Eine Bilanzbuchhaltung der Beziehungen

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Im Roman "Lost & Found" der österreichischen Autorin Ursula Hentschläger lebt und scheitert man beiläufig

Die österreichische Autorin Ursula Hentschläger, die auch als Kommunikationswissenschaftlerin im Bereich Neue Medien arbeitet, nennt ihren Roman "Lost & Found" und variiert die Beziehungen zwischen Geld und Glück. Geld und Glück, das ist eine besondere Kombination. Geld bedeutet Glück. Wir wissen zwar, dass auch mit Geld nicht alles gekauft werden kann, doch ohne Geld kann das Glück schon recht bescheiden aussehen. Gefundenes Geld, verlorenes Glück, trotz aller zerstörten Hoffnungen lebt die Illusion, dass es manche Menschen doch schaffen könnten mit dem Geld und dem Glück.

Denn eine der Hauptpersonen kann am Schluss, in Zürich angekommen, zum Taxifahrer wenigstens sagen: "Ich möchte in ein wirklich gutes Hotel!" Ein bescheidenes Glück vielleicht, aber vielen bleibt ja nicht einmal das. Doch als was ist dieser dünne Roman mit verfremdeten Schwarzweißbildern von Zelko Wiener, die als Spiegel der seelischen Befindlichkeiten der Hauptpersonen fungieren, nun tatsächlich zu lesen? Was wartet hinter den Buchdeckeln? Er beginnt mit einem überraschenden Fund von Dollarnoten in einem Mistkübel in einem Park durch eine verunsicherte Madeleine, die nicht sicher ist, ob sie verfolgt wird. Doch nichts passiert, aufkeimende Erwartungen werden enttäuscht, keine Krimihandlung, sondern bloß eine Beziehungsgeschichte folgt. Madeleine steht kurz vor der Abreise nach Zürich, sie hat sich nach dem Tod ihres Freundes aus der Gesellschaft ihrer Bekannten zurückgezogen. Paul hat seine Beziehung mit Frida beendet und der "ewige Kampf um das tägliche Überleben" verblasst. Eine neue Frau ist in sein Leben getreten, Antonia, ein gemeinsamer Kinobesuch, vielleicht eine glückliche Basis für die weiteren Jahre? Doch vorerst heißt es Abschied nehmen und Bilanz ziehen im Speisewagen auf dem Weg nach Zürich.

Als zweite Bilanzbuchhalterin des verlorenen Glücks tritt Madeleine in Aktion, beide arbeiten die Nacht durch und die Geschichten der Freunde werden wach. Sie verselbständigen sich wie Schatten, die dunkel und drohend sind, aber doch vage bleiben. Denn viele Fragen des Lebens bleiben offen, nicht alle Koordinaten sind definiert. Was tun beide in Zürich, was arbeiten Frida und Madeleine wirklich, und was hat Paul - außer dass er ein Haus besessen hat - getan? Die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden. "Gefühle können so schnell zu Zuständen werden, die alles zu bestimmen imstande sind".

Diese Stimmung ist es, die durch die Bilanz geistert. Ein sonderbares Geflecht entsteht und dieses Geflecht scheint in einer besonderen Beziehung zu stehen. Ist es ein Reigen, in den wir geraten sind, wer hängt mit wem zusammen, eine beliebige Mischung, wenn in der langen Zugsfahrt die Geschichten aller Bekannten durchgegangen werden?

Beziehungen können nicht nur scheitern, sondern zuweilen auch töten. Fast immer scheint das Scheitern vorprogrammiert. Selbst das Architektenpaar Aaron und Margarethe lebt nicht auf sicherem Boden. "Paul nickt, zufrieden mit sich, dass ihm jemand eingefallen ist. Ich finde, die beiden gehören zu den wenigen Paaren, die ehrlich miteinander umgehen und wahrscheinlich noch den Rest ihres Lebens zusammen verbringen." Wenige Seiten später ist auch diese Illusion zerstört.

Ein sonderbares unprätentiöses Buch, das den Leser ratlos und hilflos zurücklässt. So viele Probleme und Schicksalsschläge. Würden sie nicht so beiläufig erzählt, wäre Verzweiflung als einzige Reaktion angesagt. Hier wird Literatur zum Spiegel, denn so beiläufig erleben wir ja tatsächlich das Leben und Scheitern von Bekannten. "Was würde dann von ihrem Leben bleiben außer einem dubiosen und unbedeutenden Einzelkampf? Manchmal beneidete sie Frauen um ihren Familienweg, wenngleich sie doch wusste, dass er so nicht funktionierte. Kinder werden groß und gehen weg; Ehen werden geschieden. Kein Weg schützt vor der Einsamkeit."

Lost & Found

Roman von Ursula Hentschläger

Triton Verlag, Wien 2001

138 Seiten, geb., e 13,80 / öS 190,-

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