Ein Österreicher auf den anderen

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Karl-Markus Gauß konstatierte bereits vor dreißig Jahren, dass in der etablierten "großen österreichischen Literatur“ der Bürgerkrieg des Februar 1934 kein Thema gewesen sei. Das gelte auch heute noch, stellt Erich Hackl in seinem Vorwort zur soeben gemeinsam mit Evelyne Polt-Heinzl herausgegebenen Anthologie fest. Tatsächlich finden sich darin nicht viele Namen von Autoren, deren Werke man heute in Buchhandlungen aufspüren könnte.

Das Auswahlprinzip für dieses "Lesebuch“ war nicht das einer bestimmten literarischen Qualität. Man versuchte, Erzählungen bzw. Romanausschnitte auszuwählen, die aus der Sicht der betroffenen Arbeiter erzählen, aus der Sicht von Frauen und Familien, etwa der Einwohner eines beschossenen Gemeindebaus. Denn, so Erich Hackl, in der von Ulrich Weinzierl 1984 herausgegebenen Anthologie ("Februar 1934. Schriftsteller erzählen“) kamen sie wenig zu Wort.

In den Texten, die zwischen 1934 und 2013 erschienen sind (das Erscheinungsjahr findet man im Anhang), also sowohl zeitnah und von Augenzeugen geschrieben als auch als Fiktionen aus der Sicht von Nachgeborenen, kommen erstaunlich oft Frauen zu Wort und setzen - wie in Veza Canettis Prosa "Drei Helden und eine Frau“ - wichtige und mutige Taten. Manche Texte führen mit den Gesprächen der Figuren mitten in die politischen Diskussionen. Deutlich wird vor allem das Entsetzen über die Tatsache, dass hier auf einmal Österreicher auf Österreicher schießen, auf der Straße, einander Aug in Aug gegenüberstehend, aber auch systematisch durch die Fenster eines Gemeindebaus. "Jetzt erst, da der Mann das Gewehr gehoben und abgedrückt hatte, wurde mir die Situation wirklich klar und bewußt: Es schoß ein Österreicher auf den anderen. Der Mann, der mich zur Planke zerrte, hatte Recht gehabt: Ich war ein Idiot, und der andere hatte ebenfalls Recht gehabt: Ich hatte am Tag vorher nichts begriffen und alle Anzeichen verschlafen.“ (Franz Taucher). (bsh)

Im Kältefieber Februargeschichten 1934

Hg. von Erich Hackl und Evelyne Polt-Heinzl. Picus 2013

330 Seiten, gebunden, e 22,90

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