Ein schwarzer Hund auf dem Jakobsweg

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Coelho als Grenzgänger zwischen echter Mystik und faulem Zauber, Fantasy und Philosophie.

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Coelho als Grenzgänger zwischen echter Mystik und faulem Zauber, Fantasy und Philosophie.

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Paulo Coelho hat nicht nur, wie er betont, "schon mit vielen Geistern gesprochen", wobei er keineswegs kluge lebende Menschen meint. Er weiß, wie man mit der Kraft des Geistes Gegenstände bewegt, ohne sie zu berühren, und hat "Wunder erlebt, genaue Voraussagen der Zukunft gehört, vergangene Inkarnationen gesehen. Mein Meister hat mir schon zwei Monate, bevor die Argentinier die Insel überfielen, vom Falklandkrieg erzählt. Er beschrieb ihn in allen Einzelheiten, erklärte mir - auf der astralen Ebene -, weshalb dieser Konflikt stattfinden mußte".

Damit soll klargestellt werden, worum es in seinem Buch "Auf dem Jakobsweg - Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela" geht und welche Leserschicht es anspricht. Es gibt sich weder als Dichtung noch literarischer Reisebericht, sondern als Tagebuch einer Initiation, deren geistiger Hintergrund schwer einzuschätzen ist. Trotz einer unangenehmen Erfahrung, über die wir nichts erfahren, "hat sich, nachdem die Angst verflogen war, die Faszination für das Okkulte einen Platz in meinem Leben erobert." Immer wieder "Faszination für": Auf sorgfältige Übersetzung weist das nicht hin.

Die Ausgangssituation ist Magie pur. Der Autor kniet nachts auf einem Berg vor einem Feuer und vergräbt mit nackten Händen sein Schwert, um ein neues zu bekommen, erweist sich dessen aber im letzten Moment als nicht würdig, worauf er von seinem Meister auf den Jakobsweg geschickt wird, um seinen Hochmut loszuwerden. Ob ihm dies gelungen ist, muß der Leser entscheiden. Jedenfalls verdankte Coelho den spirituellen Erfahrungen seiner Pilgerreise die Anregung zum Super-Weltbestseller "Der Alchimist".

Er trifft den Italiener Petrus, mit dem er die 700 Kilometer lange klassische Pilgerreise fast bis ans Ende zu Fuß zurücklegt. Petrus, der Industriedesigner, nebstbei Mitglied der KPI, der kommunistischen Partei Italiens, wie man erfährt, bewegt sich behende zwischen diesseitiger Wirklichkeit und jenseitiger Erfahrung und lehrt Coelho die geistigen Übungen des R.A.M., der vielleicht manchem Leser ein Begriff sein mag, mir aber leider nicht, und über den man nichts Näheres erfährt. Er vermittelt Coelho den Zugang zu einem immateriellen Begleiter, er weiß genau, daß der schwarze Hund, mit dem Coelho eine schmerzhafte Begegnung hat, kein gewöhnlicher schwarzer Hund ist, er lehrt ihn, die Stunde seines Todes zu schauen, sich mit allumfassender Liebe zu erfüllen, einen Wasserfall emporzuklettern - und Coelhos Leser, daß sich in den Grauzonen zwischen Sinnsuche und kruder Magie, Rätselvollem und Aberglauben, R.A.M. (was immer das sein mag) und KPI auch ganz interessante Typen tummeln.

Die spirituellen Übungen, die dieser Petrus Coelho lehrt, sind interessant, zählen, so oder ähnlich, freilich auch zum klassischen Fundus der verschiedensten mehr oder weniger geheimen Gesellschaften oder begegnen uns, so oder ähnlich, auch bei manchen Mystikern: Das Exerzitium vom Samenkorn, das Exerzitium der Langsamkeit, jenes des Schmerzes, des Wassers oder der blauen Kugel, des Atems und des Schattens. Es ist aber auch ganz und gar kein Zufall, daß sich Coelho in seinem Buch des öfteren auf Carlos Castaneda bezieht. Verglichen mit Coelho, dürfte dessen Jakobsweg-Führer Petrus ein Geselle von geradezu heiliger Nüchternheit sein. Geradezu verständlich, daß er auf spätere Kontaktversuche seines zeitweiligen Schülers nicht mehr geantwortet hat...

Meine Abwehr setzt ein, wo Coelho - und beides geschieht in diesem Buch am laufenden Band - entweder die Mystik verläßt und in den ärgsten Mystizismus verfällt, oder wo er die Demut des Erkenntnissuchers vergißt, in die Selbstgefälligkeit verfällt, aus der magischen Schule plaudert und dabei schrecklich trivial wird. Was er von den Einweihungsriten einer katholischen Bruderschaft namens "Tradition" erzählt, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit. Das klingt stellenweise, als wäre es aus dem erstbesten Fantasy-Roman abgeschrieben: Feuer, Schwerter, große Sprüche, Kaufhaus-Magie, fauler Zauber von der Stange. Was natürlich auch daran liegen kann, daß Coelho das Wesentliche nicht wiederzugeben vermag, daß er hier an seine Grenzen stößt. Aber das hätte er mit etwas mehr Selbstkritik oder etwas weniger Eitelkeit doch wohl merken müssen.

Das Buch ist übrigens eine Neuübersetzung. Der Titel der 1987 in Rio de Janeiro erschienenen portugiesischen Originalausgabe war ehrlicher: "O Diario De Um Mago", ebenso der deutsche Titel von 1991, also Jahre vor dem "Alchimist": "Die heiligen Geheimnisse eines Magiers". Der neue Titel im neuen Verlag kann zu Mißverständnissen führen, denn Nordspaniens Jakobsweg ist ganz gewaltig in, ist von Touristen überflutet. Dank Coelho dürften es nun noch ein paar mehr werden. Wenn sie dann in der Samenkorn-Haltung am Wegrande kauern, plötzlich befreiende Schreie ausstoßen oder sich gar knurrend in fremde schwarze Hunde verbeißen, werden wir ihnen im Vorbeigehen zuraunen: Sei gegrüßt, Bruder in Coelho!

Übrigens darf ein Eingeweihter den Namen seines immateriellen Begleiters niemandem verraten, weil der Zauber sonst nicht mehr wirkt. Coelho plaudert ihn aber aus, er heißt Astrain, frei nach Herzmanovsky-Orlando: Meinen Namen sollt ihr nicht erfahren, ich bin der Kaiser Josef. Ist Astrain etwa ein Pseudonym? Oder das ganze als Bericht über spirituelle Erfahrungen lancierte Buch eine Fiktion, bloß Literatur? Die Versuchung, die Mischung von Fantasy und Philosophie besonders ernst zu nehmen, ist so oder so gering.

Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela Von Paulo Coelho, Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann, Diogenes Verlag, Zürich 1999, 270 Seiten, Tb., öS 123,

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