Ein Projekt ohne Ort und Namen

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Der Politikwissenschafter Anton Pelinka über seine Machbarkeitsstudie für ein Gebäude, das Bezug zur Zeitgeschichte herstellen soll.

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Der Politikwissenschafter Anton Pelinka über seine Machbarkeitsstudie für ein Gebäude, das Bezug zur Zeitgeschichte herstellen soll.

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dieFurche: Herr Professor, was soll bei Ihrer Studie formal und inhaltlich herauskommen?

Pelinka: Der Grundgedanke ist ein multifunktionales Haus. Multifunktional heißt Forschung und im weitesten Sinn auch Lehre, wobei zur Lehre museale Komponenten gehören. Das heißt: kein reines Museum, kein reines Forschungsinstitut, von jedem etwas. Das zweite ist, daß es keinen reinen Österreich-Bezug haben soll, sondern einen Zentraleuropa-Bezug, daß man hier bewußt, aus bestimmten Gründen ist das ohnehin unvermeidlich, bestimmte Bezüge zum gesamten geopolitischen Raum herstellt - Ethnonationalismus nach 1945 in Zentraleuropa ist da zum Beispiel ein Thema. Das dritte ist, daß es interdisziplinär sein soll, also kein reines Haus der Geschiche, unbeschadet dessen, wie es einmal heißen soll. Das ist derzeit in jeder Hinsicht noch offen. Es wird übrigens sicher nicht "Haus der Toleranz" heißen, weil das in einigen romanischen Sprachen einen Beigeschmack im Sinn von Nobelbordell hat. Wenn man in Wissenschaftsdisziplinen denkt, soll es geschichtswissenschaftliche, naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Aspekte interdisziplinär verbinden.

dieFurche: Ist es denkbar, in so einem Haus, auch wenn es nicht die Toleranz im Titel führt, auf quasi neutralem Boden Begegnungen heute verfeindeter Gruppen durchzuführen, aktuelle Konflikte auf wissenschaftlichem Niveau auszutragen?

Pelinka: Diese Umsetzung gehört sicher zu den Aufgaben. Wir nehmen auch sehr Bedacht auf internationale Erfahrungen. Gerade jetzt ist eine Mitarbeiterin nach Washington und New York gefahren, um sich das Holocaust-Center in Washington anzuschauen. Ich selbst war im Februar in Los Angeles im Wiesenthal-Center, Kollegen waren in Israel und haben sich Yad Vashem und ähnliche Einrichtungen angeschaut. Es geht dabei nicht um Nachmachen, sondern um das Einbringen von Erfahrungen. Denn wir werden das in Österreich nicht neu erfinden können.

dieFurche: Gibt es ungefähre Vorstellungen, was das kosten kann?

Pelinka: Derzeit überhaupt noch nicht. Wir gehen davon aus, daß das keine Sache allein des Bundes oder des Bundes mit der Stadt Wien werden soll, sondern etwas, das zwar die Bundesregierung starten soll, das sich aber zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt zu einem nicht unerheblichen Teil aus anderen Quellen finanziert, seien es europäische Gelder, Stiftungsgelder oder private Gelder.

dieFurche: Das Haus soll den Holocaust stark einbeziehen, aber darüber hinausreichen. Wie weit in der Zeit? Wird Sie zum Beispiel die Monarchie nicht mehr interessieren?

Pelinka: Das ist noch ein bißchen offen. Unsere Studie wird aber sicher nicht heißen: Museum oder Haus der Republik. Weil wir davon ausgehen, daß man zum Beispiel ethnische Konflikte oder Antisemitismus nicht verstehen kann, wenn man 1918 oder gar 1945 beginnt. Ich kann mir vorstellen, daß man zum Beispiel im Rahmen einer sozialpsychologischen Betrachtung überlegt: Woher kommt eigentlich die christliche Judenfeindschaft? Dazu gibt es Berge von Literatur, aber auch die Möglichkeit, sich damit offensiv in Form besonderer Ausstellungen zu befassen. Da von vornherein eine zeitliche Begrenzung einzuziehen, erscheint mir nicht sehr sinnvoll.

dieFurche: Im Museumsbereich muß es ja nicht nur eine Dauerausstellung geben, sondern die Schwerpunkte könnten wechseln ...

Pelinka: Das ist sicher so. Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Ministerium und damit der Regierung mehrere Optionen geben, nicht eine einzige. Wir zielen darauf ab, daß wir am 31. Mai sagen, es gibt die Variante A, B oder C, und das hat diese Implikationen für die Quantität, die Qualität und damit für die Finanzen. Sicher ist, daß wir im musealen Teil Flexibilität haben wollen, wobei auch das Konzept von Wanderausstellungen interessant ist: daß von dort aus bestimmte Ausstellungen herumziehen können - von Lemberg bis nach Bozen - und einen bestimmten Aspekt zeigen. Zum Beispiel, ich phantasiere jetzt: Umgang mit Nationalismus und ethnischem Haß am Beispiel Jugoslawiens.

dieFurche: In welcher Form wird geforscht? Sicher ist eine Fachbibliothek geplant ...

Pelinka: Natürlich, und auch elektronische Vernetzung mit anderen Forschungsstellen. Der Grundgedanke ist eine Art Kollegsystem. Wir haben auch Kontakt aufgenommen mit - nicht inhaltlich, aber strukturell und funktional - ähnlichen Einrichtungen in Wien wie dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen. Ich denke an das Modell "senior fellowships": Man holt sich Personen, die zu einem bestimmten Thema fachlich international sehr ausgewiesen sind, von irgendwo auf der Welt für eine bestimmte Zeit nach Wien, vernetzt das mit anderen Einrichtungen - daß zum Beispiel auch das Institut für die Wissenschaften vom Menschen etwas davon hat oder umgekehrt -, holt vielleicht über "junior fellowships" jüngere Nachwuchswissenschafter nach Wien, die dort ihre Dissertation, ihre Habilitation schreiben, und vernetzt das nach Möglichkeit auch mit Universitäten. Zum Beispiel könnten wir in fünf oder zehn Jahren mit einem "big name" ein Seminar über sozialpsychologische Ursachen von Fremdenhaß anbieten, das dann für Studenten der Psychologie oder der Soziologie der Universität Wien anrechenbar und nutzbar ist. In diese Richtung wird gedacht.

dieFurche: Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, daß das Projekt verwirklicht wird?

Pelinka: Ich sehe eine Gefahr, nämlich, daß es zum Koalitionskonflikt wird, daß die Studie, weil sie vom Wissenschaftsministerium kommt, unbeschadet, was drinnen steht und wer sie gemacht hat, nur einer Regierungspartei zugerechnet wird, und das würde ich für fatal halten. Aus meiner Sicht gibt es für so eine Sicht überhaupt keinen Grund, abgesehen davon, daß ich keiner Partei angehöre. Aber die Frage ist, wie kommt das verkürzt in bestimmten Tageszeitungen heraus, und wie wird das im tagtäglichen Kleinkrieg zwischen den beiden Regierungsparteien wahrgenomen? Wer liest schon eine ganze Studie?

dieFurche: Anlaß für eine öffentliche Debatte über dieses Thema war die Standortfrage. Ist das Palais Epstein seit dem Ministerratsbeschluß endgültig passe oder aus Ihrer Sicht ein doch noch möglicher Standort?

Pelinka: Aus meiner Sicht ist es eindeutig ein möglicher, für mich persönlich sogar ein wünschenswerter. Nur, wir sind keine Politiker, das muß im Spannungsfeld von Bundesregierung und Nationalrat ausgetragen werden. Ich meine, das Palais Epstein wäre als Ort eines solchen Hauses ideal, aber darüber können wir nicht verfügen,wir können das nur anmerken. Die Standortfrage ist zumindest bis 31. Mai nicht Gegenstand der Studie.

dieFurche: Ein Ausbau des Heeresgeschichtlichen Museums wäre aus Ihrer Sicht nicht so ideal?

Pelinka: Wenn es klar ist, daß das keine Unterabteilung des Heeresgeschichtlichen Museums ist, ist das nicht von vornherein für mich out. Der Standort Arsenal ist nicht unmöglich. Aber das Konzept ist sicher mehr als eine aktualisierte Republikvariante des Heeresgeschichtlichen Museums.

dieFurche: Wie weit kann die Öffentlichkeit, abgesehen vom musealen Bereich, mit diesem Haus in Berührung kommen?

Pelinka: Bestimmte Zielgruppen könnten hineingenommen werden. In Los Angeles sind die zwei wichtigsten Zielgruppen Lehrer und Polizisten, die dort ganz bestimmte Fortbildungskurse machen. Zum Beispiel kommen Polizeibeamte von Sacramento hin und bekommen einen Kurs in Sensibilität für rassische und ethnische Probleme. Das kann ich mir hervorragend vorstellen: bestimmte Zielgruppen, Multiplikatoren, die hier durch diese Mischform - Forschung, Lehre, Museum - etwas vorgesetzt bekommen, das die jeweiligen Arbeitgeber für sehr nützlich halten.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

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