Ein Stück Unendlichkeit in Wien

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"The Morning Line“ ist eine multimediale, klingende Skulptur aus modularen, fraktalen Elementen, die in drei Container passen. Nach Venedig, Istanbul und anderen Städten ist sie nun in Wien am - sonst wenig belebten - Schwarzenbergplatz gelandet.

Der Schwarzenbergplatz ist ein Ort mit viel Geschichte, viel Verkehr und dem Hochstrahlbrunnen am hinteren Ende, vor dem Touristen gern posieren. Er ging 1873 zur Feier der Vollendung der ersten Hochquellwasserleitung in Betrieb. Außerdem steht hier seit 1945 das sowjetische Befreiungsdenkmal. Zwischen 2002 und 2004 wurde der Schwarzenbergplatz nach Plänen des spanischen Architekten Alfredo Arribas umgestaltet. Er zeigt sich nun entrümpelt, urban und mit neuen Bodenstrahlern und Lampenmasten bestückt, die seine Achsialität betonen. Viel populärer wurde er dadurch nicht. Man quert ihn, wenn man ins Stadtkino will. Oder mit der Straßenbahn zum Zentralfriedhof. Oder ins Café Schwarzenberg. Das aber liegt eigentlich noch am Ring. Kurz: für Wiener und Wienerinnen ist der Schwarzenbergplatz kein Ort, auf dem man gern verweilt.

Das könnte sich nun ändern. Zumindest bis 20. November: Denn so lange wird die klingende Skulptur "The Morning Line“, die Matthew Ritchie mit Aranda/Lasch und Arup AGU entwickelt hat, am Schwarzenbergplatz vor dem Hochstrahlbrunnen stehen. Vor etwa sieben Jahren begann Francesca Habsburg mit Matthew Ritchie die Umsetzung eines höchst ambitionierten Projekts für ihre Stiftung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (T-B A21) anzudenken: Es sollte nicht mehr und nicht weniger als eine Art dreidimensionales Abbild des Universums sein. Damit war die Idee zur "Morning Line“ geboren, einem einzigartigen, interdisziplinären Work-in-Progress. "Ich liebe es, Regeln zu brechen: mir schwebte ein mobiler Pavillon vor, der Grenzen zwischen den Kunstgattungen aufhebt. Außerdem musste er leicht abgebaut, in Containern transportiert und überall aufgestellt werden können“, so Francesca Habsburg über ihre Vision, die Kunst aus den Museen zu befreien und zu den Menschen zu tragen. Die "Morning Line“ ist eine sehr spezielle Skulptur im öffentlichen Raum. In ihr treten gleichsam diverse Sparten - Performance, Installation, Architektur, Musik, Film - und kosmologische Gesetzmäßigkeiten mit einem bestimmten Ort, den dortigen Passanten und einem eigens dafür konzipierten Musikprogramm in Interaktion.

Musik räumlich erleben

Drei Jahre Entwicklungsarbeit stecken in dieser Skulptur, die von den Meyer Sound Laboratories tontechnisch aufgerüstet wurde. Tony Myatt, Professor am Music Research Centre der University of York, und seine Studierenden programmierten die Schnittstellen so, dass das Werk nun als Klanginstrument betrachtet werden kann. "Über die gesamte Struktur sind etwa 50 kleine Lautsprecher verteilt, die einen Surround Sound erzeugen“, so Tony Myatt. Dadurch kann man innerhalb der "Morning Line“ dem Klang förmlich nachgehen, ihm folgen und die Musik räumlich erleben. Mit unterschiedlichen Auftragskompositionen beschallt, tourte sie als ortsspezifische Manifestation der Unendlichkeit bereits durch verschiedene Städte und nahm dabei jeweils eine eigens modifizierte Gestalt an. So war sie bereits auf der Biennale von Venedig, in Sevilla, Berlin und Istanbul zu Gast.

"Wir haben nach einer kosmischen Urform für unsere modulare Struktur gesucht“, so Benjamin Aranda. Der fraktale Aufbau eines Kristalls wurde in ein dreidimensionales Element transformiert. "Unser Basisbaustein ist eine Pyramide, die wir in vier unterschiedlichen Größen variieren.“ Diese aus Dreiecken aufgebaute Form ist extrem stabil, aus schwarz beschichtetem Aluminium und lässt sich zu imposanten, organisch anmutenden, begeh- und bespielbaren Strukturen zusammenbauen. Ihre Kombinationsmöglichkeiten sind schier unendlich, die Addition der dreidimensionalen Module ergibt faszinierend signifikante Gebilde.

Kompositionen von 28 Tonkünstlern

Sie erinnern an Eiskristalle, Scherenschnitte, Blattadern oder Blumen. Die vielschichtigen, zu ihrer Umgebung diffusionsoffenen Räume, die sie ausbilden, sind durch parametrisches Design entstanden. "Wir bauen fraktale Netzwerke“, so Ben Aranda. Die Wiener Version der "Morning Line“ ist etwa 20 Tonnen schwer, neun Meter hoch und 23 Meter lang. "Wichtig war uns, dass die kristalline Struktur die Achse des Platzes aufnimmt.“ In der Mitte bildet sie einen portalartigen, offenen Durchgang, neben dem zwei tropfsteinhöhlenartig überwölbte Räume entstehen, die mit den Häusern am Eck in Beziehung treten. Außerdem gibt es Projektionsflächen für Filme. Die musikalische Wiener Mischung wurde von Franz Pomassl kuratiert, ist sehr international und beinhaltet Kompositionen von 28 Tonkünstlern - von der jungen ukrainischen Soundmeisterin Zavoloka über den Isländer Finnbogi Pétursson bis zum heimischen Elektronik-Papst Christian Fennesz. Bis jetzt war die "Morning Line“ bestens besucht. Es tut sich endlich was am Schwarzenbergplatz.

The Morning Line - Vienna

bis 20. November

Schwarzenbergplatz, 1040 Wien

Programm unter www.tba21.org

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