Eine Frage der Gerechtigkeit

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Wie fair das österreichische Bildungssystem ist und welche Maßnahmen gebraucht werden, wurde am Symposium „ZukunftsBilder“ diskutiert.

Kurt Scholz nennt es das „BSE Prinzip“: B für die Begabung des Kindes, S für die Soziale Schicht der Familie und E für die Erreichbarkeit höherer Schulen; das seien drei Faktoren, die es ermöglichen, die Chancen eines jungen Menschen in unserem Bildungssystem einzuschätzen. „Fallen zwei dieser drei Faktoren zusammen, dann macht das Kind Schulkarriere. Fehlen zwei Faktoren, hat es bestenfalls eine Außenseiterchance.“ Scholz betonte, dass die Bildungschancen in Österreich nicht für alle gleich sind. „Ausschlaggebend, ob ein Kind eine Maturaklasse sieht oder nicht, ist der Storch. Nämlich mit der Entscheidung, in welches Nest er das Neugeborene legt.“ Scholz verglich die Situation mit Rolltreppen in einem Kaufhaus. Es gebe Rolltreppen, die nach oben, und solche, die nach unten fahren. Ein Kind, das nur eine solche Außenseiterchance hat, müsse es schaffen, mit der Rolltreppe, die nach unten geht, in den oberen Stock zu kommen. „Es geht, es ist nur gefährlicher und anstrengender.“

Scholz nahm als Gast am Symposium „ZukunftsBilder“ auch Bezug auf die Rolle der Kirche im österreichischen Bildungssystem. Die katholische Kirche habe in ihrer, Jahrhunderte langen Bildungstradition immer Reiche wie Arme gebildet. Scholz ist überzeugt, dass diese Haltung auch heute noch in der Einstellung der Verantwortlichen an Katholischen Schulen mitschwingt. Voll des Lobes ist der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident auch für die Broschüre „Auf dem Weg zur gerechten Schule“ von der Katholischen Aktion Österreichs (DIE FURCHE berichtete in Ausgabe 22/S. 2). „Diese kleine Broschüre solle zum täglichen Abendgebet der Mitglieder des Bildungsausschusses im Nationalrat werden.“ Niemand habe die sozialen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem klarer formuliert, meinte Scholz. Einige dieser Ungerechtigkeiten seien schon bei den Kleinsten zu finden. 10 Prozent der österreichischen Kinder könnten aus ökonomischen Gründen keinen Kindergarten besuchen.

Unsichtbare Armut

Das lege dann den Grundstein für Probleme in der weiteren schulischen Laufbahn. Überhaupt werde totgeschwiegen, dass Kinder und Jugendliche von Armut besonders betroffen sind. In der Politik gebe es keine Organisation, die darauf hinweise. „Ein Schandfleck für die österreichische Gesellschaft“ nannte Scholz diese Situation. „Gegen die Armut eines Personenkreises, der absolut nichts dafür kann, aber auch von alleine nicht aus dieser Armut herausfinden kann, wird nichts unternommen.“ Bei dem Gedanken an Armut würde den meisten Menschen das Bild eines Bettlers in den Sinn kommen, meinte Scholz. Dies sei aber nur ein kleiner Prozentsatz der Armen. „Armut ist eigentlich unsichtbar. Und deshalb nehmen wir das achselzuckend hin.“ Hier müsse die Politik Maßnahmen ergreifen. Bildungspolitik würde im Moment aber viel zu konfrontativ betrieben werden. Der Konsens der Großparteien fehle, und daher auch die Möglichkeit, Reformen durchzusetzen. Dabei sollte die soziale Selektivität unseres Bildungssystems sowohl der SPÖ als auch der ÖVP ein Dorn im Auge sein, meinte Scholz. „Beide sollten sich treffen. Die einen von der sozialistischen Humanität motiviert, die anderen von der christlichen Caritas.“ Die Neue Mittelschule sieht er als Anfang und durchaus zukunftsweisende Reform, allerdings ginge sie nicht weit genug. „Die Mittelschule wird über kurz oder lang nur die Hauptschule ablösen. Daher stellt sich die Frage, wie sinnvoll das Projekt ist.“ Kurt Scholz ist sich sicher, dass für eine größere Durchlässigkeit im Schulsystem nicht zwangsweise eine Gesamtschule gebraucht wird. Ganztägige Schulformen würden vor allem Kindern aus sozial schwachen Familien weiterhelfen. Scholz schätzt vor allem die Realisierbarkeit höher ein: „Hier könnten die Koalitionspartner mit Sicherheit leichter eine Einigung erzielen.“ Trotzdem sei ein grundlegendes Überdenken notwendig. Eine so frühe Trennung zwischen Gymnasium und Hauptschule wie bei den 10-Jährigen in Österreich und Deutschland, gäbe es sonst nirgends in Europa.

Das Blaue vom Himmel

Nach seiner Vision für das Jahr 2030 befragt, zögerte Scholz nicht lange: „Endlich wird nicht mehr der Storch ausschlaggebend für die Zukunft eines Kindes sein, sondern dessen Begabung und Leistungsfähigkeit.“ Der Weg dahin ist für Scholz auch schon relativ klar. Der erste Schritt sei ein klares Ansprechen der Probleme. Außerdem würde der ehrliche Wille zur Veränderung gebraucht werden. Dadurch könnten Organisationsstrukturen geändert werden. Scholz ist der Meinung, dass kleine Maßnahmen Schritt für Schritt zu mehr Gerechtigkeit führen können. Es müsse auch vermittelt werden, dass sozial Schwache im Bildungssystem gewollt sind und ihren Bedürfnissen entsprechend unterstützt werden. „Man muss allen eine Chance bieten. Ergreifen müssen die Jugendlichen diese Möglichkeiten ohnehin selbst.“ Scholz forderte hier die Politik zum Handeln auf. „Zunächst benötigen wir vonseiten der Politik eine neue Ehrlichkeit. Es muss aufhören, dass Verantwortliche ständig das Blaue vom Himmel versprechen und dann doch nichts halten.“

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