Ein Zehntel ist genug

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Am Beispiel der Landwirtschaft wird deutlich: Massive Einsparungen von Energie und Ressourcen wären möglich und für die Umwelt zuträglich.

Wer eine Verringerung des Energie- und Materialaufwandes auf ein Zehntel bei gleichbleibender Lebensqualität fordert, muss sich darüber im Klaren sein, dass dies eine tief greifende Umstellung erfordert: sowohl bei der Erbringung von Leistungen wie auch in den Konsummustern. Das bedeutet also: energie- und materialsparende Techniken in der Produktion und bei den Dienstleistungen sowie Verbrauchsstrukturen, die etwa die Nah- gegenüber der Fernversorgung bevorzugen, langlebige Produkte bevorzugen oder auf weniger Fleisch und mehr pflanzliche Nahrung setzen.

Was bedeutet nun aber die Forderung, die Inputs von Material und Energie auf ein Zehntel zu reduzieren im Bereich der Landwirtschaft? Die zentrale Frage lautet dann: Wie kann man mit einem Minimum an Energie- und Materialaufwand nachhaltig möglichst viel für den Menschen nützliche land- und forstwirtschaftliche Produkte ernten?

Derzeit wird in der Landwirtschaft die Arbeitsproduktivität maximiert. Dies war lange Zeit ein vernünftiges Ziel und hat in der Vergangenheit menschliche Schaffenskraft für die Entwicklung von Gewerbe, Industrie und Dienstleistungssektor frei gemacht. Binnen zwei Generationen gelang es, die Effizienz der landwirtschaftlichen Arbeit um mehr als einen Faktor 10 zu erhöhen.

War zu Beginn der 20. Jahrhunderts in Europa noch mehr als ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, so liegt der Prozentsatz derzeit in vielen Ländern bei zwei Prozent. Dafür aber stieg der Fremd-Energie- und -Materialverbrauch aus nicht erneuerbaren Quellen auf über das Zehnfache.

Dadurch trägt die Landwirtschaft massiv zur Stoffstromkrise der Erde bei. Probleme bereiten allerdings nicht nur diese hohen Inputs aus nicht erneuerbaren Quellen, sondern die negativen ökologischen Folgen der Produktionsverfahren, wie Verringerung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit, Grundwasserverschmutzung und Eutrophierung von Gewässern.

Eine Welt-Ernährungskrise

Angesichts der sich zuspitzenden Welternährungssituation (jährlich nimmt die Weltbevölkerung um rund 70 Millionen Menschen zu und die Pro-Kopf-Produktion an Hauptnahrungsmitteln ab - siehe die Berichte des Worldwatch Institutes) und der offensichtlichen Stoffstromkrise erscheint eine Kurskorrektur überfällig. Das bedeutet: Abkehr vom Ziel möglichst hoher Arbeitproduktivität und Ausrichtung auf maximale, nachhaltige Flächenproduktivität bei geringst möglichem Aufwand an fossilen Energieträgern und Hilfsstoffen.

Welche Möglichkeiten zeichnen sich da ab? Dazu einige Untersuchungsergebnisse: Ein Langzeitvergleich (21 Jahre) des Schweizer Forschungsinstitutes für biologischen Landbau verglich für die Hauptfeldfrüchte biologische, integrierte und konventionelle Produktionsverfahren. Er kommt zu dem Ergebnis, dass biologischer Landbau etwa 20 Prozent weniger Energie (vor allem weniger Dünger) benötigt als vorherrschenden Techniken.

Eine Studie der Deutschen Forschungsanstalt für Landwirtschaft zeigt für den konventionellen Landbau bei den Hauptfeldfrüchten den dreifachen Primärenergieeinsatz bezogen auf die Fläche und den doppelten bezogen auf das Produkt. Eine Relation von 2:1 wurde auch für die Schweinehaltung und Milcherzeugung ermittelt.

Diese Untersuchungen erheben, welche Unterschiede sich unter den derzeitigen Systembedingungen ergeben. Damit sind jedoch die Möglichkeiten der Energie- und Materialersparnis und der Nettoertragserhöhung keineswegs ausgeschöpft.

Die nachstehenden möglichen Strategien zeigen vielmehr, dass in der Landbewirtschaftung ein Faktor 10 bezüglich des Verbrauches einzelner Ressourcen eine realistische Zielgröße ist:

* Wasser ist in den meisten Weltgegenden eine knappe Ressource. In vielen Regionen kommt es durch Bewässerung zu einer starken Übernutzung des Grundwassers, die zu schweren Schäden geführt hat. Wassersparende Techniken sind daher ein Gebot der Stunde. Vergleicht man die gängige Flutungsbewässerung in den Trockengebieten mit Methoden der gezielten Bewässerung in kühlen Nächten (geringere Verdunstung) und auf die Einzelpflanze abgestimmten Tropfbewässerung, so kommt man zu Wassereinsparungen in der Größenordnung eines Faktors 10. (Siehe Sourell H. in Landbauforschung Völkenrode Heft 1/1998).

Viel Wasser ließe sich sparen

* Was den Aufwand von synthetischem Stickstoff anbelangt, so lässt sich dieser gänzlich ersetzen: durch Fruchtfolge und Mischkulturen (Einsatz von den Luftstickstoff bindenden Leguminosen), Einsatz von hofeigenem Dünger und stickstoffreicher Biogas-Schlempe.

* Durch sorgsames Nährstoffrecycling kann - bei Systemen mit Vorrang für die Nahversorgung - der Einsatz von Mineraldüngern gegen Null gedrückt werden. Der biologische Landbau als die Strategie der bestmöglichen Nutzung natürlicher Synergien versucht dieses Kunststück der nachhaltigen Gestaltung eines komplexen Produktionssystems.

* Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurden etwa 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die tierische Zugkraft benötigt. Betreibt man Dieselmotoren mit Pflanzenöl-Estern, sinkt der Flächenaufwand auf etwa 13 Prozent, setzt man Rein-Pflanzenöl-Motoren ein, so sind es zehn Prozent. Bei einer umfassenderen Strategie, die essbare Pflanzenteile der Ernährung vorbehält und die nicht essbaren Pflanzenteile (Stroh, Blätter, Fasern etc.) zu Sprit oder Biogas verarbeitet, kann der fossile Treibstoffbedarf ersetzt werden.

* Bei einer Förderung der Klein-Kraft-Wärme-Kupplung (Biogasmotoren, Dampfmotoren, Kleinturbinen, Stirlingmotoren) kann in den gemäßigten Klimazonen im Winter die Deckung des Eigenbedarfes an Energie auf Basis nachwachsenden Energieträger erfolgen. Und es kann sogar bei Verbrauchsspitzen Strom für das Netz geliefert werden. Am Beispiel des Lecknertales in Vorarlberg sieht man, dass mit Photovoltaik, Kleinwasserkraft (man nützt sogar das Gefälle in Trink- und Brauchwasserleitungen) sowie angepasster Technologie der elektrischen Maschinen eine moderne Almwirtschaft ohne Fremdenergie betrieben werden kann.

Energie-Selbstversorger

Eine weitere Senkung des Energieverbrauchs (auch an erneuerbaren Energieträgern) ergibt sich überdies:

* weil ein belebter, humusreicher Boden mit guter Struktur weniger Widerstand bei der Bodenbearbeitung bereitet (bis zu 20 Prozent weniger Traktionsenergie);

* wenn seicht gepflügt und/oder gelockert, statt tief gepflügt und dann wieder verdichtet wird;

* wenn Schädlinge biologisch und nicht durch energieaufwändige Pestizide bekämpft werden;

* wenn durch artgerechte Tierhaltung angepasste Ställe nicht klimatisiert werden müssen;

* wenn Betriebe in überschaubarer Größe für die Nahversorgung sorgen. (Dadurch kommt es zu einer massiven Senkung der zurückzulegenden Wegstrecken und es verringert sich auch der Aufwand für die Konservierung der Güter.)

Die Senkung des nicht ökosystemkonformen Energie- und Materialaufwandes durch Effizienzsteigerungen und Umstieg auf erneuerbare Energie mit einem umfassenden Faktor 10 ist also keine Utopie, sondern eine Frage des Wollens. Es bedarf entsprechender Rahmenbedingungen, die diese Strategien und Technologien begünstigen.

Der Autor ist Professor an der Universität für Bodenkultur und Mitglied des Faktor-10-Clubs.

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