Celan - © Foto: picturedesk.com / Ullstein Bild

Paul Celan: Ein Migrant in Wien

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Im April jährt sich der Todestag des Lyrikers und Shoah-Überlebenden Paul Celan zum 50. Mal. Nach seiner Flucht aus Bukarest Ende 1947 lernte Celan in Wien nicht nur den österreichischen Literaturbetrieb kennen.

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Im April jährt sich der Todestag des Lyrikers und Shoah-Überlebenden Paul Celan zum 50. Mal. Nach seiner Flucht aus Bukarest Ende 1947 lernte Celan in Wien nicht nur den österreichischen Literaturbetrieb kennen.

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Dieses Jahr ist ein Celan-Jahr. Zu Paul Celans 100. Geburts- beziehungsweise 50. Todestag warten die Verlage mit einer Fülle von Publikationen auf, schließlich ist sein Platz in den Literaturgeschichten unumstritten. Doch einst, am 17. Dezember 1947, kam Paul Celan mit Hilfe von Schleppern zu Fuß von Bukarest über Ungarn nach Wien, als einer von tausenden Flüchtlingen. Im Handgepäck hatte er einen Packen Gedichte und einen Empfehlungsbrief Alfred Margul-Sperbers an Otto Basil, Redakteur der Zeitschrift Plan. Tatsächlich druckte Basil gleich im ersten Heft 1948 17 Gedichte des unbekannten jungen Mannes ab, prominent platziert am Heftbeginn.

Nach diesem raschen Start streckten Freunde Basils die Druckkosten für ein Buch vor, das im Verlag Erwin Müller herauskommen sollte, in dem auch der Plan erschien. Leopold Liegler betreute hier die Reihe „Stimme aus Österreich“, die, wie viele Initiativen der ersten Stunde, nach der Währungsreform vom November 1947 ihr Ende fand. Als einer der letzten Titel erschien Rudolf Felmay ers Lyrikband „Gesicht des Menschen“, auf dessen Umschlag ist Celans Buch „Der Sand aus den Urnen“ angekündigt – doch es konnte nicht mehr produziert werden, die Vorauszahlung war verloren.

Die Ermordeten „beweisen“

Der Maler Edgar Jené fand Ersatz mit dem Sexl-Verlag, in dessen schmalem Literaturprogramm der einstige Mitarbeiter des Völkischen Beobachters Rudolf Bayr bereits 1947 seine Essays über Dichtung publizieren konnte. Als hier im August 1948 Celans Buch erschien, war dieser schon abgereist. Jené hatte die Fahnenkorrektur übernommen und zwei seiner Lithografien hinzugefügt. Das Buch erschien „voller Druckfehler“ und „mit zwei Illustrationen eines Freundes, [...] Beweisen äußerster Geschmacklosigkeit“, empörte sich Celan, und das ist insofern ungerecht, als beide Illustrationen auch in jenem Band Jenés enthalten sind, zu dem Celan noch in Wien einen euphorischen Essay verfasst hatte.

Überall stieß er auf das unbekümmerte Fortleben antisemitischen Gedankengutes und auf personelle Kontinuitäten.

Celan ließ den Band einstampfen, ein radikaler Akt, der seinen künstlerischen Anspruch ebenso zeigt wie die Tatsache, dass er als Überlebender der Shoah im Wissen um den Gedächtnisverlust seiner Zeitgenossen, der ihm in den Wiener Monaten klar geworden sein muss, nichts zu verlieren hatte, aber doch an eine Sendung glaubte: als Überlebender die Ermordeten – im Sinne Ilse Aichingers – zu „beweisen“. „Du füllst hier die Urnen und speisest dein Herz“, lautet der Schlussvers des Titelgedichts.

Die Realität sah anders aus. Überall stieß er auf das unbekümmerte Fortleben antisemitischen und nationalsozialistischen Gedankengutes und auf personelle Kontinuitäten. Dabei war die Zeitschrift Plan eigentlich ein guter Ort, denn Otto Basil wollte genau dagegen antreten und die österreichischen Mitarbeiter an den „lyrischen Propagandastaffeln des Dritten Reiches“ nicht ungeschoren davonkommen lassen. Doch die Zeitstimmung kippte rasch. Noch während Celans Wiener Aufenthalt beschloss das Parlament am 21. April 1948 eine Amnestie für „Minderbelastete“, wodurch etwa 90 Prozent der 530.000 registrierten Nationalsozialisten rehabilitiert wurden. Einige von ihnen wurden auch gleich wieder politisch aktiv.

Schon nach dem Dritten Rückstellungsgesetz vom Februar 1947, das erstmals arisiertes Eigentum in privatem Besitz betraf, hatte sich Widerstand formiert, obwohl das Gesetz bei den ermordeten Opfern des Nationalsozialismus nur eine eingeschränkte Erbfolge vorsah. Nun gründete man umgehend den „Schutzverband der Rückstellungsbetroffenen“. Unterstützt wurden die Ariseure von einst vor allem aus dem Umfeld des „Wahlverbands der Unabhängigen“, Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten und Vorläuferorganisation der FPÖ.

Überschriebene Lebensläufe

Andere machten sich an die Überschreibung ihrer Lebensläufe und tilgten alle Spuren der NS-Verwicklung rasch und effizient. Auch Basil hat dadurch viele größere und kleinere Täterinnen und Täter oft nicht erkannt. Im Heft Nummer 6/1948 mit Celans Debüt im deutschsprachigen Raum ist etwa Adelbert Muhr mit zwei Beiträgen vertreten. Muhr hatte 1942 und 1944 zwei Bände in der Reihe „Niederdonau, Ahnengau des Führers“ herausgegeben; nun rezensierte er Ernst Lothars Roman „Der Engel mit der Posaune“. Die Besprechung ist durchaus positiv, allerdings „vergisst“ Muhr, das für Lothar zentrale Moment zu erwähnen: die Hommage an einen Widerstandskämpfer, dessen reales Vorbild seinen Mut mit fünfeinhalb Jahren KZ bezahlt hatte.

Im selben Heft schreibt Heimito von Doderer, der sein Entnazifizierungsverfahren im Juni 1947 hinter sich gebracht hatte, über Albert Paris Güterslohs Roman „Eine sagenhafte Figur“. Die beiden wohnten seit 1938 gemeinsam in der Buchfeldgasse 6 im einstigen Atelier der Künstlerin Trude Waehner, die aus politischen Gründen fliehen musste. Doderer war am Prozess der Enteignung nicht beteiligt, aber wie so viele profitierte er davon. Genau deshalb gingen die „jüdischen Wiener“, so Robert Schindel, „den nichtjüdischen nicht ab“, weil „diese in großer Zahl in den Wohnungen jener saßen, deren Kunstwerke besaßen, deren Lehrstühle einnahmen“. Eine Gedenktafel am Haus Buchfeldgasse 6 haben heute übrigens Doderer wie Waehner. Die Redaktion des Plan befand sich im Haus Opernring 19, wo neben dem Burgkino bis 1945 auch das Atelier von Hitlers „Hoffotografen“ Heinrich Hoffmann zu finden war.

Im Erdgeschoß betrieb Leopold Wolfgang Rochowanski seit April 1946 die Agathon-Galerie, in der auch Lesungen stattfanden. Bereits am 5. November 1946 trat hier Oskar Maurus Fontana auf, dem die Umfärbeaktion nach 1945 nahezu unbemerkt gelang. In seinem Geleitwort zur ersten Anthologie der Nachkriegszeit mit dem Titel „Das tägli che Bemühen“ sprach Fontana 1945 von der „kristallenen Lauterkeit der Seele“ der jungen Lyriker, so kurz nach „dem Zusammensturz des nur durch Verbrechen und Mord gebauten Dritten Reiches“. Dass die Alliierten zu diesem Zeitpunkt wegen Fontanas publizistischer Tätigkeit im „nur durch Verbrechen und Mord gebauten Dritten Reich“ ermittelten, war da noch nicht bekannt und änderte später nichts daran, dass Fontana ein führender Theaterkritiker blieb.

In der Sprache der Mörder

Bei der Vernissage der „1. Wiener Surrealistischen Ausstellung“ in der Galerie am 24. März 1948 lasen dann unter anderen Paul Celan und Werner Riemerschmid. Der war mit dem ordentlich gereimten Gedicht „Die deutsche Erde spricht“ im NS-Bekenntnisbuch von 1938 vertreten, was ihm nach 1945 kaum geschadet hat. Celan jedoch urteilt in einem Brief recht deutlich: Riemerschmid „war Leiter der Literatursendung der Ravag, war es auch unter den Nazi, und da hat er wohl anderes getan als zu einem jüdischen Dichter zu sagen: ,Endlich soll der homo alpinus sehen, was ein Dichter ist‘ [...]“. Im Atelier Edgar Jenés lernte Celan am 16. Mai 1948 Wilhelm Szabo kennen. Dessen 1947 erschienener Band „Das Unbefehligte“ enthält eine unüblich harsche zehnseitige lyrische Abrechnung mit Josef Weinheber, dem „Tellerschlecker der Macht“. Allerdings, 1943 erschien Szabos Gedichtband „Im Dunkel der Dörfer“ im Münchner Verlag Karl Alber in zweiter Auflage. Im Nachspann sind lobende Kritikerurteile abgedruckt, gleich das erste stammt von Weinheber, was Szabos Abrechnung doch relativiert. Es ist eine jener Schuldver strickungen, in die jeder geraten musste, der im NS-Regime publizierte. Das ist der Resonanzraum für Celans Wiener Auftritt.

Wer in diesem Umfeld ein Memorial für die Ermordeten in der Sprache der Mörder errichten will, muss die Sprache neu konfigurieren und jene Valenzen freilegen, von denen nach 1945 niemand wissen und sprechen wollte. Seine Überzeugung, dass eine Rückkehr zur Normalität vor dem Zivilisationsbruch nicht möglich, vor allem nicht statthaft ist, stand in unauflösbarem Widerspruch zur Zeitstimmung, wo im Bild des „Gelittenhabens“ – im Schützengraben oder im Luftschutzkeller, im Exil oder im KZ – alle Fragen der Schuld verschwanden. Im Mai 1952 kam es dann beim 10. Treffen der Gruppe 47 in Niendorf zum gerne heruntergespielten Eklat bei Celans Vortrag der „Todesfuge“. Das Gedicht entstand 1944/45 und erschien zunächst 1947 in rumänischer Übersetzung. Die deutsche Erstveröffentlichung im eingestampften Band „Der Sand aus den Urnen“ war missglückt. Dass das Gedicht aber bis zum Erscheinen des Bandes „Mohn und Gedächtnis“ 1952 „in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt“ blieb, wie Wikipedia berichtet, ist zumindest für den Wiener Literaturbetrieb unrichtig, denn die „Todesfuge“ erschien 1951 in Band eins von Hans Weigels Anthologie-Projekt „Stimmen der Gegenwart“.

Antisemitische Entgleisungen

Die poetische Erhabenheit der lyrischen Rede dieser „Grabschrift“ (Ingeborg Bachmann) hat die Zeitgenossen irritiert – sie waren gerade dem Pathos der nationalsozialistischen Inszenierung erlegen und wollten mit hohem Ton und großer Geste nichts mehr zu tun haben. Grass, der als Jugendlicher dem NS-Pathos besonders zugeneigt war, soll sich am meisten an Celans weihevollem Vortrag gestoßen haben. Entgleisungen wie: Celan habe „in einem Singsang vorgelesen wie in der Synagoge“ oder gar „wie Goebbels“ (Hans Werner Richter) als „taktlos“ (Heinz Ludwig Arnold) zu bewerten, kann heute ebensowenig hingenommen werden wie die These, der Antisemitismus der Gruppe 47 sei „eine undifferenzierte und falsche historische Zuschreibung“ (Helmut Böttiger), er ist vielmehr evident und war auch handlungsleitend. Als Hermann Kesten Anfang der 1960er Jahre gegen die Verleihung eines Literaturpreises an Ina Seidel protestierte, schrieb Hans Werner Richter an Seidels Sohn mit aller Deutlichkeit: „Kesten ist Jude und wo kommen wir hin, wenn wir jetzt die Vergangenheit untereinander austragen, d.h. ich rechne Kesten nicht uns zugehörig.“ Ina Seidel hingegen gehörte schon wieder ganz dazu, so wie 1933 zu jenen 88 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Hitler unterschrieben.

Eine Langfassung dieses Beitrags ist nachzulesen in: Paul Celan, Internationale Lyriktage Ljubljana Band 9, Praesens Verlag 2020
Lesen Sie nächste Woche Daniel Jurjew über Thomas Sparrs Buch „Todesfuge. Biographie eines Gedichts“.

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