Ein Weiterleben am Erinnerungshaken

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Eine enttäuschende Uraufführung von Maja Haderlaps "Engel des Vergessens" feierte am Akademietheater Premiere. Die Bühnenfassung des mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Romans entstand in Zusammenarbeit von Autorin und Regisseur Georg Schmiedleitner.

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Eine enttäuschende Uraufführung von Maja Haderlaps "Engel des Vergessens" feierte am Akademietheater Premiere. Die Bühnenfassung des mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Romans entstand in Zusammenarbeit von Autorin und Regisseur Georg Schmiedleitner.

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Manches sei so fürchterlich, dass es sich sträube, Literatur zu werden, schrieb Ulrich Greiner im Juli 2011 in der Zeit, in seiner Rezension des Romans "Engel des Vergessens" der damals gerade frisch gekürten Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap.

Anlässlich der jetzt im Akademietheater zur Uraufführung gelangten Bühnenfassung des Romans, die die Autorin zusammen mit Regisseur Georg Schmiedleitner angefertigt hat, möchte man in Anlehnung an Greiners Verdikt anmerken, dass manche Romane sich gegen die Bearbeitung für das Theater sperren. Ja, mehr noch: auch manche Geschichten lassen sich mit den Mitteln des Theaters kaum noch glaubhaft vermitteln.

Poetische Kraft des Romans

In ihrem unverhohlen autobiografischen Prosadebüt erzählt die 1961 geborene Kärntner Slowenin aus der Perspektive der Nachgeborenen die Geschichte ihrer Familie aus dem Südkärntner Lepena-Graben. Da, auf dem Bauernhof im hügeligen Grenzland zwischen Österreich und Slowenien gibt es die Mutter, zu der die Beziehung schwierig ist. Deshalb wendet sich das Kind der Großmutter zu, deren Schlafzimmer einem Gedächtnisort gleicht und der Schriftstellerin im Nachhinein als "Brutzelle" erscheint, in der sie geformt worden sei, als die Großmutter beschließt, das Kind an den Jahren, die sie am tiefsten gezeichnet haben, die Internierung im KZ Ravensbrück, teilhaben zu lassen.

Und da gibt es den Vater, der 1943 als noch nicht 12-jähriger Bauernknabe zum jüngsten Partisanen im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht wurde und den die Erinnerung an das Erlittene, wie viele andere, nicht mehr loslassen wird. Zudem kommt auch noch die Verbitterung über die Stigmatisierung dieses Widerstandskampfes (des einzigen militärisch organisierten in Österreich) in Kärnten nach 1945. Mit Bildern von großer poetischer Kraft schildert Haderlap, wie der Krieg noch immer das Leben des dörflichen und familiären Gefüges bestimmt, wenn der Vater wieder einmal für ein paar Tage die Fassung verlor und sich der Krieg "wie ein zweites Wesen von innen her mit dem Rücken gegen seine Augenöffnung schiebt". Seine lähmende Melancholie, die Angstanfälle, die Selbstmordversuche, die Alkoholexzesse erscheinen dem Kind dann wie "nicht detonierte Geschosse aus der Vergangenheit" und es überlegt schon früh, sich aus der Kindheit zu verabschieden, um den Vater zu retten.

Bühnenwirksame Bilder

Das sind die Teile, die dem Buch seine unerhörte Kraft geben, wie das heranwachsende Mädchen allmählich begreift, dass es die Vergangenheit ist, mit der es rechnen muss, Zukunft ohne Vergangenheit nicht zu haben sein wird, und es daher lernt, ihre Überreste in einen Zusammenhang zu bringen. "Unentwegt kreise ich um den historischen Schlund, in dem alles untergegangen scheint", heißt es im Buch einmal, und es besticht gerade in diesem Ringen der Autorin nach einer angemessenen Darstellung, nach dem "einsamen Wort", das sich der Angst des Vaters in den Weg stellen würde.

Von diesem unbedingten Ringen um sprachliche Vermittlung weiß die Theaterversion leider nichts. Sie wirkt, als hätten sich die Autoren vor allem dafür interessiert, ein bislang unterbeleuchtetes Kapitel der jüngeren österreichischen Geschichte ins Bewusstsein zu bringen. Bruchstückhaft erzählt sie von der todestrunkenen Familiensaga, mit ihren Hauptpersonen, dem Vater, dessen gequälte Seele Gregor Bloéb mit großer Intensität spielt, und der Großmutter, deren Härte und Lebensklugheit Elisabeth Orth glaubhaft verkörpert. Ihnen ist der Chor der Verschwundenen gegenüberstellt, der die politische Ambition der Theatralisierung unterstreicht. Regisseur Schmiedleitner und sein Bühnenbildner Volker Hintermeier evozieren auch bühnenwirksam Bilder mit bienendurchsummten Wiesen und dunklen Wäldern, wobei sie überdeutlich machen, dass die Landschaft hier nicht mehr unschuldig ist, weil sie der Krieg unterjocht hat, bot sie den Partisanen doch einst Unterschlupf, von wo aus der Kampf organisiert worden ist. Damit ist sie auch für die nachfolgenden Generationen verloren.

Das wirkt alles recht kunstgewerblich, es gelingt der Theaterversion auch nicht nur annähernd, wovon der Roman so unvergleichlich Zeugnis abzulegen fähig ist, nämlich davon zu erzählen, wie noch die Nachgeborenen unter dem leiden, was die Eltern nicht vergessen können. Als Fazit bleibt zu sagen, Haderlap hat mit "Engel des Vergessens" einen bedeutenden Roman geschrieben, ein bedeutendes Theaterstück ist es aber nicht.

Engel des Vergessens

Akademietheater

26., 28., 29. September

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