Ein X und O vormachen

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Auch um die Fernseh- und Radioqualität zu sichern, ist unabhängige, öffentliche Kontrolle dringend nötig.

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Seit 1. Jänner ist es soweit: Der ORF kennzeichnet seine Sendungen mit Gewalt- oder Sexszenen. Bildschirmprodukte, die für Kinder ungeeignet sind, erhalten ein "X" neben dem ORF-Logo in der rechten Bildschirmecke, nur für Erwachsene gedachte Sendungen sind mit "O" gekennzeichnet. Was wie ein (europaweit vorbildlicher) Schritt zur Transparenz in bezug auf geeignete Kinder- und Jugendprogrammierung aussieht, ergibt im Detail ein anderes Bild, Kritiker halten die Regelung überhaupt für Augenauswischerei: So tritt die X- oder O-Regelung erst ab 22 Uhr "in Kraft", Programme davor werden nicht markiert, weil, so die Argumentation des ORF, Sendungen, welche die Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigen könnten, vor 22 Uhr nicht gesendet werden.

Eine scharfe Kritikerin ist Ingeborg Schödl, Vorsitzende des Programmausschusses der Hörer- und Sehervertretung (HSV) des ORF. Schödl, seit 22 Jahren Mitglied der HSV, wird Mitte März aus der HSV ausscheiden. Jahrelang hat sie sich für ein kinder- und jugendfreundliches Programm im ORF eingesetzt (unter anderem als Initiatorin der - mittlerweile eingestellten - Kindernachrichtensendung Mini-ZIB), ihren Widerstand gegen die Art der Kennzeichnung sieht sie als eine Art Vermächtnis ihres Engagements an.

Hauptpunkt der Kritik an der X- und O-Kennzeichnung sind für Schödl die intransparenten Kriterien: Der ORF mache sich seine Auswahlregeln, so Schödl, weitgehend selbst. Außerdem sei nicht einzusehen, warum der ORF, wenn er schon kennzeichne (der Wert der Kennzeichnung an sich ist unter Medienexperten umstritten), dies erst um zehn Uhr nachts tue. Der ORF-Behauptung, vor 22 Uhr gebe es nur "gewaltfreies" Programm, widerspricht Schödl vehement: Ein Musterbeispiel sei die beliebte und vom ORF auch für Kinder vermarktete TV-Serie "Kommissar Rex". Schödl: ",Kommissar Rex' strotzt vor Gewalt! Da wird einer mit Benzin übergossen, mit einem Eispickel erschlagen - und das alles soll kinderfreundliche Unterhaltung sein?!" Schödl ist nicht dafür, Kinder von Gewalt abzuschotten, Kinder seien behutsam an die Welt heranzuführen, aber: "Gewalt als Mittel der Unterhaltung lehne ich ab!"

Medienanstalt Was der ORF seinen Sehern mit der Kennzeichnung vormachen will, ist aber gar nicht so sehr ihm selbst anzulasten (außer daß er hier mehr mit einem PR-Gag beglückt denn mit wirklicher Orientierung). In Wirklichkeit ist es die Politik, die hier versagt: Österreichs Medienpolitik verharrt im Zustand der Leichenstarre. Auch wenn dieser Befund seit Jahr und Tag vorgebracht wird, behält er seine Dringlichkeit. Denn gerade die "Qualitätskontrolle" im Sinne des Konsumenten kann nicht in einer bloßen Selbstprüfung eines Medienunternehmens bestehen. Für die Spielregeln und deren Überwachung ist ein Ordnungshüter zuständig, sprich: Niemand anderer als der Staat ist gefordert, auch wenn sich dieser zur Zeit gern aus aller möglichen Verantwortung stiehlt.

In diesem Zusammenhang ist eine ebenfalls länger erhobene Forderung an die Politik, deren Erfüllung aber konsequent und beharrlich verweigert wird, mehr als aktuell: die Errichtung einer unabhängigen Medienanstalt, in der alle ordnungspolitischen Instrumentarien in bezug auf Radio und Fernsehen - für den ORF wie für Private - gebündelt sind. Daß es eine derartige Anstalt bis dato nicht gibt, ist Zeichen für eine völlige Verkennung der Mediensituation. Für eine solche Institution gibt es viele Argumente, das Problem der "Kinder- und Jugendqualität" im TV ist nur eines davon: * Es geht also um externe Überprüfung der Programmqualität (und Erarbeitung von Richtlinien für dieselbe). Gerade in den Fragen der Qualitätssicherung des Programms - im ORF wie bei Privatsendern - muß jemand regelnd beobachten (unabhängig davon, daß an den ORF, für den ja Gebühren bezahlt werden, noch andere, besonders hohe Maßstäbe anzulegen sind). Es kann nicht sein, daß der ORF seine Sendungen auf Jugendtauglichkeit überprüft, allfällige Private jedoch nicht.

* Ein weiteres Argument für öffentliche Aufsicht in Form der skizzierten Medienanstalt ist die Kontrolle des Wettbewerbs: Wo denn, wenn nicht hier, soll der Staat vorgehen? Im Bereich der Telefonbetreiber gibt es mit der "Telekom-Control" eine derartige Kontrollstelle schon längst. Auch der elektronische Medienmarkt wird weiter liberalisiert werden: Die Vergabe von Senderfrequenzen (Privatradios) gehört ebenso geregelt wie die Frage von Spartenkanälen im TV: Warum kann ausgerechnet der ORF einen Tourismus- und Wetterkanal betreiben? Und die Diskussionen der letzten Wochen - von Frank Stronach bis zum ORF - um einen Sport- und Wettkanal zeigen, daß es vorn und hinten an (Spiel-)Regeln fehlt - auch für das Digitalfernsehen, das bald kommen wird.

* Schließlich gibt es andere Monopolisten auf dem elektronischen Markt. Ein Kabel-TV-Konsument etwa ist "seiner" Kabelgesellschaft jedenfalls ausgeliefert, auch da könnte eine Medienanstalt sinnvoll sein - und darüber die Aufsicht führen, welche TV-Programme ins Kabelnetz eingespeist werden. Als vor zwei Jahren in Wien das Schweizer Fernsehen aus dem Kabel genommen wurde, konnten die Konsumenten nichts dagegen tun. Spätestens seit damals spüren auch hierzulande die Zuschauer, daß sie programmäßig an die Politik ihrer Kabelgesellschaft gebunden sind.

Alle außer SPÖ ...

Eine in Österreich bitter nötige Medienanstalt darf aber nicht davon ablenken, daß es um die internationale Dimension der Frage wenig besser bestellt ist. Um beim Problem jugendgerechten Programms zu bleiben: Solang hier nicht alle deutschsprachigen Sender auf eine Linie eingeschworen werden, haben die mitternächtlichen X's und O's im ORF keinen Wert. Aber wie kann man von österreichischer Medienpolitik verlangen, auf höherer - europäischer - Ebene aktiv zu werden, wenn sie sich nicht einmal hierzulande bewegt?

Am 10. Februar konstituiert sich ein Nationalratsunterausschuß für diese Probleme. Gerade weil mit 1. Jänner nur "Reförmchen" für ORF und Privatradios in Kraft getreten sind, herrscht Handlungsbedarf. Und mittlerweile sprechen - außer der SPÖ - sich alle Parteien für eine unabhängige Medienanstalt aus.

Aber daß in Sachen ORF-Reform, Privat-TV oder eben Medienanstalt etwas weitergeht, darf - in Kenntnis der bisherigen Bewegungsmöglichkeiten - bezweifelt werden. Auch ORF-Hörer- und -Sehervertreterin Ingeborg Schödl ist skeptisch, was ihr Herzensanliegen kinder- und jugendgerechtes Programm betrifft: Wahlen stehen vor der Tür, "da packt keine Partei die Materie wirklich an" ...

Wahrscheinlich, daß auch die Politik den Zuschauern bloß ein X und ein O vormachen wird.

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