Ein Sommer kindlicher Imagination

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Wenn Shaun Tans Bilderbuch etwas fehlt, dann ist das Musik. Genau in jenem Moment, als die zwei jungen Protagonisten mit Trommel und Trompete unter dem Titel "Die Regeln des Sommers“ hinwegmarschieren, sollte eigentlich "The Suburbs“ (2010) von Arcade Fire einsetzen. Beim Lesen des ersten Satzes: "Also das habe ich im letzten Sommer gelernt:“ wären dann die Verse "In the suburbs I / I learned to drive“ zu hören. Verwundert würde man zurückblättern und den älteren Jungen mit einem futuristischen Luftboot über eine Vorstadtgrenze schweben sehen. Der Jüngere - um Sekunden zu spät - bleibt wie eingefroren auf einer satten Sommerwiese zurück. In den 13 folgenden Momenten des kindlichen Sommers scheint die Zeit ebenfalls still zu stehen. Shaun Tan zeichnet einen Sommer des Nebeneinanders, einen Sommer der kindlichen Imagination und einen Sommer, der ganz bestimmten Regeln folgt. Diese Richtlinien bilden den spärlichen Text und werden neben kräftig kolorierte Bilder gesetzt. Meist liefern die Illustrationen prompt die Konsequenz des kindlichen Zuwiderhandelns. Denn wenn es heißt "Nie auf eine Schnecke treten“, folgt die Antwort in epischer Shaun-Tan-Manier: Während der Schuh des Jüngeren absichtlich auf eine Schnecke hinabfährt, zerlegt ein immenser Tornado die architektonische Konformität der Vorstadt.

Maßlosigkeit der Vorstellungskraft

Der Illustrator setzt - wie gewohnt - auf Szenerien, die auf die irdische Fragilität verweisen und zugleich die kindliche Maßlosigkeit der Vorstellungskraft widerspiegeln. Arcade Fire als assoziative Referenzfolie wäre gerade bei "But by the time the first bombs fell / We were already bored” angekommen und auch das Geschwisterpaar zeigt sich wenig beeindruckt vom tiefschwarzen Himmel. Schließlich muss man eine Parade organisieren. Der australische Künstler hat sich gewiss nicht neu erfunden. Muss er auch nicht, da durch die signifikante Ästhetik Gefühle beim Lesen/Sehen hervorgerufen werden, die mit Worten nur schwer zu beschreiben sind: Die Gleichzeitigkeit von Gemeinschaft und Distanz einer Freundschaft, wie sie oft nur Geschwister verspüren. Vielleicht vergleichbar mit der Intensität melancholischer Erinnerungen an den eigenen Sommer der Kindheit, der bei Arcade Fire so klingt: "So move your feet from hot pavement and into the grass / Cause it’s already past” und im Bilderbuch mit der letzten Regel auf den Punkt gebracht wird: "Nie den letzten Sommertag verpassen.” Eine weitere Regel muss lauten: Nie den letzten Shaun Tan verpassen; weder mit einem, noch mit 99 Jahren.

Die Regeln des Sommers

Von Shaun Tan, aus dem Engl. v. Eike Schönfeld, Aladin 2014.

48 Seiten, gebunden, E 20,50

Buchtipp von Furche, Stube und Institut für Jugendliteratur

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