Eine Folge nicht nur, aber auch des Christentums

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Religion und Gewalt: Philippe Buc analysiert im kühnen Essay "Heiliger Krieg" die "christliche" Komponente von Gewalt.

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Religion und Gewalt: Philippe Buc analysiert im kühnen Essay "Heiliger Krieg" die "christliche" Komponente von Gewalt.

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In den gegenwärtigen religionspolitischen Debatten, die von Ereignissen wie den weltweiten dschihadistischen Terroranschlägen ebenso wenig zu trennen sind wie von den Auseinandersetzungen rund um die Flüchtlingskrise in Europa, wird allzu oft eine dualistische Weltsicht offenbar. In westlichen Gesellschaften wird die Argumentation oft auf ein Gut-Böse-Schema vereinfacht, wobei dem "christlichen Abendland" oder auch "aufgeklärten Westen" die Rolle des Guten und dem Islam die des Bösen zugedacht ist: Im Islam sei Gewalt religiös grundgelegt, es gebe keine Möglichkeit, Herrschaftsanspruch (der sich in der Tyrannei gegenüber Andersdenkenden und -gläubigen äußere) und Islam voneinander zu trennen - so die Schlagwörter entsprechender Diskussionen.

Doch bevor man derartige Erklärungsmuster allzu schnell beim religionspolitischen Gegner festmacht, sollte man sich die "westlichen" respektive "christlichen" Entwicklungslinien und Zusammenhänge von Religion und Gewalt zu Gemüte führen. Äußerst hilfreich dabei ist der kühne Essay, den Philippe Buc mit dem Buch "Heiliger Krieg. Gewalt im Namen des Christentums" vorlegt. Der aus Frankreich stammende Mittelalterforscher, der jahrelang in Stanford lehrte und nun einen Lehrstuhl an der Universität Wien innehat, setzt in einem grandiosen Bogen kriegerische Gewalt, wie sie vom Westen etwa im Irak angewendet wurde und wird, in Beziehung zu christlicher Theologie: "Die Form, die Menschenrechte und gerechter Krieg angenommen haben, ist ohne das Christentum entwicklungsgeschichtlich ebenso undenkbar, wie es geheiligte Kriegführung und Terrorismus sind", behauptet Buc - und er legt christliche Spuren in den Kriegen des George W. Bush ebenso offen, wie er im Terreur der Französischen Revolution, den Kreuzzügen oder im Terrorismus der Roten Armee Fraktion ab den 1970er-Jahren eine Fortschreibung "christlicher" Denkfiguren und Handlungsmuster entdeckt.

Wie Gewalt christlicher Exegese &Theologie folgt

Das alles, so Philippe Buc, ist eine Folge der christlichen Exegese und Theologie, von den Kirchenvätern bis weit hinaus übers Mittelalter, über das er, seiner Profession gemäß, besonders kenntnisreich berichtet. Es mag beklemmend (und durchaus einseitig betrachtet) sein, den Zusammenhang zwischen - westlichem - Christentum und Gewalt zu entdecken; aber es bleibt enorm lehrreich, anstatt alle dunklen Seiten der Religion dem Islam anzuhängen, sich einmal mit den Gewalttraditionen der eigenen, "christlichen" Kultur auseinanderzusetzen. Man darf davon ausgehen, dass die abendländischen Kulturkämpfer solches nicht hören, geschweige denn Philippe Bucs Buch lesen wollen. Auch wenn der Autor selber eingesteht, dass er die Gewaltfrage nur durch die Brille christlicher Begründungsgeschichte liest, also seine Analyse explizit nicht auf alle komplexen historischen bis anthropologischen Stränge von Gewalt und Krieg bezieht, ist seine Analyse erhellend.

Dass etwa dem christlichen Märtyrerbegriff einiges an Problematik innewohnt, arbeitet der Autor da heraus: Es gab in der christlich grundierten Gewaltgeschichte der Menschheit auch "christliche" Selbstmordattentäter, die sich mit Fug und Recht - und mit vergleichbarer Argumentation wie in den brandaktuellen Szenarien - auf ihren Glauben berufen konnten.

Obwohl Philippe Buc bewusst ist, dass auch der Islam in eine derartige Analyse hineinzunehmen wäre, spart er diesen in seinen Überlegungen weitgehend aus, weil ihm die historische und theologische Expertise dazu fehle. Auch diese Bescheidung spricht für Buc, dessen "Heiliger Krieg" jedenfalls in all jene (Theologen-)Hände gehört, die das westliche Christentum vorschnell zur reinen Friedensreligion zurechtbiegen möchten.

Weitere Neuerscheinungen zum Thema

Gewalt in Bezug auf den Islam beleuchtet hingegen der vom Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück herausgebrachte Sammelband "Sterben für Gott - Töten für Gott?" gleich zu Beginn kontrovers, wo der an der Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom lehrende Ethiker und politische Philosoph Martin Rhonheimer die bekannten Argumente der Islamkritik einmal mehr auf den Punkt bringt, indem er angesichts von IS &Co dem Islam überhaupt abspricht, eine Religion im westlichen Verständnis zu sein: Er wäre vielmehr ein kultisches und sozialpolitisches Regelwerk. Dem entgegen müht sich im zweiten Beitrag die islamische Reformtheologin Katajun Amirpur gleichfalls einmal mehr, die Gemeinsamkeiten der Fundamentalismen von Islamisten und Islamkritikern aufzuzeigen - vermutlich einmal mehr, ohne (siehe das Beispiel Rhonheimer) letztere zu überzeugen. In weiterer Folge setzt sich der Band mit problematischen und befreienden Aspekten des Märtyrertums in Geschichte und Gegenwart auseinander; als eindrücklich erweist sich die Bewertung des Martyriums der Mönche im algerischen Thiberine, die von Islamisten ermordet und mit dem Film "Von Menschen und Göttern" einem breiten Publikum bekannt geworden sind, durch den Wiener Theologen Christoph Benke.

Jan Assmann, der auch zu obigem Buch beigetragen hat, steht im Mittelpunkt eines weiteren, von Jan-Heiner Tück herausgebrachten Sammelbandes: In "Monotheismus unter Gewaltverdacht - Zum Gespräch mit Jan Assmann" modifiziert der Ägyptologe seine These, dass der Monotheismus mit der Unterscheidung von Wahr und Falsch eine neue Form von Gewalt in die Welt gebracht habe. Der Band dokumentiert ein hochkarätig besetztes Symposium an der Uni Wien, wo Assmann seine Theorie, die ihm auch massive Antisemitismusvorwürfe eingetragen hat, differenzierte.

Mit Religion im weitesten Sinn hat auch Klaus Theweleits Grazer Vorlesung "Unruhe bewahren" 2014 zu tun. Die im Band "Das Lachen der Täter: Breiviku. a. - PsychogrammderTötungslust" dokumentierten Überlegungen des Kulturtheoretikers untersuchen den norwegischen "Tempelritter" Anders Breivik, der 67 Jugendliche erschossen hat, ebenso wie Killer des Islamischen Staates und Tötungslustige der letzten Jahrzehnte - von Indonesien und Kambodscha bis Ruanda.

Heiliger Krieg

Gewalt im Namen des Christentums.

Von Philippe Buc. Verlag Philipp von Zabern 2015.432 Seiten, geb. € 41,10

Sterben für Gott - Töten für Gott?

Religion, Martyrium und Gewalt.

Hg. von Jan-Heiner Tück. Herder 2015.272 Seiten, geb. € 20,60

Monotheismus unter Gewaltverdacht

Zum Gespräch mit Jan Assmann, Hg. von Jan-Heiner Tück. Herder 2015.272 Seiten, geb. € 20,60

Das Lachen der Täter: Breivik u. a.

Psychogramm der Tötungslust.

Von Klaus Theweleit. Residenz Verlag 2015.248 Seiten, geb. € 22,90

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