Ein verkannter Herrscher
Die Schallaburg zeigt eine Ausstellung über Franz Stephan von Lothringen (1708 bis 1765).
Die Schallaburg zeigt eine Ausstellung über Franz Stephan von Lothringen (1708 bis 1765).
Die Schallaburg bei Melk widmet den Großteil ihrer Ausstellungsräume während der laufenden Ausstellungssaison einer his-torischen Gestalt und ihrem Wirken: "Lothringens Erbe. Franz Stephan von Lothringen (1708-1765) und sein Wirken in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst der Habsburgermonarchie". Franz I. Stephan von Lothringen (1708 bis 1765) ist in unserem Bewusstsein vor allem als Mann der habsburgischen Monarchin Maria Theresia und Vater einer großen Kinderschar fest verankert. 1745 wurde er in Frankfurt zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt. Doch als solcher erscheint er uns merkwürdig profillos im Schatten seiner Gemahlin stehend.
Seit den sechziger Jahren bemühen sich Wissenschaftler in den verschiedenen europäischen Ländern um eine Neubewertung Franz Stephans. Unsere Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hat Maria Theresia und Friedrich II. zu den wichtigen Habsburger Herrschern stilisiert. Dadurch wird verhüllt, dass mit Kaiser Karl VI. die männliche Erbfolge durch die Pragmatische Sanktion auf Maria Theresia überging und die Nachkommen den Namen Habsburg-Lothringen tragen. Franz Stephans politische Einsichten deckten sich nicht unbedingt mit jenen seiner Gemahlin und vor allem nicht mit jenen ihres Beraters Graf Kaunitz. Auf Anweisung Maria Theresias sollen etwa Dokumente dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv entnommen worden sein, um die konträre politische Position ihres Gemahls zu verheimlichen. Als Unternehmer war Franz Stephan wesentlich erfolgreicher als Maria Theresia, deren Staatsetat unter einem beträchtlichen Defizit litt; zu spät (erst 1763) überantwortete sie Franz Stephan die budgetäre Verwaltung. Er machte zwei marode Güter (Holitsch und Sassin) durch moderne Wirtschaftsführung in wenigen Jahren zu Musterbetrieben. Das Einzugsgebiet gab bis zu 20.000 Menschen Arbeit. Seinen Erben hinterließ er ein Vermögen (in Bargeld, Realitäten und Papieren) von rund 17 Millionen Gulden.
Mit dem Durchschreiten der Räume ersteht eine facettenreiche Persönlichkeit: von bester Herkunft und Bildung, mit 15 Jahren nach Wien geholt und auf seine zukünftige Rolle als Familienmitglied der Habsburger Dynastie vorbereitet. Vielseitig interessiert musste er erkennen, dass er als Heerführer kein Talent besaß. Er hatte das Glück, einige Männer an seiner Seite zu haben, die ihm loyal dienten und, er besaß das Gespür, ihre herausragenden Eigenschaften zu erkennen. Begabte junge Männer förderte er, indem er sie ausbilden ließ, gab ihnen dann die entsprechenden Posten und bezahlte sie - im Gegensatz zu seinem Schwiegervater - sehr gut.
Franz Stephan investierte einen Teil seines Privatvermögens in Forschungsreisen, die seine Vertrauten innerhalb der Habsburgermonarchie unternahmen (als einträglich erwiesen sich schließlich die oberunga-rischen Bergbaugebiete) und in eine Expedition nach Mittelamerika zur Beschaffung von exotischen Pflanzen für den botanischen Garten, Tieren für die Menagerie und Schaustücken für seine Sammlungen. Der Kaiser verschaffte sich technisches Know-how aus dem Ausland, zum Beispiel für den Bergbau.
Sein "Büro" in der Wallnerstraße - das "Kaiserhaus", wie es im Volksmund hieß - war die Verwaltungszentrale seiner Güter und Länder, hier waren zunächst seine Sammlungen untergebracht, hier wurde geforscht, experimentiert, archiviert. Sogar ein Labor fand hier Platz.
Bis 29. Oktober
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!