Ein störanfälliges, aber reifes Verhältnis

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Die neuformulierte Fürbitte für den tridentinischen Ritus führte 2008 zu Kontroversen zwischen katholischer Kirche und dem Judentum. Dennoch gehört zum Profil des christlichen Glaubens ein bedeutendes Element der Verbundenheit und Nähe zu den Juden.

Es kann in Tagen militärischer Auseinandersetzung zwischen dem Staat Israel und der palästinensischen Hamas die Frage nach dem aktuellen Stand des Verhältnisses von Judentum und Christentum eine beträchtliche Verlegenheit wachrufen. Darin zeigte sich die Störanfälligkeit eines Verhältnisses an, das geschichtlich schwer belastet ist. Seine Störanfälligkeit kann in konkreten Situationen eruptiv aufbrechen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die politische Lage im Nahen Osten zu christlich-jüdischen Kontroversen führt.

So geschah es während des Israel-Libanon-Konflikts vom Sommer 2006. Damals zeigte sich eine Reife des christlich-jüdischen Dialogs, als jüdische und christliche Dialogpartner die ethischen Dilemmata einer Situation freimütig diskutierten, in der das Recht auf Verteidigung eines bedrohten Staates grundsätzlich anerkannt, aber die Frage nach dem Recht in der militärischen Auseinandersetzung höchst strittig beantwortet wurde.

Reife christlich-jüdischen Dialogs

Die Störanfälligkeit im aktuellen Verhältnis von Judentum und Christentum meldet sich häufiger in theologischen Kontroversen. Das war mehrfache Erfahrung im langen Pontifikat von Papst Johannes Paul II., der ein neues Klima in der katholisch-jüdischen Beziehung herbeigeführt hatte. Und es zeigt sich auch unter Papst Benedikt XVI., der zu Beginn seines Pontifikates ausdrücklich erklärte, die Schritte der Verbesserung im Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk fortsetzen zu wollen.

Dieser Wille ist in der Überzeugung verankert, dass Juden und Christen "sich in einer tiefen inneren Versöhnung gegenseitig annehmen (sollten), nicht unter Absehung von ihrem Glauben oder gar unter dessen Verleugnung, sondern aus der Tiefe des Glaubens selbst heraus". Ohne Zweifel sieht Benedikt im Verhältnis der Kirche zum Judentum eine theologische Grundfrage. Darin folgt er seinem Vorgänger, schreitet aber in seinen Adressen nicht den von Johannes Paul II. skizzierten theologischen Horizont aus.

Vielmehr betont er die ethische Verpflichtung aus dieser Beziehung, deren biblischem Fundament er in seinem Jesus-Buch nachgeht. Er mahnt dort zum ehrfürchtigen Hinschauen der Christenheit auf den "Gehorsam Israels" gegenüber den Geboten Gottes und führt einen literarischen Dialog mit dem Jesus-Verständnis des amerikanischen Rabbiners Jacob Neusner (Ein Rabbi spricht mit Jesus. Ein jüdisch-christlicher Dialog, München 1997, Seite 131-160).

Klima zwischen Christen und Juden

Im Dialog des Papstes mit dem Rabbiner kommt etwas vom Klima zwischen Christentum und Judentum heute zum Vorschein. Wenn heute in christlicher Theologie die Rede von Gott bedacht wird und dabei der einzigartigen Beziehung zwischen dem Christentum und dem Judentum Rechnung getragen wird, dann stellt jüdische Deutung eine Instanz für die Erkenntnisbildung christlicher Theologie dar. Diese konsultiert heute jüdische Stimmen. Jüdische Tradition ist ein theologischer Ort für die christliche Theologie. Die Grundentscheidung der Theologie wird vom Papst durch seinen Dialog mit Jacob Neusner gefördert.

Die positive Grundströmung in der Beziehung von Papst Benedikt zum Judentum und jüdischen Volk geriet unter einen heftigen Argwohn, als er am 4. Februar 2008 für die Gläubigen, welche die Liturgie nach der außerordentlichen Form in tridentinischer Tradition feiern, eine eigene Karfreitagsfürbitte "für die Juden" veröffentlichen ließ. Die Fürbitte löste eine Krise im katholisch-jüdischen Verhältnis aus, welche sich in zahlreichen Reaktionen und Kommentaren äußerte.

Rabbiner und jüdische Gremien protestierten, dass die Fürbitte "die Juden erniedrige", und beklagten einen "Bruch" des besonders unter Johannes Paul II. gewachsenen gegenseitigen Vertrauens; auch Stimmen aus Kirche und Theologie zeigten sich bestürzt über Inhalt und Wirkung der Fürbitte von Papst Benedikt.

Unterschiedliche Fürbitt-Akzente

Der neutestamentlich geprägte Text der Fürbitte 2008 spricht nicht von einem missionarischen Zugehen der Kirche auf das jüdische Volk. Das aber wurde in der Kontroverse vielfach behauptet, wie auch nicht wenige Stimmen einen Gegensatz zwischen der Fürbitte 2008 und der Karfreitagsfürbitte des Messbuchs 1970 bzw. seiner deutschen Fassung von 1976 gesehen haben.

Man wird einen unterschiedlichen Akzent zwischen beiden Fürbitten nicht leugnen können, kommt es doch in der Fürbitte 2008 nicht zu einer ausdrücklichen positiven Würdigung jüdischer "Treue zu seinem (Gottes) Bund und in der Liebe zu seinem Namen" wie in der Fürbitte 1970.

Diese ist das liturgische Herzstück der Haltung des Respekts der Kirche gegenüber dem Judentum und bleibt das "Hauptgebet" der Kirche für die Juden. Es ist bedauerlich, dass der Papst vor der Veröffentlichung der neuen Bitte nicht das Gespräch mit jüdischen Partnern geführt hat. Die nachfolgenden wichtigen Erläuterungen durch Kardinal Walter Kasper hatten mit dem Eindruck eines Defizits von Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft zu kämpfen.

Respekt gegenüber dem Judentum

Insgesamt kann man sagen: In der Beziehung der katholischen Kirche zum jüdischen Volk und Judentum bleibt es bei der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen positiven Haltung und Lehre des Respekts der Kirche gegenüber dem Judentum. Die Kontroverse um die Fürbitte 2008 hat der Theologie ein verschärftes Nachdenken darüber aufgegeben, ob die Ungekündetheit des Bundes Gottes mit Israel die universale Heilsbedeutung Jesu Christi einschränkt. Die Diskussion darüber fügt sich zu weiteren Versuchen, in der Differenz zwischen jüdischem Gottesverständnis und christlichem Christusbekenntnis nach Aspekten der Nähe zu fragen.

Kritischen jüdischen Anfragen zum christlichen Glauben, dass Gottes Sohn in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist, stehen jüdische Hinweise zur Seite, dass die jüdisch geglaubte Nähe Gottes durchaus eine im weiteren Sinn inkarnatorisch geprägte Gegenwart annehmen kann. Bei der Aufnahme dieser Hinweise kann ein Profil des christlichen Glaubens hervortreten, zu dem selbst im tiefsten Unterschied ein bedeutendes Element der Nähe und Verbundenheit gehört.

Solches Zusammen von Differenz und Nähe fand bereits einen poetischen Ausdruck bei Martin Buber: "Kein Mensch außerhalb von Israel weiß um das Geheimnis Israels. Und kein Mensch außerhalb der Christenheit weiß um das Geheimnis der Christenheit. Aber nichtwissend können sie einander im Geheimnis anerkennen."

* Der Autor, em. Leiter der Bischöflichen Akademie Aachen, ist einer der bedeutendsten Förderer des christlich-jüdischen Gesprächs.

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