Eine Bestandsaufnahme der Moderne

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wiener Albertina widmet dem US-amerikanischen Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein eine Ausstellung: "Black & White 1961 - 1968“. Die Unterscheidung zwischen bildwürdigen Elementen der Hochkultur und unzulässigen Versatzstücken der Populärkultur fällt bei ihm weg.

"Nok-Nock - Klopf-Klopf“. So steht es mit schwarzem Klebeband und schwarzer Farbe auf einer in den Ausstellungsraum in der Albertina transferierten Holztür. Ursprünglich als Installation für einen schneeweißen Raum im Aspen Center of Contemporary Art im Jahr 1967 angefertigt, befanden sich dort auch noch ein Fenster, eine Steckdose und ein Heizkörper, die allerdings ohne reale Grundlage nur mit Klebeband vorhanden waren. Eine Einladung an alle Betrachter, die Tür zu öffnen und den vor der Tür stehenden Künstler zu sich hereinzulassen und seine mitgebrachten Werke zu genießen.

Der Künstler dieser Arbeit, Roy Lichtenstein, steht längst nicht mehr draußen vor der Tür und bittet um Einlass, sondern gehört zu den ganz großen des 20. Jahrhunderts. Der 1923 geborene New Yorker beginnt Mitte der 50er-Jahre in Form einer lithografierten Zehn-Dollar-Note mit den ersten Vorarbeiten zu jenem Stil, als deren Mitgestalter er berühmt werden sollte: der Pop-Art. Expressive Zeichnungen aus der Welt des Comics, von denen die Albertina zwei Beispiele aus dem Jahr 1958 zeigt, folgen. Ab 1961 schließlich setzt Lichtenstein mit der Übertragung einer Mickey Mouse das erste Werk seiner Aneignungskunst, er verwendet dafür keine Vorbilder aus der Natur, sondern Vorlagen aus seiner grafischen Umwelt, wie Werbeplakate oder Comics. Mithilfe der Technik des Benday-Dot-Verfahrens, bei dem er mittels Lochschablone arbeitet, führt er durch das gleichmäßige Punktraster die Anknüpfung an das industriell gedruckte Bild als sein Markenzeichen ein. Gleichzeitig mit der Verbindung zum reproduzierten Bild aus der Welt des Comics wendet sich Lichtenstein auch den Malerkollegen zu und transponiert viele ihrer Arbeiten in seine Bildwelt. So setzt er sich ab 1965 in der Serie der Brushstrokes intensiv mit dem Abstrakten Expressionismus auseinander, jener amerikanischen Kunstströmung nach dem Zweiten Weltkrieg, die zum ersten großen Stil der neuen Welt wird, und in deren Schlepptau Lichtenstein auch seine ersten malerischen Versuche unternommen hatte.

Bildfüllende Bilddetails

Diese Arbeitsweise von Lichtenstein, bereits bestehende Kunstwerke zum Ausgangspunkt der eigenen Arbeiten zu machen oder sie direkt zu zitieren, ist keine Erfindung von ihm. Als entscheidende Neuerung fällt bei ihm aber die bislang übliche Unterscheidung zwischen bildwürdigen Elementen der Hochkultur und unzulässigen Versatzstücken der Populärkultur weg. Für ihn zählt einzig und allein, dass seine Vorlagen für das Auge prägnant sind, dass sie große Verführungskraft besitzen und sich daher in seiner an die Medien angelehnten Arbeitsweise besser verwerten lassen. Die großspurigen oder hehren Themen müssen der Lebenswirklichkeit eines Durchschnittsamerikaners Platz machen. Die Utopie der Moderne, mit der reinen Gegenstandslosigkeit eine "Gesellschaft der Gleichgewichtsbewegungen“ zu schaffen, wie dies Piet Mondrian formuliert hatte, war gescheitert, die Künstler hatten auf diesem Weg ihr Publikum eher verloren. Lichtenstein unternimmt mit seiner intensiven künstlerischen Beschäftigung mit einigen der "Ismen“ in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine Bestandsaufnahme der Ansprüche der Moderne. Durch deren Kommerzialisierung in seinen Bildern verrät er eine große Zuneigung zum Lebensstil seiner Umwelt, um diese sogleich durch die Beschaffenheit seiner Arbeiten in eine ironische Distanz zurückzunehmen.

Viele von Lichtensteins Vorläufern organisierten ihre Arbeiten mit der Absicht, keine plärrenden Offensichtlichkeiten ins Bild zu setzen. Lichtenstein hingegen übernimmt zum Beispiel aus einem Werbeplakat ein Bilddetail und überträgt es bildfüllend. Die Betrachter können den Truthahn oder die badende Frau ohne Umschweife erkennen. Aber gerade diese scheinbare Abkürzung des Wahrnehmungsvorgangs regt zu einer genaueren Betrachtung der eigenen Umgebung an.

Roy Lichtenstein. Black & White 1961 - 1968

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

bis 15. Mai, tägl. 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Isabelle Dervaux (Hg.), Roy Lichtenstein, Black & White, Ostfildern 2011, 240 S., e 29,-

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung