Eine fotografische Reise durch 100 Jahre Kindheit

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Kinderfotos aus der Zeit von ca. 1870 bis 1970 laden zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Die kollektiven Erinnerungen sind auch Ausdruck von Fotografie-, Sozial- und Kulturgeschichte.

Jede Ausstellung des Bildarchivs und der Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek stellt naturgemäß immer nur einen Miniaturausschnitt aus den nahezu unermesslichen Beständen dar, die größte Herausforderung ist die Auswahl. Unter dem Titel "Kinder, wie die Zeit vergeht! Kleine Prinzen und große Mädchen in historischen Fotografien“ haben die Kuratorinnen Michaela Pfundner und Margot Werner aus tausenden Kinderfotos eine Auswahl getroffen, darunter noch nie gezeigte Atelieraufnahmen, Pressefotos und private Fotos von ca. 1870 bis in die 1970er-Jahre - Eindrücke aus 100 Jahren Kindheit in Österreich.

Im Titel klingt eine wesentliche Intention der Fotografie an: flüchtige Augenblicke festzuhalten und in etwas Bleibendes, in ein konkretes Bild zu verwandeln. "Kleine Prinzen und große Mädchen in historischen Fotografien“ lässt sich sowohl wörtlich als auch im übertragenen Sinn verstehen. Eine Reihe von Fotos aus den 1860er-Jahren zeigt, wie Kronprinz Rudolf auf seine Rolle als zukünftiger Kaiser vorbereitet und entsprechend fotografisch in Szene gesetzt wurde: Rudolf in Uniform als "kleiner Soldat“, in ungarischer Tracht, als wissbegieriges Kind vor dem Globus, mit seinem Vater auf Jagd, mit seinen Geschwistern. Die Ausstellung zeigt auch die einzig bekannte Fotografie von Kaiserin Elisabeth im Kreis ihrer Familie.

Inszenierte Kinderfotos als Vorbild

Bildsujets, Posen und Mode des Kaiserhauses wurden oft vom Adel, dem Bürgertum und anderen gesellschaftlichen Schichten nachgeahmt, wie etwa auch der lange Zeit so beliebte Matrosenanzug. Wie Prinzen und Prinzessinnen wurden die Kinder als ganzer Stolz der Familie in Szene gesetzt und zeigten auch die gesellschaftlichen Ansprüche der Familien. Gleichzeitig manifestierten sich geschlechtsspezifische Stereotypen und Rollenbilder, was auch die Auswahl der Requisiten zeigt. Kinder- und Familienfotografie bewegt sich bis heute zwischen Selbstvergewisserung und Wunschdenken, nicht selten geprägt von dem jeweiligen gesellschaftlichen Bild der idealen Familie. Gerade die Atelierfotografie ist aus dem familiären, häuslichen Kontext herausgenommen, die Kinder, die Familien sind in Szene gesetzt, ins Licht gerückt, das soziale Umfeld und Alltagsleben bleiben dabei im Dunklen.

Zu den fotografischen Höhenpunkten der Ausstellung zählen die beinahe idyllischen Farbaufnahmen des Fotokünstlers Heinrich Kühn von 1908, die in ihrer intimen und ungezwungenen Darstellung ihrer Zeit weit voraus sind.

Die technische Entwicklung bringt eine Verbreitung der Fotografie in alle Gesellschaftsschichten mit sich, durch das Aufkommen kleinerer Kameras und kürzere Belichtungszeiten wurden die privaten Fotos immer spontaner, sogenannte Schnappschüsse geben einen ganz anderen Einblick in die Lebenswelten und den Alltag von Kindern.

Fotoalben als Familiengedächtnis

Ab den 1920er-Jahren wurden Fotoalben aufwändig und liebevoll gestaltet und entwickelten sich zu einer Art Familiengedächtnis, das durch gemeinsames Anschauen gepflegt wurde. Die Frage, wie eine Ausstellung von Kinderfotografie von 1970 bis heute ausschauen würde, drängt sich auf. Zu keiner Zeit haben Kinder und Jugendliche unabhängig von den Erwachsenen einander und sich selbst so viel fotografiert wie heute, noch nie waren die Fotos so schnell verschwunden, wenn sie nicht mehr gefallen.

Die Ausstellung zeigt auf, wie unterschiedlich Kinder im Lauf der Zeit gesehen und inszeniert wurden, wie sie teilweise - bis heute - als Statussymbol gelten. Durch die Fotografie wurden sehr unmittelbar Ideologien, gesellschaftliche Normen und Werte vermittelt, im Austrofaschismus genauso wie im Roten Wien genauso wie im Nationalsozialismus und den Aufbaujahren der Nachkriegszeit. Erziehung zur Sauberkeit, wie das geradezu militärisch anmutende Zähneputzen im Hof der Schulzahnklinik (1932) wurden fotografisch festgehalten.

Es ist eine kleine, aber sehr vielschichtige Ausstellung, die sich entlang unterschiedlicher Linien des Erzählens anschauen lässt. Sie ist eine Einladung zu einer ganz persönlichen und subjektiven Reise in die Jahre der Kindheit. Zugleich gibt die Zusammenstellung einen Überblick über 100 Jahre Fotografie-, Sozial- und Kulturgeschichte und zeigt so ein Stück kollektiver Erinnerungen.

Ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen zu den unterschiedlichen kulturhistorischen Aspekten und umfassenden Bildmaterial begleitet die Ausstellung.

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Österreichische Nationalbibliothek, Prunksaal

bis 23. Februar 2014,

Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr

www.onb.ac.at

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