Ein Philosoph begibt sich auf Reisen

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Am 5. April 1728 bricht der Rechtsgelehrte und Philosoph Montesquieu von Paris zu einer Reise auf, die ihn eineinhalb Jahre lang durch Österreich, Deutschland und Italien führt. Der knapp Vierzigjährige schreibt Briefe und führt Tagebuch, in denen alle Merkwürdigkeiten verzeichnet sind, die einem wachen Geist in der Fremde auffallen. Als glänzender Stilist kleidet er seine Beobachtungen in bestechende Worte, oft ironisch und distanziert, Bewunderung ist seine Sache nicht. Seine Haltung ist beiläufig spöttisch, er bildet einen heiteren Nebenbei- Sarkasmus aus. "Die Deutschen sind zu träge, um geschäftstüchtig zu sein. Deshalb geben sie sich weniger mit Geschäften ab. Sie lassen die meisten Dinge, wie sie sind. In Wien geht ein Minister, der am Morgen zwei Stunden gearbeitet hat, zum Mittagessen und für den Rest des Tages zum Spiel."

Montesquieu reist nicht anonym, er gelangt in die besten Kreise. Er pflegt Umgang mit den staatstragenden Leuten, deren Wichtigkeit schützt sie nicht vor einem hämischen Kommentar des Besuchers aus Frankreich. An Marschall Starhemberg fällt ihm auf: "Er liebt es zu reden und dass man mit ihm über ihn selbst redet." Auf der anderen Seite der Abfälligkeit gegenüber den seltsamen Fremden und ihre Art zu leben steht der Wissensdurst. Montesquieu begibt sich ja nicht auf Reisen, um sich Munition für seine Abneigungen zu besorgen, er ist interessiert daran, wie sich das gesellschaftliche Leben anderswo gestaltet. Welche Prinzipien stecken dahinter? Nach welchem Plan funktioniert ein Land, wie ticken die Menschen, die Verantwortung tragen?

Offen für das Andere

Montesquieu ist nicht so engstirnig, dass er das französische Wesen als Maßstab für seinen Blick auf die Welt nimmt. Er ist offen für das Andere, er sucht das Neue geradezu, ist auf Erkenntnis aus, die ihm die Augen öffnet für das ihm Unbekannte. Es kommt vor, dass er sich in Betrachtungen verliert, wenn er Gefallen findet an Erscheinungen der Natur oder Kunst. Der Natur jedenfalls begegnet er mit Respekt, ist froh, wenn sie ihm nicht allzu nahe rückt. Gärten, gut, sie nimmt er mit Wohlgefallen auf. Berge aber, gar noch schneebedeckt, sind ihm unheimlich. Montesquieu ist ein Mann der Zivilisation, dem die Wildnis gestohlen bleiben kann.

Eigenartig, dass Montesquieus Nachrichten aus der Fremde noch nie ins Deutsche übertragen wurden. Jetzt sind wenigstens jene Teile -und das auf eine sehr flüssige Weise -übersetzt worden, die den "sehr großen geographischen Raum zwischen Regensburg, Wien, Köln und Braunschweig"(Jürgen Overhoff) betreffen. Vom ein Jahr währenden Aufenthalt in Italien bekommt der deutsche Leser noch keinen Begriff.

Meine Reisen in Deutschland. 1728-1729

Von Charles-Louis de Secondat Baron de la Brède et de Montesquieu. Ausgewählt, hg., komm. und eingeleitet von Jürgen Overhoff. Aus dem Franz. von Hans W. Schumacher. Mit einem Nachwort von Vanessa de Senarclens. Klett-Cotta 2014.216 Seiten, gebunden, € 22,70

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