Ein Roman aus Atmosphäre und Melancholie

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Sie gilt als eine der bedeutenden Klassikerin des 20. Jahrhunderts, die nur deshalb wenig bekannt ist, weil sie zu ihrem Verhängnis ihre Bücher auf Katalanisch schrieb. Noch immer haben es Autorinnen und Autoren, die ihr Werk in europäischen Randsprachen veröffentlichen, schwer, sich international durchzusetzen. Dabei tun sich Leser, die an ganz echter Literatur interessiert sind, selbst nichts Gutes, wenn sie sich nicht ein bisschen umschauen in den Seitenwegen, die von der heillos überlasteten Hauptstraße der Literatur unvermutet abzweigen. Aber jetzt bekommen wir noch einmal die Chance, Mercè Rodoreda (1908-1983) mit einem bislang noch gar nicht übersetzten Roman kennen zu lernen. "Der Garten über dem Meer" erschien 1967 in Barcelona und führt zurück in die Zeit vor dem Spanischen Bürgerkrieg, als die Autorin noch nicht ins Exil nach Frankreich und in die Schweiz gedrängt worden war, aus dem sie erst 1970 nach Katalonien zurückkehrte.

Der Gärtner, der zuständig ist für ein Anwesen über dem Meer, erweist sich als guter Beobachter. Er bekommt eine Menge davon mit, was ihn eigentlich nichts angeht, einfach deshalb, "weil ich Menschen mag." An dem Paar, das jedes Jahr aus Barcelona anreist, um hier den Sommer zu verbringen, ist ihm besonders gelegen. "Wenn sie mit ihren Freunden zur Sommerfrische kamen, konnte ich mir die Filme im Excelsior sparen." Deshalb lässt ihn nicht unberührt, dass sich langsam und unausweichlich Veränderungen ankündigen, die die überschaubare, unbeschwerte Gesellschaft durcheinanderschüttelt.

Die Zeichen stehen auf Veränderung

Die großen politischen Umbrüche stehen erst bevor, hier geht es um die menschlichen Dramen, und die sind niederschmetternd genug. Dabei arbeitet Rodoreda vordergründig gar nicht an einem rabiaten Desillusionierungsprogramm. Sie schafft Stimmung und Atmosphäre. Von Heiterkeit und Zuversicht ist wenig zu spüren, ein Überwurf aus Melancholie ist über den Roman gebreitet. Denn alles, woran sich der Gärtner erinnert, ist unwiederbringlich verloren. Der Untergang des Bürgertums kündigt sich an, selbst wenn von Franco noch gar nicht die Rede ist. Die Zeichen stehen auf Veränderung, ohne dass sich sagen ließe, in welche Richtung es gehen würde. Das ist ein Buch des Abschieds und der Trauer und der Erkenntnis, dass Lebensentscheidungen ins Unglück führen können. Sobald Liebe ins Spiel kommt, ist der Ernstfall eingetreten. Und jetzt, nach mehreren Jahren geruhsamer Sommeraufenthalte, bricht in der Gesellschaft ein privater Konflikt auf, der nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist.

Es gibt Bücher, deren Nachhall einen nicht so rasch in den Alltag entlässt. Dieser Roman hat unter der stillen Oberfläche etwas Verstörendes, Beunruhigendes, und das macht ihn zu etwas Besonderem.

Der Garten über dem Meer

Von Mercè Rodoreda, aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt, mareverlag 2014

240 Seiten, gebunden, € 26,80

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