Einblicke in die Intimzone Tokyo

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Wenn Worte nicht mehr ausreichen, um Zustände zu beschreiben, genügt es dann, sie hinter einer Glaswand auszustellen?

Daisuke Miura verfolgt in seinen Theaterarbeiten einen radikalen künstlerischen Ansatz, er verbannt die Sprache von der Bühne. Der mehrfach ausgezeichnete Regisseur und Hoffnungsträger der japanischen Theaterszene zeigt in "Castle of Dreams“ eine Gesellschaft im Ausnahmezustand. Acht Personen, eingepfercht in ein kleines Ein-Zimmer-Apartment, verbringen ihre Zeit mit Sex, Fernsehen und dem Kochen von Nudeln. Sozusagen eine Familie Putz der etwas anderen Art, nur dass sich in diesem Fall die Wohnlandschaft auf einen Fernseher und ein paar Matratzen beschränkt.

Schon bei Toshiki Okadas Theaterstück "The Sonic Life of a Giant Tortoise“, das den kleinen Japan-Schwerpunkt der Wiener Festwochen eröffnete, sind die Auswirkungen einer unerbittlichen Leistungsgesellschaft Gegenstand der Auseinandersetzung. Während sich dort die Menschen in eine Welt aus Tagträumen zurückgezogen haben, sind hier alle Träume und Hoffnungen bereits geplatzt. Antriebslos und ohne Perspektive wandern die Figuren wie Zombies durch ihr Leben.

Porno-Tragikkomödie

In fünf kurzen Szenen, unterteilt durch Technobeats, wird das stille Geschehen zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten auf die Bühne gebracht. Stumm und fast geräuschlos bewegen sich die Figuren durch den Raum. Dabei wird Intimes und Persönliches ebenso wie Banales, etwa das Föhnen der Haare, Pflegen der Intimrasur oder der Konsum von Drogen, ausgestellt. So entsteht eine Porno-Tragikomödie, bei der sich Momente sinnloser Gewalt, ausdauernder Lethargie und absurder Komik ablösen.

Miura schafft es, diesem trostlosen Treiben einen Rhythmus zu verleihen, welche die lang gezogenen Phasen des Nichtstuns und die kurzen Augenblicke tumultartiger Aggressivität strukturiert. Diese Choreografie ergibt eine eigenwillige Dynamik, und obwohl sich die verschiedenen Szenen kaum voneinander unterscheiden, wird man als Zuschauer vom gleichförmigen Ablauf mitgerissen und starrt gebannt auf die Glasscheibe, hinter der die immer gleichen Rituale und Handlungen vollzogen werden.

Für Miura sind Worte immer nur Wege zur Flucht, die zu viel Raum für Fantasie und Lüge lassen, in seinen Theaterwelten ist kein Platz dafür, auch ohne Sprache wird alles in schonungsloser Offenheit gezeigt und nichts bleibt verborgen.

Zum Schluss hört man das Schluchzen einer Frau aus dem Matratzenberg, die einzige unmittelbare Gefühlsregung im ganzen Stück, die wohl als Kommentar Miuras auf dieses Horrorkabinett mit Kabelanschluss zu verstehen ist.

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