Ein Städtle mausert sich

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Die Stadt am Bodensee wird zunehmend offener. Städtebaulich, verkehrstechnisch und auch durch seine Einwohner. Das war nicht immer so.

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Die Stadt am Bodensee wird zunehmend offener. Städtebaulich, verkehrstechnisch und auch durch seine Einwohner. Das war nicht immer so.

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Nie war es deutlicher als heuer: Vorarlbergs Landeshauptstadt kennt nur zwei Jahreszeiten. Die beiden Festspielmonate einerseits und die Zeit davor und danach. Der Übergang gestaltet sich kurz. Kaum sind die Künstler abgereist, sinkt Bregenz in den zarten Dämmerschlaf einer Kleinstadt, die es sich recht komfortabel eingerichtet hat am Ufer des Bodensees.

Vor zehn Jahren, als die Stadt zum Ende der Regierungszeit ihres langjährigen Bürgermeisters Fritz Maier (SPÖ) in Lethargie zu fallen drohte, hatte man die Vorarlberger Städtekonkurrenz so gut wie verloren. Dornbirn Einkaufsstadt, Feldkirch Montfortstadt, Bludenz mit einer hinreißenden Innenstadt. Und Bregenz? Siechte dahin im ewig währenden Streit der Wirtschaftstreibenden um ein paar Quadratmeter Boden, während man im Großen ganze Fußballfelder an Bedeutung verlor. Die offenen Fragen waren wie überall dieselben: Verkehr, Kaufkraftabwanderung und im Gegenzug jener fatale Hang zur Großstadt, wie er kleineren Kommunen mitunter eigen ist.

Bregenz, Sommer 1998: Es ist spät abends. Die großzügigen Fußgängerzonen sind voller Menschen. In Trauben stehen sie um die Freiluftbars. Die schwüle Hitze des Tages ist vom Pflaster gewichen. Musik dringt aus den Cafes, Gemurmel, Gelächter. Und aus der Kanalisation erklingt die Zeitansage: "Es wird mit dem Summerton ..." Ein Kunstwerk.

"Kunst in der Stadt" und über der Stadt. Das eigentümliche Geräusch, das sich von den Kirchtürmen über Bregenz ergießt, stammt eigentlich vom See. William Furlong führt den Bregenzern vor, wie ihr See in zehn Metern Tiefe klingt. Aber nicht jeder will das wissen. Auf der Stelle entspinnt sich ein Leserbriefkrieg. Und ein Pfarrer greift schließlich zur Selbsthilfe: Auf den Kirchturm der Seekapelle klettert er und kappt die Kabel. Dabei geht einiges zu Bruch. Doch Bregenz hat fürderhin seinen Don Camillo, lachend wird ein Spendenkonto eingerichtet. Und auch die Kunst selber reagiert lächelnd. Tage später steht am Kornmarktplatz eine Stele mit eingebautem Mikrophon. Die Bürger sollen sich ihren Ärger von der Seele reden. Wird alles aufgezeichnet. So avanciert die Verstimmung, eh sie sich's versieht, selbst zum Kunstwerk.

Und so nimmt sich auch die Planung der nächsten Jahre aus. Bürgermeister Markus Linhart (ÖVP) hat vom Vorgänger eine allmählich aufstrebende Stadt übernommen. Siegfried Gasser hatte nicht nur die Landeshauptstadt für die Volkspartei zurück erobert, er hatte auch längst fällige Entscheidungen zu treffen. Die mehrspurige Stadtstraße ist eine davon. Sie trennt den See von der Stadt, soll den Verkehr an der Innenstadt vorbei führen und schafft das in der Regel auch. Das Gebäude der Seegalerie - im Volksmund ob der Farbe respektlos "Leberkäs" genannt - hat im Tourismushaus eine Fortsetzung erfahren. Neue Architektur fügt sich heute angenehm neben ältere Bausubstanz.

Die beiden Krankenhäuser werden kommendes Jahr von Grund auf saniert, ein Sozialzentrum ist geplant. Der Festspielbezirk wird als nächstes enger an die Stadt gebunden.

Apropos Bregenzer Festspiele: Die sind heute endgültig aus der unseligen Konkurrenz zu Salzburg herausgetreten. Die haben sie auch nicht nötig. Das Festival hat völlig eigenen Charakter, wegen des "Spiels auf dem See", der erfolgreichen Opernaufführungen im Haus, vor allem aber, weil man es verstand, die ganze Stadt miteinzubeziehen. Überhaupt ist das kulturelle Leben bester Indikator für den Wandel der Stadt. Das Künstlerhaus bietet durchwegs exquisite Ausstellungen, die mitunter zur Auseinandersetzung zwingen. Das Kunsthaus fand nicht nur aufgrund seiner Architektur internationale Anerkennung. Eine Reihe von Galerien und das Landesmuseum schließen sich an. Vor allem aber findet Kunst in Bregenz - zumindest während der Sommermonate - nicht hinter verschlossenen Türen, sondern überall statt: In den Straßen, am See, in der Luft. Ein überaus lebenswertes "Hauptstädtle" ist es, das sich die Vorarlberger da leisten.

Der Autor ist Lokalchef der "Vorarlberger Nachrichten".

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