"Ein Theater für diese Stadt"

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Im September tritt Michael Schottenberg als Volkstheater-Direktor an. Er beginnt mit Christoph Klimkes "Spiegelgrund" - eine ungewöhnliche Eröffnungspremiere über die Geschichte der Stadt in der Inszenierung des "Regie-Berserkers" Johann Kresnik. Die furche sprach mit Schottenberg über Querdenken, Stars, den "Hundsturm" und die "Rote Bar".

Die Furche: Herr Schottenberg, Sie eröffnen Ihre Direktion mit einem für Wien heiklen Thema, "Spiegelgrund", und kündigen an, dass Sie querdenkerisch arbeiten wollen. Wogegen quer?

Michael Schottenberg: Zum Mainstream. Mit der Eröffnungspremiere "Spiegelgrund" setzen wir ein eindeutiges Zeichen, dass wir uns mit der Geschichte dieser Stadt beschäftigen werden, das ist durchaus ein querdenkerischer Start, ein stacheliger Beginn. Für "Spiegelgrund" hatte ich das richtige Team, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich begreife das Volkstheater als einen demokratischen Ort, wo auch schwierige Themen verhandelt werden.

Die Furche: Was bedeutet für Sie "Volkstheater" eigentlich?

Schottenberg: Das Volkstheater soll ein Theater für diese Stadt sein, das heißt, dass es die Themen, die Rhythmen, die Sprache dieser Stadt verhandeln wird. Es soll klar erkennbar sein, dass dieses Volkstheater in Wien steht, und nicht in Bielefeld oder Salzburg oder Hamburg. Ich verstehe das Volkstheater als ein Stadttheater für Wien, das mutiger und schriller sein kann als andere Theater und lokal Stellung bezieht. Das Volkstheater soll auch über ein unverwechselbares Ensemble verfügen, so wie damals das Schauspielhaus unter Hans Gratzer. Das Ensemble des Volkstheaters besteht aus Menschen, die das Theater viel ursprünglicher begreifen und keine unnahbaren Stars sind - die ich mir übrigens auch gar nicht leisten kann und will.

Die Furche: Sie wollen also keine Stars?

Schottenberg: Doch, ich will Stars, aber selbst gemachte Stars. Ich begreife Maria Bill oder Wolfram Berger als Stars, sie lassen sich aber nicht kaufen. Sie sind Schauspieler, die gemeinsam an einem Thema arbeiten wollen. Das macht das Volkstheater-Ensemble auch aus, dass sie alle miteinander arbeiten wollen, und das ist ein Riesenunterschied zu anderen größeren Bühnenhäusern. Das Team besteht zu einem Großteil aus Leuten aus der freien Szene, wie etwa Gregor Seberg oder Beatrice Frey. Sie gehen nur dorthin, wo eine Gesinnung stimmt, wo es Gemeinsamkeiten gibt.

Die Furche: Welche Gesinnung?

Schottenberg: Das Bedürfnis, Geschichten zu erzählen, die relevant sind für die heutige Zeit. Das Volkstheaterensemble wird sich einbringen und mitgestalten können, das ist in durchschnittlichen Theaterbetrieben nicht üblich. Dort ist man Dienstleistungsschauspieler und wird nicht gefragt. Bei uns sprechen wir miteinander darüber, wer was spielen möchte oder ob es der betreffenden Person wesentlich ist, was sie spielt.

Die Furche: Sie haben also Ihr Ensemble nach diesen Gesichtspunkten zusammengestellt?

Schottenberg: Die Ursprungsfrage war: Wer kann was spielen, und wie passt das Ensemble zueinander? Wir wollen über Zivilcourage, Liebe und Haltung von Menschen erzählen. Alle Stücke, die ich inszeniere und die am Spielplan stehen, beinhalten erzählenswerte Inhalte.

Bei den Regisseuren habe ich Personen eingeladen, die sich alle bereits einen Namen gemacht haben und die ich für die Regisseure von morgen halte. Sie spielen in einer Liga zwischen Staatsheater und freier Szene und bringen für Wien etwas Neues. Bei uns inszeniert beispielsweise "Kasimir und Karoline" nicht ein bewährter Horváth-Interpret wie Michael Gruner, sondern Annette Pullen mit ihrer eigenen Theatersprache. Pullen ist zurzeit eine der Top-Versprechen im deutschsprachigen Theater.

Die Furche: Mit dem "Hundsturm" als Nebenspielbühne im fünften Bezirk eröffnet ein neues Theater in Wien. Erschließen Sie auch damit eine neue Region innerhalb der Stadt?

Schottenberg: Tatsächlich ist der "Hundsturm" in einer Gegend, die quasi ein weißer Fleck in kultureller Hinsicht ist, aber in erster Linie geht es darum, den dortigen Probenraum als Spielort zu etablieren. In erster Linie sollen dort riskantere Produktionen gezeigt werden. Es wird ein Ort für Versuche, für neue Texte sein, denen die Intimität gut tut.

Die Furche: Das Medium Film spielt in Ihrem Spielplan eine wichtige Rolle. Was versprechen Sie sich von dieser Verbindung?

Schottenberg: Einerseits kommt mit Hugo Bettauers "Die Stadt ohne Juden" ein Sideprojekt im Bellaria-Kino vor, andererseits werden mit Filmregisseur Thomas Roth, der Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" inszeniert, die Zeichensprachen Film und Theater miteinander verknüpft. Roth hat sich als erzählerischer Film-Regisseur bewährt. Für mich ist er einer der aufregendsten Zuhörer und zugleich ein Schauspielerregisseur. Das ist im Film sehr selten. Zugleich hat Roth eine enge Beziehung zu Bernhard. Mit ihm als Filmregisseur wird das Prisma einmal herumgedreht und beobachtet, wie sich der Blick schärft und andere Lichtbrechungen einen Text, den man ja kennt, plötzlich neu erscheinen lassen.

Die Furche: In der letzten Zeit passieren am Theater verstärkt Roman-Dramatisierungen. Auch Sie haben Gustav Meyrinks "Der Golem", Hugo Bettauers "Die Stadt ohne Juden", Leonhard Franks "Von drei Millionen drei" am Spielplan. Was versprechen Sie sich von der Theatralisierung von als Prosa konzipierten Texten?

Schottenberg: Ich glaube, dass es eine Bereicherung darstellt, einen Text in ein anderes Medium zu stellen. Bei starken inhaltlichen Behauptungen gibt es eben auch das Bedürfnis, diese mit anderen künstlerischen Ausdrucksweisen zu konfrontieren, und davon erwarte ich mir etwas Neues. Solche Projekte muss man als große Delikatesse behandeln und darf auch nicht so tun, als ob der Text ein Bühnenstück wäre.

Die Furche: Sie bauen das Haus um und richten ein Lokal im ehemaligen Pausenfoyer ein, die "Rote Bar". Politisch rot?

Schottenberg: Samtrot. Aber braune Bar hätte ich sie gewiss nicht genannt. Hier kann man mit den Künstlerinnen und Künstlern reden, essen, trinken; das Volkstheater soll ein Ort der Sinnlichkeit sein.

Das Gespräch führte Julia Danielczyk.

Sinnliches Theater,das Geschichten erzählt

Michael Schottenberg wurde am 10. Juli 1952 in Wien geboren. Der am Schauspielseminar des Mozarteum in Salzburg ausgebildete Schauspieler und Regisseur war für einige der wichtigsten Erfolge der ersten Direktionszeit von Hans Gratzer am Schauspielhaus Wien verantwortlich (unter anderem "Piaf", "Der Kontrabaß" und "Rocky Horror Picture Show"). 1984 gründete er seine eigene Truppe "Theater im Kopf" ("TiK"). Nach Engagements an diversen Bühnen im In- und Ausland, darunter zum Beispiel am Schlossparktheater in Berlin ("Weiningers Nacht", "Indien") inszenierte Schottenberg im Raimund Theater das Musical "Grease" (1994). Am Volkstheater Wien führte Schottenberg bereits mehrmals mit Erfolg Regie, etwa bei "Cyrano de Bergerac" (1996), wofür er den Karl-Skraup-Preis, den wichtigsten österreichischen Theaterpreis, erhielt, bei "Mirandolina" (1998), "Der Talisman" (2001) und "Mutter Courage und ihre Kinder" (2004). Ein wichtiges Stück unter seiner Direktion wird Ödön von Horváths "Kasimir und Karoline" sein. Er selbst spielte darin 1979 den Franz Merkel - die Furche prophezeite ihm

damals eine große Karriere. Als Volkstheaterdirektor will Schottenberg "mit interessanten Themen, mit einem

hervorragenden Ensemble, mit Aufsehen erregenden

Zeichen und mit sinnlichen Eindrücken" Theater

machen, denn: "Hier hapert es in Wien momentan - großes sinnliches Theater, das Geschichten erzählt."

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