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Arthur Schopenhauer wütete gegen die Frauen und meinte seine Mutter Eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung.

Das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht das schöne nennen, konnte nur der vom Geschlechtstrieb umnebelte männliche Intellekt: in diesem Triebe steckt nämlich seine ganze Schönheit. Mit mehr Fug könnte man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Äfferei aus Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektieren und vorgeben."

Dieses berühmt-berüchtigte Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer steht in merkwürdigem Gegensatz zu den Beziehungen, die er im Lauf seines 72 Jahre währenden Lebens zu einigen Frauen hatte. Schopenhauer hasste nicht die Frauen, sondern das Frauenbild, das seine Mutter verkörperte.

Es ging auch ums Geld

Während sie lebte, war er nur der Sohn der berühmten Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, die in Weimar einen glänzenden Salon führte und nach Meinung des Sohnes ihr vom Gatten ererbtes Vermögen mit einem "Buhlen" verschwendete: "Das Weib im Occident, namentlich was man die Dame nennt," sei keineswegs geeignet, den Kopf höher zu tragen als der Mann und mit ihm gleiche Rechte zu haben. Die europäische Dame sollte gar nicht existieren, "sondern Hausfrauen sollte es geben und Mädchen, die es zu werden hoffen, und daher nicht zur Arroganz, sondern zur Häuslichkeit und Unterwürfigkeit erzogen werden."

Wer war die Frau, die ihren Sohn zu solchen Ausbrüchen provozierte? Ulrike Bergmann stellt sie zum ersten Mal in einer "Romanbiographie" vor. Romanhaft sind Episoden, in denen sie sich ausmalt, wie es gewesen sein könnte, als die 19-jährige Johanna Trosiener auf Geheiß des Vaters den Antrag des um fast 20 Jahre älteren Heinrich Floris Schopenhauer annahm. Glanz und Elend einer großbürgerlichen Ehe dürfte sie stoisch ertragen haben. Die Autorin versucht, eine Epoche lebendig werden zu lassen, in der die vorherrschende männliche Meinung wohl jener Voltaires entsprach: "Die Frau ist ein menschliches Wesen, das sich anzieht, schwatzt und wieder auszieht." Als sich Preußen die alte Republik Danzig einverleibte, verlegte Schopenhauer sein Geschäft nach Hamburg, der Stadt der Pfeffersäcke. Hamburg besaß allerdings auch ein berühmtes Theater mit einem blitzgescheiten Dramaturgen: Gotthold Ephraim Lessing. Und einen allseits verehrten Dichter: Klopstock. Überzeugend schildert die Biographin, wie sich der Horizont der noch nicht 30-jährigen Frau allmählich erweitert und sie an der Seite des Gatten halb Europa bereist. Der Sohn Arthur darf mit und wird in England eine Zeitlang zur Schule geschickt.

Mit 35 Jahren wurde Johanna Witwe. Ihr Mann war - absichtlich oder in geistiger Verwirrung - aus dem obersten Stock seines Hauses gestürzt. Der Sohn: "Ich kenne die Weiber. Einzig als Versorgungsanstalt erachten sie die Ehe. Da mein eigener Vater siech und elend an seinen Krankenstuhl gebannt war, wäre er verlassen gewesen, hätte nicht ein alter Diener sogenannte Liebespflicht an ihm erfüllt. Meine Frau Mutter gab Gesellschaften, während er in Einsamkeit verging ... Das ist Weiberliebe!" Seine um neun Jahre jüngere Schwester Adele war schockiert, wie hart die Mutter über den Vater noch 15 Jahre nach dessen Tod sprach.

Begabte Malerin

War Johanna Schopenhauer die abscheuliche Mutter, als die der Sohn sie verunglimpfte? Auf Grund der Briefe und Zeugnisse von Zeitgenossen kommt Bergmann zu einem differenzierteren Urteil: Die Frau, die schon als Kind ein großes Talent zum Malen unterdrücken musste, konnte es sich zumindest eine Zeit lang leisten, ein Leben zu führen, wie sie es wollte. Im Witwenstand übersiedelte sie nach Weimar, half Goethe als erste nach seiner Heirat mit Christiane Vulpius zu deren gesellschaftlicher Akzeptanz ("Wenn Göthe ihr seinen Namen giebt können wir ihr wohl eine Tasse Thee geben"), und zog sich auch manche Feindschaft zu, etwa die Wilhelm von Humboldts, der aber bekanntlich in den Briefen an seine Frau an keiner anderen ein gutes Haar ließ.

Johanna Schopenhauer erlöste ihren 18-jährigen Sohn aus der Kaufmannslehre und ermöglichte ihm ein Studium. Er zeigte sich bei seinen Besuchen in Weimar manierlich bis auf seine Besserwisserei. Da setzte es denn auch das eine oder andere Donnerwetter mütterlichseits: "Alle Deine guten Eigenschaften werden durch Deine Superklugheit verdunckelt und für die Welt unbrauchbar gemacht, blos weil Du die Wuth, alles besser wissen zu wollen, überall Fehler zu finden außer in dir selbst, überall bessern und meistern zu wollen, nicht beherrschen kannst."

Sie ermöglichte ihm die Bekanntschaft mit Goethe, den er lebenslänglich verehren wird. Der Bruch erfolgte über das Geld. Er warf ihr vor, sie vergreife sich an seinem Erbteil. Die furchtbare Szene, die er ihr gemacht haben muss, spiegelt sich in Johannas "Abschiedsschreiben": "Dein Mistrauen, Dein Tadeln meines Lebens, der Wahl meiner Freunde, Dein wegwerfendes Benehmen gegen mich, Deine Verachtung gegen mein Geschlecht, Dein deutlich ausgesprochener Widerwille, zu meiner Freude beizutragen, Deine Habsucht, Deine Launen, denen du ohne Achtung gegen mich in meiner Gegenwart freien Lauf ließest, dies und noch vieles mehr, das Dich mir durchaus bösartig erscheinen lässt, dies trennt uns ... so will dich Dich nie wiedersehen."

Vergessene Bestseller

Johanna Schopenhauer hatte in Weimar zu schreiben begonnen. In der Erkenntnis, dass die Leute während der Napoleonischen Kriege Sehnsucht nach Reisebüchern hatten, verfasste sie eine erfolgreiche Reisebeschreibung Englands und Schottlands; viel gelesene Romane folgten, die heute längst vergessen sind. Als das Bankhaus, dem sie ihr Geld anvertraut hatte, Pleite machte, musste sie ums materielle Überleben schreiben. Nach fast zwei Jahrzehnten kam Post vom Sohn, der es schaffte, aus dem Zusammenbruch des Bankhauses viel besser auszusteigen als seine Mutter. Dennoch klagte er - über schlechte Gesundheit - und sie antwortet umgehend: "Zwei Monat auf der Stube, und keinen Menschen gesehen, das ist nicht gut, mein Sohn, und betrübt mich, der Mensch darf und soll sich nicht auf diese Weise isolieren, er kann es nie, ohne geistig, und auch körperlich dabei zu verlieren."

Ungebrochen starb die modern anmutende Frau 1838 mit 72 Jahren. Sie war mehr als die Mutter des großen Philosophen, das zeigt diese spannende Biographie: Eine Frau, die zur Zeitgenossenschaft erwachte, ihre Chance nützte und sich von einem schwierigen Sprössling und einer verwöhnten Tochter nicht am Leben hindern ließ.

Johanna Schopenhauer

Romanbiographie von Ulrike Bergmann

Reclam Verlag, Leipzig 2002

350 Seiten, geb., e 20,50

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