"Ein Nickerchen könnte günstiger sein"

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Welche Wirkungen wären zu erwarten, wenn von Gesunden Medikamente zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen werden? Psychiatrie-Experte David Healy im Gespräch.

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Welche Wirkungen wären zu erwarten, wenn von Gesunden Medikamente zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen werden? Psychiatrie-Experte David Healy im Gespräch.

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Laut New York Times ist er ein "Quälgeist" innerhalb seiner eigenen Zunft: David Healy, Psychiatrie-Professor an der Universität Bangor in Wales, ist als versierter Pharma-Kritiker international bekannt geworden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die moderne Psychiatrie-Geschichte und der Einfluss von Psychopharmaka auf unsere Kultur.

DIE FURCHE: Das EU-Projekt NERRI hat in Europa die Einstellung zu Substanzen und Techniken zwecks geistiger Leistungssteigerung untersucht. Wie sehen Sie die Debatte rund um dieses umstrittene Thema?

David Healy: Das ist eine Diskussion, die immer wieder hochkocht. Aber ich kenne derzeit keine Substanzen, die verlässlich die geistige Leistungsfähigkeit des Menschen verbessern könnten. Es gibt zwar viele Stoffe, wo derartige Behauptungen kursieren, aber es sieht so aus, als ob das ein reiner "Hype" ist - Marketing-Gerede, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Wenn man Menschen dazu verleitet, solche Medikamente zu nehmen, finden sich wahrscheinlich andere, die darin einen Wettbewerbsvorteil vermuten und ebenfalls zu diesen Stimulanzien greifen. Dadurch kann eine Situation entstehen, wo letztlich eine große Zahl von Personen Substanzen einnimmt, die möglicherweise beträchtlichen Schaden anrichten.

DIE FURCHE: Wenn die Wirkung ausbleibt, wäre die Sache doch schnell vom Tisch?

Healy: Menschen können unter dem Einfluss von Stimulanzien leicht den Eindruck erhalten, dass sie besser funktionieren, ohne objektive Grundlage. Was wir über die Wirkung glauben, ist ein wichtiger Faktor. Bei Schlafstörungen zum Beispiel denken viele Patienten, dass sie aufgrund der Tabletten besser schlafen. Aber wenn man das überprüft, sieht man oft, dass sie nicht mehr schlafen, sondern nur Erinnerungslücken haben: So gehen manche Menschen während der Nacht auf die Toilette - wenn sie kein Schlafmittel nehmen, erinnern sie sich daran, unter dem Einfluss des Schlafmittels aber nicht.

DIE FURCHE: Welche Wirkstoffe werden überhaupt zwecks geistiger Leistungssteigerung diskutiert?

Healy: Dazu zählen etwa ADHS-Medikamente wie Ritalin (ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom; Anm.). Aber wie schon gesagt, bis jetzt konnte keine Substanz verlässlich den Nachweis erbringen. Zumindest nicht mehr als Kaffee, bei dem man ja ebenfalls eine Leistungssteigerung behaupten könnte. Kaffee hält uns wach, insofern kann es sein, dass man die Arbeit etwas besser verrichtet. Aber genauso gut könnte es sein, dass es günstiger wäre, ein Nickerchen zu machen und später zu seinen Aufgaben zurückzukehren.

DIE FURCHE: In einem Beitrag im renommierten Fachjournal "Nature" haben sich Experten dafür ausgesprochen, dass durch "Hirndoping" für kluge Köpfe die drängenden Probleme unseres Planeten eher zu lösen wären ...?

Healy: Wenn es tatsächlich Substanzen mit einem solchen Wirkprofil gäbe, wäre das eine Debatte, die wir führen müssten. Da die Medikamente dann von Gesunden eingenommen werden, wäre die Aufklärung über die Risiken von größter Wichtigkeit. Die aktuelle Debatte erinnert mich an die Geschichte der Hormonersatztherapie: Gesunden Frauen wurde damals eingeredet, dass es gut wäre, die Zeit der Menopause mit Hormonen abzufedern, um jünger und attraktiver auszusehen, besser zu funktionieren. Aufgrund dieser Idee haben viele Frauen Hormone eingenommen, mit möglicherweise schweren gesundheitlichen Konsequenzen. Ähnlich könnten wir hier gesunde Menschen dazu verleiten, Medikamente ungeachtet möglicher Langzeitfolgen einzunehmen.

DIE FURCHE: Welche schädlichen Effekte sind hier vor allem zu beachten?

Healy: Bei den Stimulanzien glaubte man lange Zeit, dass man jederzeit damit aufhören kann und es zu keiner Abhängigkeit kommt. Das stimmt nicht. Es können richtige Entzugserscheinungen auftreten, die Menschen können sich nach dem Absetzen der Medikamente sehr unwohl fühlen. Sie werden dann vielleicht fälschlicherweise als depressiv diagnostiziert und erhalten eine antidepressive Therapie, die jedoch wirkungslos bleibt.

DIE FURCHE: Gibt es neben der Abhängigkeit noch andere Probleme?

Healy: Zum Beispiel erhöhte Gewaltraten, aber auch aus kardiologischer Sicht sind Stimulanzien nicht sicher. Dass gesunde Menschen hier irgendein Risiko eingehen, ist wohl keine gute Idee.

DIE FURCHE: Aber bei gewissen Krankheiten ist der Einsatz von Stimulanzien doch berechtigt?

Healy: Absolut! Für Menschen mit Narkolepsie ("Schlafsucht"; Anm.) oder mit schwerer körperlicher Fatigue in Verbindung mit anderen Krankheiten können diese Medikamente sehr hilfreich sein.

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