"Eine Einladung, genauer HINZUSEHEN"

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Filmemacher Nikolaus Geyrhalter zum Film "Die bauliche Maßnahme", in dem er die Auseinandersetzungen um die Brennergrenze dokumentiert.

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Filmemacher Nikolaus Geyrhalter zum Film "Die bauliche Maßnahme", in dem er die Auseinandersetzungen um die Brennergrenze dokumentiert.

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Mit den Grenzen Europas hat sich Nikolaus Geyrhalter u. a. in seinem Film "Abendland" (2011) expliziter beschäftigt. Als er 2016 hörte, am Brenner solle ein Grenzzaun installiert werden, fuhr er hin und begann zu filmen. "Die bauli che Maßnahme" versteht er als Intervention.

DIE FURCHE: Wie finden Sie es, dass die bauliche Maßnahme, die für den Brenner vorgesehen war, bisher nicht Realität wurde?

Nikolaus Geyrhalter: Darüber bin ich nicht traurig. Interessant ist natürlich, dass allein schon die Idee eines Zaunes so viel bei den Menschen ausgelöst hat.

DIE FURCHE: Sie haben damals von den Plänen in den Nachrichten gehört und sich gedacht, das müssen Sie filmen?

Geyrhalter: Ungefähr so, ja. Wobei es mich schon die ganze Zeit davor beschäftigt hat, dass in Europa Zäune gegen Flüchtlinge errichtet worden sind. Ich fand, das kann man nicht unkommentiert lassen. Wenn man es schon selbst nicht verhindern kann, muss man es wenigstens dokumentieren.

DIE FURCHE: Ist es schwierig, zu diesem Thema einen Film zu machen, der verschiedene Positionen ausgewogen zeigt und gleichzeitig Ihre Haltung deutlich macht?

Geyrhalter: Ich glaube, Haltung und Ausgewogenheit schließen sich nicht aus. Man kann kommentieren, ohne dass man etwas aussprechen muss. Natürlich darf man im Film auch zwischen den Zeilen lesen. Für mich waren die Gespräche ein ganz wichtiges Element, gerade auch mit jenen, deren Meinung ich selbst nicht teile. Heute ist es sehr einfach, sich stets unter Menschen zu bewegen, die derselben Meinung sind. Es ist natürlich klar, dass ich kein Freund von Grenzzäunen bin. Aber mir war wichtig, andere Meinungen im Film vertreten zu haben. Auch weil ich wissen will, woher diverse Ängste kommen.

DIE FURCHE: Die Gespräche, die Sie führen, wirken durchwegs spontan. Geyrhalter: Das waren sie auch.

DIE FURCHE: Es gibt ironische Szenen, bei denen man schmunzeln muss. Wie viel Humor verträgt die Flüchtlingsthematik?

Geyrhalter: Der Humor bahnt sich seinen Weg, auch hier natürlich. Vom viel zitierten Ventil, als das Humor immer auch dient, bis zu einer Ironie, die gewissen Dynamiken einfach innewohnt. Ich musste beim Drehen auch oft schmunzeln. DIE FURCHE: Wann zum Beispiel?

Geyrhalter: Bei der Pressekonferenz am Anfang etwa. Eine sehr charmante, entwaffnend ehrliche Veranstaltung. Mit großer Komik.

DIE FURCHE: Inwieweit hat die Grenzzaunfrage die Bewohner am Brenner polarisiert?

Geyrhalter: Es war interessant zu sehen, wie zuerst niemand wollte, dass die Brennergrenze wieder geschlossen wird. Dann ist aber auf österreichischer Seite doch relativ schnell viel Verständnis dafür laut geworden ist, dass man, "die Heimat schützen muss". DIE FURCHE: Ist es Heimat, worum es geht?

Geyrhalter: So wie einer der Jäger, die ich im Film treffe, es durch seine Darstellung beschreibt: Es geht um Heimat als Überbegriff dafür, was man als lebenswert empfindet. Da ist man schnell beim Existenzanspruch. Sieht man diesen bedroht, entstehen Ängste, hat man das Bedürfnis, sich zu schützen.

DIE FURCHE: Je länger Sie mit den jeweiligen Protagonist(inn)en sprechen, desto deutlicher bricht nach oft starr wirkender Regeltreue das Menschliche durch. Eine Erinnerung daran, dass niemand eine Maschine ist, sondern Order auch hinterfragen darf - Geyrhalter: - und soll, ja.

DIE FURCHE: Trotzdem ist es erschreckend, wie die Beamtensprache es erleichtert, eine emotionale Abkopplung zu schaffen zu den "Verbeamtshandelten".

Geyrhalter: Ja, wobei ich besonders bei den Tirolern und bei den Tiroler Polizisten den Eindruck hatte, die hinterfragen schon viel. Immer wieder geben Leute ihren Verstand beim Behördenapparat ab, aber bei denen habe ich viel Menschlichkeit gespürt. Das ändert dann auch die Sprache. DIE FURCHE: Welchen Sinn haben Grenzen?

Geyrhalter: Ich weiß nicht, ob Grenzen überhaupt einen Sinn haben. Es gibt sie. Die Menschen brauchen Grenzen, um die Welt zu kontrollieren. Das heißt nicht, dass man sich mit ihnen zufriedengeben darf.

DIE FURCHE: Sie zeigen auch eine Predigt, bei der der Pfarrer darüber spricht, dass es nur eine Wirklichkeit gäbe. Welche meint er?

Geyrhalter: Eine faktenbasierte, denke ich. Es gibt viele Wahrheiten, aber nur eine Wirklichkeit. Doch jeder nimmt Wirklichkeit individuell wahr und leitet daraus eine Wahrheit ab. Das wird man nie abstrahieren können, weil man selbst diesem Vorgang unterliegt. DIE FURCHE: Ist ihr Film eine Maßnahme?

Geyrhalter: Er ist eine Intervention. Er ist ein Zeitdokument. Und er ist die Einladung, genauer hinzusehen und genau zuzuhören. Das Thema scheint mittlerweile "ausdiskutiert", aber das ist ein Trugschluss. Es gibt ja immer noch Menschen auf der Flucht, Menschen, die ihre Heimat sicher nicht freiwillig verlassen. Doch da hat sich in der öffentlichen Meinung -zumindest in der kreierten öffentlichen Meinung -ein Schalter umgelegt. Plötzlich war jeder Flüchtling böse und abzulehnen. Das hat mich bewegt. DIE FURCHE: Wer bedient diesen Schalter?

Geyrhalter: Ganz Europa hat sich nach rechts gedreht. Natürlich sind mit dem Thema Flüchtlinge Ängste entstanden, die man nicht verharmlosen muss. Aber vonseiten der Politik gibt es im Umgang mit diesen Ängsten nur Populismus. DIE FURCHE: Was kann man tun?

Geyrhalter: Intervenieren. Kritisch sein. Hinterfragen. Den Medien ist hier schon ein Vorwurf zu machen. Länder rücken ja nicht von allein nach rechts, das hat schon auch viel damit zu tun, welche Art der Berichterstattung die Bevölkerung erfährt. Da herrscht starke Manipulation.

FILMKRITIK

Film als notwendige Maßnahme

Bereits vor sieben Jahren thematisierte Nikolaus Geyrhalter in "Abendland" den europäischen Grenzschutz: Beklemmend, wie er die Abschottung der EU-Außengrenze zur Ukraine filmte. In "Die bauliche Maßnahme" geht es um Grenzziehung in der Mitte des Kontinents: 2016 begann Österreich, an der Brennergrenze Vorkehrungen für Kontrollen und einen Zaun zu treffen. Geyrhalter fuhr zum geschichtsträchtigen Pass und dokumentiert mit seinem wachen (Film-)Auge das Lebensgefühl jenseits und vor allem diesseits der Grenze. Er spricht mit Jägern, Bauern, Wirtsleuten, Polizisten, Milchfahrern, dem Herrn Pfarrer -und auf der italienischen Seite mit dem schwarzen Baustellenleiter beim Brenner-Basistunnel. Die Menschen, die dem Film die Stimme leihen, entpuppen sich nicht als rabiate Heimatschützer oder "naive" Flüchtlingsfreunde. Des Volkes Seele kann - jedenfalls da im heiligen Land Tirol - differenziert und reflektiert an die Themen Grenze, Zaun und Flüchtlinge herangehen. Hier findet endlich so etwas wie Diskurs und Nachdenken statt, wie mit dem gesellschaftlich-politischen Problem umzugehen wäre. So unaufgeregt und abseits populistischer Parolen sollte die Auseinandersetzung geführt werden. Der Dokumentarfilm als moralische Anstalt?"Die bauliche Maßnahme" plädiert auf eigene Weise geradezu nonchalant für den Diskurs. Denn allein dieser ist zurzeit bereits eine moralische Aufgabe. Grandios gelöst: "Die bauliche Maßnahme" wurde 2018 zu Recht mit dem Großen Diagonale-Preis als bester heimischer Dokumentarfilm ausgezeichnet. (Otto Friedrich)

Die bauliche Maßnahme A 2018. Regie: Nikolaus Geyrhalter. Filmladen. 112 Min.

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