Eine Art von Kriegsangst

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Nicht das Militär, sondern nur glaubwürdige (Wirtschafts-)Politik kann Europas Frieden sichern.

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Nicht das Militär, sondern nur glaubwürdige (Wirtschafts-)Politik kann Europas Frieden sichern.

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Knapp am Weltkrieg vorbei", titelten die "Salzburger Nachrichten" vor einigen Tagen, nachdem die russische Besetzung des Flughafens von Pristina bekannt geworden war. Zum zweiten Mal in diesem Balkankrieg wurde die Gefahr größerer Auseinandersetzung ventiliert; denn schon als die Luftangriffe der NATO auf Jugoslawien begannen, reagierte Rußland dramatisch: Ministerpräsident Jewgenij Primakow - damals noch, heute aber nicht mehr im Amt - ließ sein Flugzeug, mit dem er nach Washington unterwegs war, über dem Atlantik umkehren.

Damit begann eine mehr oder weniger laute Rhetorik Rußlands, welche den NATO-Krieg gegen Slobodan Milosevi'c begleitete. In den ersten Kriegstagen war auch die Rede davon, das russische Militär (oder die Hardliner darin) denke wieder daran, Atomraketen gegen den Westen zu richten.

Wie weit die Gefahr einer großen Auseinandersetzung real war, läßt sich vom Journalistenschreibtisch oder von den Kriegsbildern im Fernsehen aus nicht beurteilen: Rußlands Agieren scheint undurchsichtig: Nadelstiche? Empörende Provokationen? Oder einfach: beinharte Politik? Was für Konsequenzen die Lage nach sich zieht, vermögen auch tägliche Auftritte von Militärexperten in den Nachrichtensendungen Europas kaum zu erhellen.

Ein Paradox des Medienzeitalters: Der Kosovokrieg beschert den Europäern eine Nachrichtenflut; ob diese Informationen jedoch richtig oder bloß im Sinne bestimmter Parteien verbreitet wurden, ist kaum zu ermitteln. Ging also die Gefahr eines Weltkriegs gerade noch vorbei, wie die "Salzburger Nachrichten" glauben? Man ist geneigt, die Bedrohung herunterzuspielen: Medien benötigen Schlagzeilen, je hysterischer, pointierter diese sind, desto eher, so das Gesetz der Branche, kommt deren Botschaft an.

Im Grund ist es jedoch gar nicht so relevant, wie sehr Europa in realer (Welt-)Kriegsgefahr steckt. Denn schon das Faktum, daß nach Jahren, in denen sich der Westen überhaupt nicht vorstellen konnte, einer kriegerischen Bedrohung ausgesetzt zu sein, eine Art von Kriegsangst neu keimt, spricht für sich. Selbst wenn die Tatsachen anderes ausdrücken: Denn eine Kette von irrationalen und perspektivenlosen Handlungen kann selbst banale Situationen in äußerste Bedrohung verwandeln - das lehrt die Geschichte.

Friedensoptionen Nicht jene des Zweiten Weltkriegs, sondern die des Ersten: Wenn militärisch-politische Verzahnung mit Phantasielosigkeit beim Lösen von Konflikten einhergeht, entsteht jene explosive Mischung, aus der die Katastrophe erwächst. Die Ermordung eines Thronfolgers hatte so - 85 Jahre ist es her - nicht wieder ins Lot zu bringende Folgen: 8,5 Millionen Gefallene lautet die Bilanz des Ersten Weltkriegs.

Angesichts solcher Auspizien sollten sich alle, die (Welt-) Kriegsgefahr wittern, gut überlegen, was sie sagen, und noch mehr: was sie tun. Denn selbst wenn die militärische Option im Kosovo nachhaltig zum Erfolg führt (was angesichts der tagtäglichen Schwierigkeiten viele ebenso bezweifeln wie in langfristiger Perspektive), bleibt allen Beteiligten nicht erspart, die "politische Karte" zu spielen: Denn daß es im Kosovo dazu kam, wie es kam, bedeutet ein großes Versagen der Politik. Damit ist nicht nur das Unvermögen des serbischen Volkes, das Milosevi'c-Regime loszuwerden, gemeint.

* Vor allen anderen Überlegungen ist vom Westen eine nachvollziehbare und konsistente Politik zu fordern: In vielen Analysen wurde aufgezeigt, daß im Falle Jugoslawiens wenig Interesse bestand, Menschenrechtsverletzungen und diktatorische Mechanismen, wie sie im derzeitigen Regime gang und gäbe waren und sind, hintanzuhalten. Diesen Vorwurf kann der Westen kaum entkräften. Warum wurden etwa, als noch Zeit war, die gewaltlosen Versuche Ibrahim Rugovas im Kosovo nicht wirklich unterstützt (heute gilt Rugova als desavouiert und einflußarm)? Warum interessierte sich vor zwei, drei Jahren die westliche Politik nicht für Demokratisierungsbestrebungen in Jugoslawien (der Belgrader Menschenrechtsaktivist Vojin Dimitrijevi'c erhob vor wenigen Tagen in der "Zeit" derartige Vorwürfe)? Diese konsistente Politik muß aber global - und nicht auf den Balkan beschränkt - sichtbar werden: Solange etwa die Menschenrechtslage in China für die westliche Politik weniger dringlich erscheint (weil China stark und wirtschaftlich interessant ist), solange es also mehrerlei Maß gibt, mit dem die demokratische Welt ihr Gegenüber mißt, ist die Glaubwürdigkeit westlicher Politik - und nachhaltige Abwehr von Kriegsgefahr, wie sie dann etwa der Kosovo-Konflikt heraufbeschwört - nicht gegeben.

* Eine zweite Voraussetzung für Frieden ist das genuine Interesse am wirtschaftlichen, am materiellen Wohlergehen der krisengeschüttelten Gegenden. In Europa heißt dies: An der Osterweiterung der EU führt kein Weg vorbei. Für den Balkan muß ein übernationaler Wirtschaftsplan, etwa ein Marshallplan, der Eigeninitiative zumindest ebenso fördert wie er Hilfe von außen anbietet, endlich angegangen werden. Und schließlich gilt es, in starkem Maße, Rußlands wirtschaftliche Gesundung zu unterstützen.

Was sich zur Zeit im Kosovo abspielt. ist - neben allem lokal, national und historisch gewachsenem Konfliktpotential - auch ein Stellvertreterkonflikt: die russischen und westlichen Soldaten, die einander im Kosovo noch einigermaßen im Zaum gehalten gegenüberstehen, sind ein Symbol für die kontinentale Gefahr, die in Europa schon gegenwärtig ist.

Trotz der sicherheitspolitischen Vogel-Strauß-Politik, der sich Österreich zur Zeit befleißigt, kann auch dieses Land nicht beiseite stehen: Denn eine nachhaltige Sicherheitsoption hat weniger mit der Frage eines NATO-Beitritts zu tun. Vielmehr geht es um aktive Einmischung und um die Konzeption einer Friedenspolitik zumindest in den oben skizzierten Punkten: konsistente, glaubwürdige Politik gegenüber Nachbarn sowie glaubwürdige, effiziente Wirtschaftspolitik - und zusätzlich: Initiativen zur konkreten Verständigung der Menschen.

Das ist alles andere als Ausgrenzung von und Abschottung vor "Fremden", die angeblich das Land bedrohen. Wenn aber in obige Richtung weiterhin kaum gedacht und gehandelt wird, könnte auch Österreich mit unabsehbaren Folgen konfrontiert sein.

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