Ein Roman, drei Coelhos

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"Veronika beschließt zu sterben": Viele Einwände gegen ein grundsätzlich positives Buch.

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"Veronika beschließt zu sterben": Viele Einwände gegen ein grundsätzlich positives Buch.

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Die drei Coelhos haben wieder zugeschlagen. Ihr neuer Roman ist da: "Veronika beschließt zu sterben". Beim "Alchymist" hat sich der Chef der Truppe von seinen zwei Partnern am wenigsten dreinreden lassen. Das Ergebnis waren 13 Millionen verkaufte Exemplare und der Weltruhm (Furche 9/1997). Der Zweite im Bunde, der Mystizist, hatte schon vorher das ziemlich unsägliche Buch "Auf dem Jakobsweg" verbrochen, von dem aber im Schlepptau des "Alchymist" natürlich auch wieder ein paar Auflagen weggingen (Furche 17/1999).

Diesmal war das ganze Trio ziemlich gleichberechtigt am Werk. Der Chef, dessen Geschichten Menschen helfen, sich auf andere Werte als die für Geld käuflichen und in Geld gemessenen zu besinnen. Der Mystizist, der die Patientin Zedka im Insulinschock auf Astralreisen gehen läßt. Und die Nummer Drei, der triviale Coelho, neben dem Johannes Mario Simmel fast als Nobelpreiskandidat erscheint.

Dem Chef des Trios verdanken wir ein sympathisches Plädoyer für das Leben. Die berührende Geschichte einer Selbstmörderin. Veronika wird in der Intensivstation einer slowenischen psychiatrischen Privatklinik medizinisch ins Leben zurückgeholt, anschließend bringt sie der Trick eines klugen Psychiaters dazu, daß sie auch wieder leben will: Er erzählt ihr, daß ihr Selbstmordversuch zu einem irreversiblen Herzschaden geführt und sie höchstens noch eine Woche zu leben habe.

Auf den Tod wartend, entdeckt sie, daß das Leben lebenswert ist. Worauf sie gemeinsam mit einem Schizophrenen, der sowenig schizophren ist wie sie wirklich lebensmüde, ausrückt. Der Arzt hat damit erreicht, daß sie es wahrscheinlich nicht noch einmal versuchen wird.

Gut die Hälfte des dünnen Buchs ist vom Chef. Er kennt die Menschen, er ist ein Beobachter und greift auf seine eigenen reichen Erfahrungen im großen Nestroy'schen Kampf mit sich selber zurück: "Wer is jetzt stärker, i oder i?" Ihm gelingt die geradezu klinische, sprachlich dichte Schilderung einer Panikattacke im Kino. Oder die Beschreibung eines Unfalls, der Hilflosigkeit im sprachlosen, bewegungsunfähigen Daliegen auf dem Asphalt. Oder die Geschichte von der Bruderschaft, die freiwillig in der Irrenanstalt bleibt, weil man dort besser lebt, und sich dabei über den Rest der Welt erhaben dünkt.

Der Mystizist hält sich wohltuend zurück. Diesmal tritt kein Dämon auf, sitzt kein schwarzer Hund auf dem Jakobsweg. Es bleibt bei ein paar Anleihen aus dem Fundus des einschlägigen Allgemeingutes und bei der Geschichte vom angeblich schizophrenen Diplomatensohn Eduard, der nichts anderes wollte, als seinen eigenen Weg zu gehen und die Visionen des Paradieses zu malen.

Aber der Trivialist! Der kann es wieder einmal! Dem gelingen absolute Meisterleistungen wie diese: "Ein jeder von uns lebt in seiner eigenen Welt. Doch wenn du in den gestirnten Himmel blickst, dann siehst du, daß all diese verschiedenen Welten sich zu Konstellationen, Sonnensystemen, Galaxien verbinden." So etwas muß einem erst einmal einfallen, da schaut selbst eine Courths-Mahler neidisch hernieder.

Welches Glück, daß die drei Coelhos keine Artisten unter der Zirkuskuppel sind, sondern nur Bücher schreiben. Sonst wären sie nämlich längst abgestürzt, denn eine gewisse Unexaktheit, eine Schlampigkeit des Denkens haben alle drei gemeinsam, da leisten sie Teamwork. Wenn sie ihr Wissen und ihre Meinungen über die Geschichte des Insulinschocks oder über Darwin, Freud und Marx preisgeben, ist das schon sehr beeindruckend.

Daß der Saldo der Lektüre trotzdem positiv ausfällt, liegt, abgesehen von der wohltuenden Kürze dieses wie aller Coelho-Bücher, an dessen positiver Grundeinstellung und seiner lebens- und menschenfreundlichen Haltung. Was er in diesem jüngsten Buch über Normalität und Verrücktheit sagt, ist, auch wenn es immer wieder ins Triviale, ja Kitschige abgleitet, doch ein einziges Plädoyer für das Recht des Menschen, anders zu sein, als es die anderen von ihm erwarten, auf die Normen zu pfeifen, sich auch sexuell auszuleben, wobei Coelho aber die Grenzen dieses Sich-Auslebens festlegt: Jeder muß die Freiheit des anderen respektieren, und vor dem Recht des Kindes auf Schutz endet jegliches Recht auf Sich-Ausleben.

Wäre Coelho nicht selber ein bißchen verrückt, was er ja energisch für sich in Anspruch nimmt, könnte er nicht mit soviel Liebe über die anderen Verrückten schreiben. Der Einfachheit seiner grundsätzlich positiven Botschaft und der Fähigkeit, knapp und einprägsam zu formulieren, verdankt der portugiesische Autor mit bisher fast 27 Millionen verkauften Büchern Reichtum und den zweiten Platz auf der Liste der Megaseller-Autoren. Wobei für ihn spricht, daß er nicht nur auf erschwinglichen Preisen für seine Bücher besteht, sondern sie auch gerne an den entlegensten Orten der Erde persönlich vorstellt.

Übrigens: Werden Übersetzungen noch lektoriert? "Ihr, die noch hier seid, seid die, die mich hören sollt" sagt der Sufi-Meister. Der Meister muß nicht Deutsch können, der Korrektor sollte es. Was sind rechtshängige Prozesse? Gibt es auch linkshängige? Oder meint Übersetzerin Maralde Meyer-Minnemann anhängige? Was ist eine verwaltungstechnische Auslassung? Meint sie eine Unterlassung oder ein Versäumnis? Derlei kommt zu oft vor. Daß der deutsche Text insgesamt etwas flüchtig geschrieben wirkt, kann natürlich auch am portugiesischen Original liegen.

Veronika beschließt zu Sterben. Roman von Paulo Coelho.

Diogenes Verlag, Zürich 2000. 224 Seiten, Ln., öS 255,-/e 18,53

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