnungen aufgezeichnet werden. Das ist ein alter Ökonomen-Kalauer, aber in diesen Tagen hat er einige Aktualität erfahren. Die griechische Regierung etwa hatte erst im Vorjahr, als es wieder einmal um die drohende Zahlungspleite gegangen ist, ihre Schuldensalden gleich bis ins Jahr 2018 und darüber hinaus berechnet. Und sie ist damals unter dem Applaus der Euro-Partner zu folgendem Ergebnis gelangt: Wenn man die Staatseinnahmen minus die Staatsausgaben rechnet, aber den Schuldendienst an die Gläubiger abzieht, dann wird das 3,5 Prozent Wachstum ergeben. 2018. Das ist eine schöne Zahl. Sie kam zustande, weil sich die Regierung Tsipras zu einem äußerst umfangreichen Sanierungsprogramm entschlossen hatte. Die Staatsausgaben für Pensionen sollten drastisch sinken, die Einnahmen aus Steuern ebenso drastisch steigen. Dazu noch, freilich, die Sanierung des hellenischen Bankensektors. Alles in allem ein historischer Wurf, den man mit einem Satz sagen kann: Griechenland wäre 2018 quasi nicht mehr Griechenland.

Nach dem Versprechen

Doch nun ist schon 2016 und das Papier mit dem großen Versprechen schon ein wenig angegilbt. Noch immer zahlen 55 Prozent der Griechen keine Einkommenssteuer (in Österreich liegt diese Zahl bei 52 Prozent, Deutschland 50 Prozent) und die Proteste gegen die Einsparungen der Regierung gegen die Pensionsreform sind auch nicht zu übersehen.

So wird es also bei weitem auch nichts mit den 3,5 Prozent, oder wie der Internationale Währungsfonds das etwas direkter ausdrückt: "Das wird schlicht nicht passieren". Das Papier mit den guten Vorhaben und Zusagen, mit dem der Staat im Vorjahr noch einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte, hat also heute schon den Wert schlichten Altpapiers. Wenn weitere Tranchen des 86 Milliarden Hilfspaketes freigegeben werden sollen, muss Griechenland weitere Maßnahmen setzen, oder es hat keine Mittel um seine Zahlungen im Juni und Juli an die Europäische Zentralbank zu tilgen. Auf der Ebene des sogenannten "EZB-Target-Systems", das die Verschuldung der Staaten bei der Zentralbank und die Kapitalflucht misst, ist es in den vergangenen Wochen zu rasanten Steigerungen gekommen, und zwar bei allen südeuropäischen Ländern.

Es ist ein Spiel mit einem hohen Wiedererkennungswert. Die Strategien werden nicht eingehalten, die Versprechungen zu hoch angetragen. Und das ist noch nicht alles. Denn am Grund der griechischen Ökonomie, also dort wo eigentlich das Wachstum erzeugt werden sollte, regt sich nach den Jahren der Austerität und der Kreditklemme kein Lüftchen mehr. Die globale Konjunktur, die sich eintrübt, bremst zusätzlich die Produktivität, nicht nur in Griechenland, aber besonders da. In den ersten drei Monaten 2016 haben 10.000 kleinere und mittlere Unternehmen Konkurs anmelden müssen. Und wenn es um die größeren Unternehmen geht, wird die Bilanz nicht besser. In den ersten drei Monaten wurden 1039 Aktiengesellschaften eingestellt, eine Verdreifachung der Zahl. Die Zeitungen schreiben von einer "Schließungsepidemie".

Konzepte: Mangelware

Was dagegen getan werden kann? Die Debatte darüber scheint abgenutzt und eingeschlafen. Die alte Forderung eines Schuldenschnitts erschöpft sich, weil die Euro-Staaten ohnehin eine weitgehende Schuldenstreckung zugesagt haben - Freilich erst im Gegenzug für echte politische Reformen, die es nicht gibt, weil auch die Sorge berechtigt ist, dass die Sparmaßnahmen zu einem weiteren Abschwung der Kaufkraft und damit der Schrumpfung der Realwirtschaft führen werden. Und das beschreibt wieder den Anfang und das Ende dieser traurigen Spirale: Dass nämlich die Geberländer von Griechenland trotz all der gegenläufigen Fakten, einfordern, das Versprechen zu halten: 3,5 Prozent Primärüberschuss 2018. Punkt. Insofern sind Staaten dann weitaus ungeduldiger als Papier - und auf seltsame Weise auch weniger einsichtig.

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