Ein normaler Außenseiter

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Magdalena Sadlons Erstlingsroman über das Festgefahrensein in den Passionen des Alltags.

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Magdalena Sadlons Erstlingsroman über das Festgefahrensein in den Passionen des Alltags.

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Magdalena Sadlon zeigt uns die Welt des Jakob Sagmeister, pensionierter Geschichtslehrer. Er ist ein "Enkel der Monarchie, ein Sohn des Dritten Reiches", er lebt in Wien und die Autorin gibt uns Einblick in seine Gefühle, Erinnerungen und Träume. Magdalena Sadlon zeichnet in ihrem Erstlingswerk "Die wunderbaren Wege" das bedrückende Porträt eines Außenseiters. Die 1956 in der Slowakei geborene Autorin emigrierte 1968 nach Österreich und arbeitet als Übersetzerin. Der Roman ist geprägt von Erinnerungen und Gedanken des Protagonisten, ein innerer Monolog. Jakob teilt uns über fast alles, was er mit seiner präzisen Beobachtungsgabe aufnimmt, seine Meinung mit. Anständig und korrekt ist er. So anständig und korrekt, daß er trotz einer spürbaren Gier nach Leben immer wieder in sein Gerüst von Gewohnheiten und Bequemlichkeiten zurückfällt. Ein Mann, der es nicht schafft, über seinen Schatten zu springen. Sagmeister ist unzulänglich und sich dessen bewußt. Damit muß er zurechtkommen, und so schwankt er zwischen Verdrängung und Enttäuschung. Diese Gratwanderung und die ständige Gefahr des Abrutschens ist es, was den Leser bewegt, nach dem ersten Kapitel weiterzulesen. Die Handlung ist dürftig, das Leben Jakobs äußerst dürftig.

Wenngleich die Autorin es versteht, mit immer tieferen Einblicken in die Psyche des Außenseiters den Leser zu fesseln, macht sie es diesem zeitweise schwer, sich weiter für den Sonderling zu interessieren. Denn so eindringlich sie den Pensionisten skizziert, wird doch die Frage nach dem Grund seiner Eigenarten nur ungenügend beantwortet. Dies wäre aber bei einer so genauen Schilderung des Protagonisten und seiner Erinnerungen zu erwarten. Auf der anderen Seite läßt sie dem Leser damit aber die Möglichkeit, über die verkorksten Meinungen und Ansichten des Jakob Sagmeister selbst nachzudenken. Ein Werk zu schreiben, das zum Nachdenken anregt, ist der Autorin auf jeden Fall gelungen.

Das tägliche Leben des Frühpensionisten ist von einem bestimmten Rhythmus geprägt, der nur wenige Abweichungen zuläßt. Das tägliche Mittagessen im Cafe, mit den täglichen Floskeln des Kellners, der Spaziergang durch die Stadt, das Einkaufen, das kühle Bier in einem düsteren Lokal und die Einsamkeit. Sagmeister versucht ständig das Gleichgewicht zu halten, Geben und Nehmen, Hilfe und Dank. Sein Gleichgewicht sei das eines Eichhörnchens, erfahren wir. Er beobachtet seine Umgebung, nimmt alles in sich auf, bildet sich Meinungen über das Leben fremder Leute, da er selbst keines zu haben scheint.

Die Erinnerungen an die Familie, die Schulzeit und Freunde sind selten positiv, haben den Beigeschmack der Demütigung. Seit seiner Kindheit ist er ein Außenseiter, geprägt durch einen strengen Vater, der den körperlichen Kontakt meidet, und eine besitzergreifende, vereinnahmende Mutter, die unter der Lieblosigkeit des Mannes leidet. Die Schilderungen der Kindheit zeigen kaum Gefühle, weder für Vater noch Mutter. Unbehagen bei der Erinnerung an das tägliche Teetrinken mit der Mutter, bei dem das Kind die Geschichte der Familie erfährt. Der Kontakt zu anderen Verwandten reißt nach dem Tod der Eltern ab. Schulzeit und Studium verlaufen ereignislos, zu Freundschaften kommt es nicht. Zweimal war Sagmeister verlobt, geheiratet hat er nie. Die Frauen versteht er nicht, in ihrer Gegenwart wird seine Gefühllosigkeit besonders deutlich. "Und einmal, er weiß es, als ob es gestern war, als sie wieder neben ihm im Bett lag und sich an die Verführung machte und er nur kurz aufstand, um seine Hose, die vom Garderobenständer gerutscht war, wieder zusammenzulegen, schrie sie ihn an." Sein Fach, die Geschichte, begeistert ihn, doch zu seinen Schülern findet er keinen Kontakt. Die größte Demütigung widerfährt ihm gegen Ende des Berufslebens. Er wird angeklagt, eine Schülerin belästigt zu haben, und trotz Freispruch in Frühpension geschickt.

Das eindringliche Psychogramm eines ganz normalen Außenseiters also, der sich mit seiner Rolle als Sonderling abgefunden hat oder abfinden mußte. Das eigene Leben, der Alltag als Gefängnis, aus dem auszubrechen sich schließlich nicht mehr lohnt. Sagmeister lebt nicht in seinen Erinnerungen und in keiner Gegenwart.

Die wunderbaren Wege. Roman von Magdalena Sadlon. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999. 191 Seiten, geb., öS 218,- /e 15,84

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