boris pahor - © APA / HERBERT PFARRHOFER

Boris Pahor: Ein Slowene in Triest

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Porträt des Schriftstellers als aufständischer Mensch: Boris Pahor.

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Porträt des Schriftstellers als aufständischer Mensch: Boris Pahor.

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Ein junger Mann, zwei deutsche Soldatenstiefel in den Händen, steht im Sommer 1945 auf einem Flohmarkt am Rand von Paris und bietet sie den Vorbeigehenden feil. In diesem Menschenhaufen voller Schieber und Schwarzhändler werden die merkwürdigsten Dinge gekauft und verkauft - aber deutsche Soldatenstiefel, obwohl aus festestem Leder und gut verwendbar, kauft keiner. Der junge Mann mit knochigen Wangen wird sich immer mehr der völligen Absurdität seiner Lage bewusst: Gerade er muss solche Dinge zum Verkauf tragen - er, der ehemalige KZ-Häftling, der vor einigen Monaten noch die abgemagerten Leichen seiner Mitleidenden ins Krematorium trug. Der junge Mann zieht seine abgetretenen Schuhe aus und die deutschen Soldatenstiefel über. Und verbirgt sie unter der Hose ...

Vom KZ-Häftling zum Autor

Der erfolglose Stiefelverkäufer ist der Held von Boris Pahors Roman Spopad s pomladjo (Kampf mit dem Frühling), der im Frühling 1945 aus dem KZ Bergen-Belsen über die holländische Tiefebene mit einem Zug "unpassender Reisender" nach Paris kam. "Unpassende Reisende" waren körperlich und geistig gebrochene Menschen aus ganz Europa, die der Vernichtung entkommen sind. Und der junge Held dieses Romans, ein Triestiner Slowene, der nicht nur ein Vernichtungslager hinter sich hat, sondern auch eine böse Erfahrung mit dem Faschismus, mit dem Militärdienst in der italienischen Armee auf dem Sand Libyens, mit der Illegalität des slowenischen Widerstands nach der Kapitulation Italiens, mit den Verhören der Gestapo und dem Tod seiner Geliebten, ist in Wirklichkeit kein anderer als der Autor selbst, ein alter ego von Boris Pahor. In jenem Pariser Frühling und Sommer, erinnert er sich heute, war es in seiner Seele, als wäre er weder tot noch lebendig. Doch er war lebendig, aus Paris kehrte er in seine Geburtsstadt Triest zurück. Dort begann er einige Jahre später seine heute berühmten Romane zu schreiben, Nekropolis (dt. 2001 im Berlin Verlag erschienen) und andere, darunter auch den erwähnten Kampf mit dem Frühling.

Vom Faschismus gezeichnet

Im August 1913 wurde Boris Pahor in Triest geboren. Seine Kindheit verbrachte er mitten in dieser Stadt, um den Ponte Rosso herum, von dort auch seine erste Erfahrung mit der Gewalt einer wild gewordenen Menge und mit dem Feuer. Noch ehe die Faschisten in Italien an die Macht kamen, hatten sie mitten in Triest das slowenische Kulturhaus des Architekten Max Fabiani angezündet. Die Kinderaugen Pahors sahen die begeisterten Gesichter, die den Flammen und den Schwarzhemden zujubelten, welche die Wasserschläuche der Feuerwehr mit Äxten durchschlugen, damit das Gebäude gründlich niederbrennen konnte. Sie sahen auch Scheiterhaufen slowenischer Bücher vor dem Verdi-Denkmal brennen. Boris Pahor wurde für den Rest seines Lebens von der Erfahrung des Faschismus gezeichnet. Das Recht auf Kulturleben, wenig später das Recht auf physische Existenz der Slowenen in Italien, ist seitdem, auch nach dem Krieg, das Leitmotiv seiner Literatur geworden und geblieben. Jene Kritiker, die ihm vorgeworfen haben, er würde sich allzu sehr der "nationalen" Problematik annehmen, vergaßen geflissentlich, dass dahinter die tiefe existenzielle Erfahrung einer verbotenen Sprache, einer unterdrückten Kultur und gefährdeter Leben steckt. Sie vergaßen aber auch, dass sich Pahor während seines Studiums an der Universität Padua gründliche Kenntnisse in italienischer Literatur erworben hatte, die er in den Jahren nach dem Krieg nicht nur im Lyzeum von Triest lehrte, sondern worüber er auch eine ganze Reihe von langen Essays verfasste, in denen er ihre ästhetischen und ethischen Qualitäten bewunderte. Boris Pahor war mit seinen Bemühungen um die Daseinsberechtigung der slowenischen Minderheit kein Gegner Italiens, sondern des Faschismus und nach dem Krieg dessen nationalistischer Rezidive, die vor allem in Triest augenscheinlich weiterblühten. In jener Stadt, die sich gerne mit ihrem literarischen Weltbürgertum brüstete, während sie im Verhältnis zur slowenischen Minderheit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer noch äußerste Intoleranz und oft provinzielle Brutalität an den Tag legte.

Slowenischer Linkskatholik

Ende der 30er Jahre kam Pahor mit der intellektuell sehr wachen Bewegung der Christlichsozialisten in Kontakt, die sich in Ljubljana um den Dichter Edvard Kocbek und seine Zeitschrift Dejanje (Die Tat) versammelte. Die Gruppe, die enge Kontakte mit der französischen Zeitschrift Ésprit und ihrem Redakteur, dem Personalisten Mounier unterhielt, geriet in einen Konflikt mit dem damals vorherrschenden slowenischen Klerikalismus und näherte sich stark der Linken an. Doch war sie sich auch der Gefahr eines kommunistischen Totalitarismus bewusst. Dessen ungeachtet schlossen sich die Christlichsozialisten beim Ausbruch des Krieges der anfangs als Koalition gebildeten Befreiungsfront an, die im Laufe der Zeit von den Kommunisten völlig vereinnahmt wurde. Nach der Kapitulation Italiens und seiner Rückkehr aus Libyen, wohin man ihn nach der Einberufung in die italienische Armee schickte, schloss er sich dem slowenischen Widerstand in Triest an. Bald darauf wurde er von der Gestapo, die bereits damals in der Stadt herrschte, festgenommen, verhört und ins KZ geschickt.

Seine ersten Nachkriegsbücher haben Pahor in Slowenien beliebt, ja geradezu begehrt gemacht. Aber nicht für lange. Als sein Freund Edvard Kocbek in Ljubljana die Novellensammlung Strah in pogum (Angst und Mut) erscheinen ließ, die zum ersten Mal in der slowenischen Literatur auch die negativen Seiten des Partisanenwiderstands thematisierte, wurde gegen ihn ein regelrechter ideologischer Pogrom initiiert. Und Boris Pahor nahm den großen slowenischen Lyriker in einer slowenischen, in Triest erscheinenden Tageszeitung in Schutz. So geriet auch er in einen Konflikt mit dem neuen Totalitarismus. Um Pahor legte sich ein Ring des Schweigens und Verschweigens, es folgten politische Angriffe und Jahre der Einsamkeit. In Slowenien war er unerwünscht, in Italien ein Minderheitsautor, der in Slowenisch schrieb, eine nicht existente Person. Anfang der 70er Jahre wurden seine Essays Odisej ob jamboru (Odysseus am Mast), in denen er sich für politischen Pluralismus und eine größere Selbständigkeit Sloweniens innerhalb Jugoslawiens einsetzte, von den Beamten der Geheimpolizei in den Bibliotheken und Privatwohnungen beschlagnahmt. Einige Jahre darauf bekam er Slowenienverbot, da er in Triest in einem Interview mit Kocbek über die grauenhafte Wahrheit von Nachkriegsliquidierungen der politischen Gegner sprach und schrieb.

Europaweit neu entdeckt

Doch Pahor verfasste weiter seine Romane, Essays und Artikel. In Triest gab er die Zeitschrift Zaliv (Die Bucht) heraus, er engagierte sich stark in europäischen Organisationen für den Schutz von nationalen Minderheiten. In den 80er Jahren wurde Pahor der slowenischen Öffentlichkeit wieder präsentiert: durch Nachdrucke bereits erschienener Werke, aber auch in zahlreichen Interviews und Artikeln. In den 90er Jahren wurde er in Frankreich, Deutschland und Amerika übersetzt. Nur in Triest wissen seine italienischen Mitbürger, abgesehen von wenigen Intellektuellen, immer noch nichts von ihm. Mitunter denke ich mir, dass die Literatur von Pahor, die großteils aus den Nöten des bedrohten Lebens dieser Minderheit hervorgeht, eines Tages die ganze Welt kennen wird, während es die Minderheit selbst nicht mehr geben wird.

Boris Pahor lernte ich vor etwa 30 Jahren kennen, als ich noch Student war, ein Anfänger in der Literatur, und mich bald darauf auch in einem politischen Konflikt mit meiner engstirnigen und doktrinären Umgebung wiederfand. Im ersten Augenblick entdeckte ich in ihm nicht nur einen Autor, sondern auch einen freiheitsliebenden und aufständischen Menschen. 2003 waren wir beide bei der Buchmesse in Saint Malo an der Küste der Bretagne, wo ich meine erste, er jedoch bereits seine fünfte oder sechste literarische Übersetzung ins Französische präsentierte. Pahor begann in dem Saal, der gerammelt voll war - es kamen an die 800 Zuhörer - mit der ganzen Vehemenz, deren er fähig ist, über die Existenzberechtigung der bretonischen Kultur und Sprache zu reden und kritisierte scharf die Arroganz des zentralistischen Frankreich. Er wurde ständig vom Applaus des Saales unterbrochen.

Lust an Kritik und Disput

Als wir mit dem Zug nach Paris zurückfuhren, sagte ich ihm, er sei ein glücklicher Mensch. Nicht nur, weil seine Literatur, die von einigen slowenischen Kritikern gering geschätzt wurde und in Italien erst langsam durch französische oder deutsche "Umleitung" wahrgenommen wird, von einem Großteil Europas und Amerikas gekannt und geschätzt wird, nicht nur, weil manche seiner verbotenen Ideen, wie jene über das demokratische Slowenien, Wirklichkeit wurden, sondern weil er das ideologische und totalitäre Jahrhundert wie ein "homme révolté" von Camus durchlebte und seine Lust an Kritik und Disput selbst in seinem 90. Jahr nicht einbüßte. "Vielleicht hast du sogar Recht", erwiderte er. Dann blickte er auf die milde französische Landschaft, die er einst, im fernen Jahr 1945, aus jenem Zug gesehen hatte, in dem "unpassende Reisende" aus dem Konzentrationslager gefahren waren.

Aus dem Slowenischen von Mira Miladinovi´c Zalaznik.

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