Ein schrecklicher Mensch

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Wer tief in die Atmosphäre der Spätrenaissance eintauchen will, sollte das Buch "Mein Leben" des vor 500 Jahren geborenen Benvenuto Cellini lesen.

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Wer tief in die Atmosphäre der Spätrenaissance eintauchen will, sollte das Buch "Mein Leben" des vor 500 Jahren geborenen Benvenuto Cellini lesen.

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Salzfass" sagt der Kunstfreund, wenn der Name Benvenuto Cellini fällt. Das weltberühmte prunkvolle Tischgefäß in Wiens Kunsthistorischem Museum ist ein, oder sagen wir ruhig: das Hauptwerk des vor 500 Jahren, am 3. November 1500, geborenen Renaissance-Goldschmieds, Medailleurs und Bildhauers. Im Kunsthistorischen Museum soll denn auch demnächst Jacques Laagers exzellente Neuübersetzung von Cellinis "Mein Leben" für die Manesse-Bibliothek der Weltliteratur vorgestellt werden.

Cellinis Zeichnungen, Bronze- und Marmorfiguren, die Münzen und Medaillen von seiner Hand zieren viele Sammlungen, doch der in vierjähriger Arbeit für den König von Frankreich angefertigte goldene Tafelschmuck ist die einzige erhaltene authentische Goldschmiedearbeit. Dank seiner Qualität blieb dem Werk das Schicksal so vieler bedeutender Objekte erspart, eingeschmolzen und zu Goldmünzen verarbeitet zu werden, wenn Kirchenfürsten und weltliche Herrscher wieder einmal in Geldnöte gerieten.

Obwohl Cellini es in "Mein Leben" ausführlich beschreibt, hätten wir ohne das Original keine auch nur annähernd realistische Vorstellung von der Pracht und subtilen Erotik dieses "Salzfasses", auf dem Neptun und Tellus, der Gott des Meeres und die Göttin des Landes, einander gegenüber sitzen: "Wie das Meer bisweilen die Erde zu umschlingen scheint, saßen sie einander so gegenüber, daß sich ihre Beine ineinander verschlangen, etwa so wie gewisse lange Meeresarme in das Land eindringen", weit zurückgelehnt, einander anblickend und auf gut Wienerisch "fußelnd", wobei Neptun der Tellus seinen Dreizack entgegenstreckt und Tellus mit zwei Fingern ihrer linken Brustwarze schmeichelt. Der Manierist Cellini schuf für Frankreichs König nicht nur die vielzitierte Allegorie der Welt, sondern auch eine Allegorie der Liebe von diskreter Laszivität. Vor allem aber ein überaus kostspieliges Werk. Der Kardinal von Ferrara, in dessen Auftrag er das Wachsmodell angefertigt hatte, erkannte sofort, daß sich ein so anspruchsvolles Projekt nur für einen König verwirklichen ließ.

Glaubte Cellini ein gutes Jahrzehnt später, 1554, nach der Aufstellung seiner Perseus-Statue in den Arkaden der Loggia dei Lanzi in Florenz, selbst das benachbarte Kunstwerk vor dem Palazzo Vecchio in den Schatten gestellt zu haben? Ein paar selbstgefällige Verse legen es nahe. Immerhin handelte es sich dabei um Michelangelos "David". Die Nachwelt freilich erkennt "in der diffizilen Behandlung der Details deutlich Arbeiten eines Goldschmieds".

An Selbstbewusstsein bis zur Angeberei hat es Cellini nie gefehlt. Nicht nur auf seine Kunst, auch auf seine Treffsicherheit war er fast gockelhaft stolz. Während der Belagerung Roms durch die Bourbonen 1527 will er, während sich der verzweifelte Kanonier weinend das Gesicht zerkratzte, mit dessen Geschützen so viele Feinde getötet haben, daß der Angriff zum Stehen kam. Will gar auf größte Entfernung in komplizierter ballistischer Kurve vor den Augen des Papstes einen Mann genau in der Mitte entzweigeschossen haben!

Er spart in seiner Autobiographie weder mit Selbstlob noch mit Hassausbrüchen gegen seine Feinde. Einer der Gründe für seine unverblümte Ausdrucksweise: Er hat "Mein Leben" nicht geschrieben, sondern das Manuskript, das in der Manesse-Neuausgabe netto 677 Seiten umfaßt, im Lauf von zwölf Jahren einem schreibkundigen Knaben während der Arbeit diktiert. Die Nachwelt war teils fasziniert, teils irritiert. Die erste Übertragung ins Deutsche stammt von Goethe, der bereits 1796/97 Auszüge aus seiner Übersetzung und 1803 eine Buchausgabe veröffentlichte. Zwei Jahre später wurde in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz die Originalhandschrift wiederentdeckt.

Benvenuto Cellini warf nicht nur mit Kraftausdrücken wie "Schurke" und "Bestie" um sich, sondern war - begreiflich, wenn wir an die Moralbegriffe und Strafgesetze seiner Zeit sowie der folgenden Jahrhunderte denken - auch groß im Andeuten und Auslassen. Seine Ausführungen über die skandalösen Zustände am Päpstlichen Hof und in der Umgebung von Herzog Cosimo I. von Florenz sowie über die Schurkereien des Farnese-Papstes Paul III. hätten genügt, um das Buch zu verbieten und bei einer posthumen Veröffentlichung seine Nachkommen in Schwierigkeiten zu bringen. Als Cellini dies erkannte, beendete er das Diktat abrupt und schrieb zwei berühmte Werke über Goldschmiedekunst und Bildhauerei.

Daß er mit 22 Jahren in Florenz wegen Homosexualität zu einer Buße von zwölf Scheffeln Mehl verurteilt wurde, erfahren wir nicht von ihm selbst, sondern aus dem ausführlichen Nachwort des Übersetzers. Er verweist dort auf 1930 erstmals publizierte Gerichtsakten. Von Jacques Laager erfahren wir auch, dass für den 57-jährigen erfolgreichen Goldschmied und Bildhauer eine neue Anklage wegen dieses Delikts gefährlich zu werden drohte. Das Geständnis seines Werkstattgehilfen Fernando di Giovanni aus Montepulciano, mit Cellini "sehr oft fleischlichen Umgang gepflegt zu haben", stellte wahrscheinlich einen Racheakt des Mitarbeiters dar, dem der Meister ein Jahr vorher, 1556, seine Gunst, den Arbeitsplatz sowie ein testamentarisches Legat entzogen hatte.

Cellini schweigt sich in "Mein Leben" über diese Krise ebenso aus wie über die vier Stockhiebe auf die Arme und den Schlag auf den Kopf, die er ebenfalls 1556 einem Rivalen, dem Goldschmied Giovanni di Lorenzo, versetzt hatte. Nach dieser Gewalttat war er allerdings nur zwei Monate in den berüchtigten Stinche von Florenz gesessen und sodann von Herzog Cosimo I. begnadigt worden. Durch die Anklage des Ex-Gehilfen drohten ihm nun ernstere Konsequenzen. Die im Schnellverfahren verhängte Geldbuße von 50 Scudi dürfte ihn nicht sehr erschreckt haben, doch die gleichzeitig ausgesprochene vierjährige Kerkerhaft und der Verlust der bürgerlichen Rechte auf Lebenszeit drohten den Rest seiner Jahre zu vergiften. Wieder zeigte sich der Herzog milde und begnadigte Cellini zu einem, wie man annehmen darf nicht ernsthaft durchgezogenen, vierjährigen Hausarrest.

Daß Herzog Cosimo Cellini wenig später fallen und ihm keine größeren Aufträge mehr zukommen ließ, hatte mit dessen Vergehen wohl wenig oder nichts zu tun. Umso mehr mit den Intrigen seiner Feinde, die er sich mit seiner brüsken und aggressiven Art in großer Zahl machte.

"Mein Leben" liest sich überaus kurzweilig. Cellini schert sich nicht um die übliche, an den Klassikern orientierte Ausdrucksweise, sondern redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und wie es ihm sein explosives Temperament und die Verbitterung über das Abseits, in das er geraten ist, gerade eingibt. Wer dieses oder jenes ganz genau wissen will, wird die 765 Anmerkungen sehr zu schätzen wissen. Wir werden da über Gußtechniken der Renaissance-Goldschmiede ebenso informiert wie über die Behandlung von Krankheiten oder über die personellen und politischen Hintergründe mancher Episode.

"Mein Leben" ist also auch ein lebendiger, spannender Report über das Leben in der Renaissance an der Wende zum Barock. Über Künstlerleben und profanes Leben. Über die allenthalben und jederzeit ausbrechenden Raufhändel und drastisch geschilderte Krankheiten. Ein Mann wie Benvenuto Cellini war bei seinen herzöglichen, königlichen, päpstlichen Auftraggebern zwar sehr begehrt, aber doch kein Stern erster Klasse wie etwa Michelangelo. Er wurde hofiert, wenn es angebracht schien, während der Arbeit an einem begehrten Werk selbst von den Höchsten oft mehrmals täglich in seiner Werkstatt besucht, aber auch nur zu gern hingehalten oder geprellt, wenn allzu großzügige Honorarversprechungen die Auftraggeber reuten oder wenn deren Höflinge etwas für sich abzweigen wollten.

Manchmal drückte er sich auch einfach so ungeschickt aus, daß als Brüskierung verstanden wurde, was als Kompliment gemeint war. So brachte er auch die Herzogin von Florenz gegen sich auf, statt ihre Fürsprache im Gerangel der Künstler um einen besonders wertvollen Marmorblock zu erlangen. Er benötigte ihn für das lebensgroße Kruzifix, an dem er jahrelang arbeitete, das später von Herzog Cosimo I. angekauft und von dessen Sohn Francesco Philipp II. von Spanien geschenkt wurde und sich im Escorial in Madrid befindet.

Cellini war jähzornig und gewalttätig. Schon als junger Mann beging er einen Totschlag an einem Konkurrenten, wurde von Papst Paul III. (der ihn später unter dem Vorwand einer Veruntreuung für längere Zeit einkerkerte) begnadigt, verletzte ein Jahr später einen Notar und floh nach Florenz. Von ihm selbst erfahren wir, wie er einen aggressiven Pferdeverleiher erschoss, der sich weigerte, ihm sein Sattelzeug auszufolgen. Angeblich ging Cellini während des Streits unabsichtlich seine Schusswaffe los, worauf der Mann von einem Querschläger in den Hals getroffen wurde. Gereist wurde damals in Italien sowieso nur im Kettenhemd mit der geladenen "Arquebuse" im Arm. Grimmig zitiert er selbst die Meinung seiner Gegner, etwa die Äußerung des Gesandten der Stadt Lucca zu Herzog Cosimo von Florenz: "Euer Benvenuto ist ein schrecklicher Mensch!" Giorgio Vasari berichtet in seinen berühmten Lebensbildern großer Künstler Ähnliches: Cellini sei "kühn, stolz, lebhaft, sehr schnell und äußerst schrecklich" gewesen.

Zu den köstlichsten Szenen zählt der Ausflug des jungen Cellini in die Gefilde der Geisterbeschwörung: Einer der seltenen Erlebnisberichte über magische Praktiken des 16. Jahrhunderts aus erster Hand. Der ebenso feurige wie verhinderte Liebhaber möchte wissen, ob er einen entschwundenen Schwarm wiedersehen wird, der ihm nicht aus dem Kopf geht: "Ich gab mich damals allen nur erdenklichen Vergnügungen hin und wandte mich auch einer anderen Liebe zu, nur um jene erste auszulöschen." Ein sizilianischer Priester nimmt Cellini und zwei Gefährten ins nächtliche Kolosseum mit, wo er "die für einen Nekromanten üblichen Kleidungsstücke anzog und mit den eindrücklichsten Zeremonien, die man sich denken kann, Kreise auf den Boden zu ziehen begann.

Er hatte uns geheißen, kostbares Räucherwerk und Feuer, aber auch übelriechendes Räucherwerk mitzubringen ... Dann begann er mit den Beschwörungen. Dies dauerte länger als eineinhalb Stunden; es erschienen mehrere Legionen Dämonen, so daß das Kolosseum ganz voll von ihnen war. Als der Priester sah, daß eine solche Menge zugegen war, wandte er sich an mich, dem das kostbare Räucherwerk oblag, und sagte: ,Benvenuto, bitte sie um etwas!' Ich bat, sie sollten dafür sorgen, daß ich wieder bei meiner Sizilianerin Angelica wäre. In jener Nacht bekamen wir keine Antwort, aber ich empfand eine recht große Befriedigung darüber, was ich von einem solchen Unternehmen erwartet hatte. Der Nekromant sagte, es sei nötig, daß wir ein zweites Mal hingingen ... mir gab er jedoch das Pentakel in die Hand und sagte, ich solle es in die Richtung wenden, auf die er deuten würde, wobei ich den Knaben, meinen Lehrling, unter dem Pentakel hielt. Der Nekromant begann seine schrecklichen Beschwörungen, rief viele Dämonen, die jenen Legionen vorstanden, mit Namen herbei und erteilte ihnen bei der Macht und der Gewalt des unerschaffenen, lebendigen und ewigen Gottes Befehle in hebräischer, aber auch in griechischer und lateinischer Sprache, so daß sich in kurzer Zeit das ganze Kolosseum mit hundertmal mehr Dämonen füllte, als es jenes erste Mal der Fall gewesen war ... Auf den Rat des Nekromanten hin bat ich von neuem darum, mit Angelica zusammenzukommen. Dann wandte er sich mir zu und fragte: ,Hast du verstanden, was sie gesagt haben? Daß du im Zeitraum eines Monates dort sein wirst, wo sie ist?'

Erneut bat er mich, standhaft in seiner Nähe zu bleiben, denn es seien tausendmal mehr Legionen da, als er gerufen habe, außerdem seien es die gefährlichsten. Da sie nun bestätigt hätten, was ich wünschte, sei es nötig, sie freundlich zu behandeln und in Geduld zu entlassen. Von meiner anderen Seite her sagte der Knabe, der unter dem Pentakel war, in größter Angst, es seien eine Million tapferster Männer anwesend, die uns alle bedrohten; zudem berichtete er, es seien ihm vier Riesen von gewaltiger Größe erschienen, sie seien bewaffnet und schickten sich an, zu uns einzudringen. Unterdessen versuchte der Nekromant, der vor Angst zitterte, die Dämonen in möglichst freundlicher und sanfter Art zu entlassen. Vincenzio Romoli, der wie Espenlaub zitterte, verbrannte in einem fort Räucherwerk. Ich hatte genausoviel Angst wie sie alle, gab mir jedoch Mühe, dies weniger zu zeigen und damit den anderen so gut als möglich Mut zu machen. Aber ich wäre fast gestorben, als ich den Nekromanten so angsterfüllt sah. Der Knabe hatte seinen Kopf zwischen die Knie gesteckt und sagte: ,So will ich sterben, sind wir doch schon fast tot!'... Doch kaum hatte er die Augen erhoben, rief er abermals: ,Das ganze Kolosseum steht in Flammen und das Feuer kommt auf uns zu!', verdeckte sein Gesicht mit den Händen und erklärte wieder, er sei schon tot und wollte nichts mehr sehen.

Der Nekromant ... bat mich, ihm beizustehen und Zaffetica zu verbrennen (laut Anmerkung Assa foetida, stinkender Assant, ein Kraut, das zur Abwehr feindlicher Geister verwendet wurde) ... Als sich Agnolo nun bewegen wollte, gab er einen Posaunenstoß von Fürzen von sich, begleitet von einer solchen Fülle Kot, daß dies eine weit größere Wirkung zeigte, als die Zaffetica getan hätte. Wegen dieses gewaltigen Gestanks und Lärms hob der Knabe ein wenig seinen Kopf, und als er mich lachen hörte, legte sich seine Angst etwas, und er sagte, die Teufel fingen an, sich in großer Hast zu entfernen. Also blieben wir dort, bis man zur Matutin zu läuten begann ... Während wir zu unseren Häusern bei den banchi zurückkehrten, sagte er andauernd, zwei von jenen Teufeln, die er im Kolosseum gesehen habe, würden uns in kleinen Sprüngen vorangehen und bald über die Dächer, bald über die Erde einherspringen. Der Nekromant teilte uns mit, ihm sei - sooft er auch den Kreis betreten habe - noch nie etwas derart Großes begegnet. Er wollte mich überreden, den Dämonen mit ihm zusammen ein Buch zu weihen; denn wir würden daraus ungeheuren Gewinn ziehen, könnten wir doch von den Dämonen verlangen, uns alle Schätze zu zeigen ... und würden sehr wohlhabend."

Cellini interessiert sich mehr für seine Herzensangelegenheiten. Am letzten Tag des von den Dämonen erwähnten Monats trifft er seine Angelica, die er aber, da sie sich als habgierig erweist und er sein Ziel erreicht hat, alsbald stehen läßt. Darin war er überhaupt groß. Auch in Paris stellt er, wie er lakonisch berichtet, ein schwangeres junges Modell umgehend dessen Mutter zurück, nebst einem angemessenen Geldbetrag. Doch zum Sechziger wünschte er sich legitime Nachkommen, weshalb er den geistlichen Stand umgehend wieder verließ. Er war ihm zwei Jahre zuvor, 1558, beigetreten und hatte erst die niederen Weihen empfangen. Wahrscheinlich hatte er gehofft, als Kleriker der Anklage wegen des "fleischlichen Umganges" mit seinem Mitarbeiter zu entgehen. Nun heiratete er seine Hausmagd, die ihm fünf Kinder schenkte, von denen ihn drei überlebten.

Große Aufträge wurden Cellini in seinen letzten Lebensjahren nicht mehr erteilt. Die angebotene Mitwirkung an den Chorschranken im Dom von Florenz wies er stolz zurück: Er denke nicht daran, die Arbeit seines am Projekt beteiligten Todfeindes Bandinelli "mit eigenem Werk zu bereichern".

Mein Leben. Von Benvenuto Cellini. Neu übersetzt von Jacques Laager. 12 Farbtafeln, 8 einfarbige Bilder. Manesse Verlag, München 2000. 784 Seiten, Ln., öS 336.-/e 24,42

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