Innovatives Theater bei den Wiener Festwochen: Die Theatergruppe "Elevator Repair Service" spielt "The Sound and the Fury (April Seventh 1928)" nach einem Buch von William Faulkner.
Wer im letzten Jahr bei den Festwochen neugierig und ausdauernd genug war, "Gatz", der fast siebenstündigen szenischen Lesung von F. Scott Fitzgeralds "The Great Gatsby" durch die New Yorker Theatertruppe Elevator Repair Service (ERS) beizuwohnen, hatte im Anschluss das Gefühl, etwas ganz Besonderes gesehen zu haben.
Auch heuer hatte man die Gelegenheit, die experimentelle Arbeit dieser innovativen Truppe um den Regisseur John Collins zu bestaunen, und erneut war es ein Roman, der auf die Bühne übersetzt wurde. Mit William Faulkners berühmtem "The Sound and the Fury" (dt. "Schall und Wahn") aus dem Jahr 1929 fiel die Wahl auf ein ausgesprochen schwieriges, fast sperriges Werk, das unbestritten zum Kanon der großen Romane der Weltliteratur zählt.
Darin erzählt Faulkner auf kunstvoll eigenwillige Weise den sich über drei Jahrzehnte hinziehenden Niedergang der Südstaatenfamilie Compson. Das Besondere daran ist seine Erzähltechnik. Er schildert die Familienchronik nämlich aus vier verschiedenen Perspektiven, die an drei aufeinanderfolgenden Tagen im April 1928 und an einem Tag im Juni 1910 spielen, wobei die Ereignisse keiner linearen Zeitstruktur folgen und in unterschiedlichen Varianten erzählt werden, die kaum einen zusammenhängenden Handlungsfaden aufweisen.
ERS hat nun das komplexe erste Kapitel des Romans, "April Seventh 1928", für die Bühne adaptiert. Auf dieses trifft das Motto aus Shakespeares "Macbeth" zu, das Faulkner seinem Roman vorangestellt hat und dem auch der Titel entnommen ist: "Eines Toren Fabel nur, voll Schall und Wahn, jedweden Sinnes bar." Darin wird die Verfallsgeschichte aus der subjektiven Perspektive vom 33-jährigen Benjamin, dem jüngsten der Compson-Kinder, erzählt, wobei erschwerend hinzukommt, dass "Benjy" stumm und auf eine Weise geistig zurückgeblieben ist, dass er kaum über ein Erinnerungsvermögen verfügt und in einer stets präsenten Gegenwart gefangen bleibt.
"Stream-of-conciousness-theater"
Der Bühnenbildner David Zinn hat ein liebevoll eingerichtetes Wohnambiente eines südstaatlichen Herrenhauses geschaffen, das auf den ersten Blick Realismus suggeriert. Was sich aber in den pausenlosen zweieinhalb Stunden dem Theaterbesucher darbietet, ist eine Reise durch die mentale Landschaft dieses geistig Behinderten, ist die szenische Übersetzung der Wahrnehmung der Umgebung durch einen Schwachsinnigen und dessen eingeschränkte Beziehung zur Welt, die sich kaleidoskopartig aus fragmentierten Erlebnissen, sich überlagernden Erinnerungen, Gefühlen, Realitätsstücken zusammensetzt. Ein amerikanischer Kritiker hat für dieses Stück den treffenden Ausdruck "stream-of-conciousness-theater" geprägt.
Was dieses Theater der New Yorker Truppe so radikal und einzigartig macht, ist, dass sie eben nicht versucht, den losen Erzählduktus der Romanvorlage, Faulkners assoziativen Schreibstil mit abrupten Zeit- und Ortssprüngen, raffiniert verschachtelten Handlungsführungen, Rückblenden etc. in eine kohärente dramatische Struktur umzuwandeln. Der Text wird mit Ausnahme einiger weniger Kürzungen nicht angetastet. Es ist charakteristisch für Collins' Umgang mit Romanvorlagen, sich eher um deren stilistische Integrität als um die Verstehbarkeit der erzählten Geschichte zu sorgen. So transformiert er die komplexe Literatur Faulkners in eine nicht minder radikale theatrale Sprache, die den Status des Romans als Roman immer gegenwärtig sein lässt.
Die zwölf Darsteller spielen und tanzen abwechselnd die über dreißig Rollen, wobei eine Figur durchaus von mehreren Darstellern verkörpert werden kann und es nicht leicht ist zu sagen, wer gerade wer ist, zumal es auch vorkommen kann, dass eine Figur simultan von mehreren Darstellern gespielt wird, die Mutter einmal von einer weißen Frau und im nächsten Moment von einem schwarzen Mann verkörpert wird. Allein das stets wiederholte episierende "Caddy said" oder "Dilsey said" nach einer direkten Rede gewährt eine gewisse Übersichtlichkeit. Unterstützt wird die szenische Transformation des Romans durch einen hochartifiziellen Soundteppich (Mark Tierney) und ein Licht (Mark Barton), die miterzählen, wie Benjy die Welt "sieht".
Wohltuend und darin Faulkner in nichts nachstehend breitet ERS ein Geschehen aus, dessen Bedeutung eigene Entzifferungsarbeit erfordert. Es ist ein Theater für die lesende Phantasie, die sich auch ihre eigenen Bilder schaffen muss. Ein Zugang nicht ohne Anstrengung.