Eine ganz irdische inszenierung

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Zum 75. Geburtstag von Hermann Nitsch zeigt das Nitsch-Museum in Mistelbach eine Retrospektive des Künstlers. - Ein polemischer Einwurf aus gegebenem Anlass.

Skandale, Morde, Blut, Vergewaltigung und Leichen - das hat immer schon die Aufmerksamkeit der Medien und der Leser erregt. "Bad news are good news“ lautet eine der bekanntesten journalistischen Maximen, und das genüssliche Wiederkäuen dieser Gräuel hat nicht nur in einigen österreichischen Boulevardblättern Tradition.

Was ist das nun, das die Menschen an diesen - in der öffentlichen Meinung negativ konnotierten - Tatsachen trotzdem so fasziniert? Lustvoll strömen sie in Scharen zur Schaustellung der Blut- und Mysterienorgien eines Nitsch ins Weinviertel, bestaunen die oft verstörenden Bilder von Schwarzkogler und Muehl im Leopoldmuseum, betrachten Selbstverstümmelungsvideos im Esslmuseum …

Provozierende Aktionen

Um das zu verstehen, sollte man einen kurzen Exkurs in die Geschichte des Wiener Aktionismus wagen. Wagen deshalb, weil diese "Kunst“ einige im heutigen Sinn sehr bedenkliche Elemente enthielt, aber von den meisten Kritikern und Machtträgern wie Museumsdirektoren, Politikern und Sammlern hochgeschätzt wird. Der Wiener Aktionismus entstand 1963, begründet von Brus, Nitsch, Schwarzkogler, Rainer, Frohner, Muehl u. a. Sie erregten hauptsächlich durch provozierende, öffentliche Aktionen die Aufmerksamkeit der Medien: Urinieren, Bluttrinken, Exkremente essen, Selbstverstümmelungen waren Bestandteile dieser Events. Einer ihrer Teilnehmer, Otto Muehl meinte einmal: "Alles verdient es ausgestellt zu werden … einschließlich Vergewaltigung und Mord.“

Psychologisch betrachtet ist diese Lust am Verbotenen, Nekrophilen und Sterkoralen (Kothaltigen; red.) mit dem Begriff des "ersparten Hemmungsaufwandes“ zu erklären. Das heißt, man schaut zwar weg und hält sich die Hand vor die Augen, schielt aber gleichzeitig mit weit aufgerissenen Augen durch die gespreizten Finger doch auf das Verbotene. Schon in Platons "Politeia“ wird von Sokrates in einem Dialog diese Situation beschrieben und erklärt. Kürzlich veröffentlichte Studien von Psychologen der University of Queensland belegen auch eine sogenannte "Dehumanisierung“ des Menschen, seine Verrohung und den Verlust der Werte, wenn er sich ständig solchen Themen aussetzt.

Bei den Experimenten der Aktionisten befinden wir uns - unter dem Deckmantel der Kunst - im Einflussbereich einer bis dato noch nie gesehenen, profanen Gewalt in trivialster Form. Außerhalb eines Lebens, das den Anspruch auf Sozialisation erheben kann - ein Leben, dem man auch jederzeit selbst ein Ende setzen kann, wie es ein Mitglied der Wiener Aktionisten auch demonstriert hat.

Etwas, das in diesem Zusammenhang aber nachdenklich stimmt, ist das regelmäßige Wiederauftauchen der Werke und Personen aus diesem Dunstkreis. Immer die gleichen Verdächtigen, und damit sind nicht nur die "Künstler“ dieser Zeit gemeint, sondern auch deren Proponenten in der heutigen Öffentlichkeit.

Spekulation mit dem Voyeurismus

1998, nach Muehls Haftentlassung - er wurde 1991 rechtskräftig wegen Pädophilie zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt - initiierte Claus Peymann eine Lesung Muehls im Burgtheater. 2004 fand im MAK unter Direktor Noever eine retrospektive Schau Muehls mit dem sinnigen Titel "Jenseits von Zucht und Ordnung“ statt. 2010, als gerade die öffentliche Diskussion um sexuellen Missbrauch ihren Höhepunkt erreichte, und erstmals ein langsames Begreifen der Verletzungen der Geschädigten im Bewusstsein der Menschen stattfand, holte auf einmal Direktor Rudolf Leopold seine - vor Jahren im VW-Bus vom Friedrichshof abtransportierten - Muehl-Bilder aus dem Keller und veranstaltete eine Retrospektive. Das war reine Spekulation mit dem Voyeurismus der Menschen, also eigentlich der Versuch, aus der Verletzung und Traumatisierung der von Muehl missbrauchten Menschen Kapital zu schlagen. 2011 wurden Bilder Muehls (mit anderen Künstlern zusammen) unter dem Ausstellungstitel "Gipfel des kreativen Österreichs“ in Moskau in einem Museum gezeigt. Eröffnet wurde die Schau übrigens von Bundesministerin Schmied und Bundespräsident Fischer.

Ebenso fand 2011 eine Nitsch-Ausstellung im Leopoldmuseum statt. Bei der Pressekonferenz, bei der Hermann Nitsch auch seine Ideen und Entwürfe einer unterirdischen Architektur ankündigen wollte, fragte ich Direktor Diethart Leopold, mit welcher moralischen Verantwortung er Bilder und Werke eines Künstlers, der sich seit fünfzig Jahren mit nichts anderem als mit Nekrophilem, Blut und Tod beschäftige, in einem Museum für Schulklassen zugänglich machen könne. Die Antwort blieb Leopold schuldig. Für eine weitere Frage meinerseits verweigerte man mir anschließend das Mikrofon. Bei derselben Pressekonferenz machte auch der am Podium sitzende Carl Aigner, Direktor des Landesmuseums St. Pölten, folgendes bedenkliche Statement: "(Meister) Nitsch, vor deinen Bildern müsste man eigentlich niederknien und sie anbeten.“

Alles ist möglich

Nitsch ist Absolvent der Grafischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, macht seit über fünfzig Jahren - wie auch seine Kollegen - immer das gleiche, es ist keine Entwicklung oder Veränderung zu sehen. Er treibt dieses Auseinanderklaffen zwischen Verstörung und Voyeurismus seit Jahren genüsslich weiter voran. Er benutzt Messgewänder, reliquienähnliche Gegenstände und sakrale Instrumente, um die Aufmerksamkeit der Medien auf primitivster Ebene zu erzeugen. Denn wenn er sich ein Messgewand umhängt, sich und seine Anhänger mit dem Blut eines frisch geschlachteten Tieres beschüttet, dann ist das nicht die Andeutung einer transzendenten Handlung, sondern die gekonnte Inszenierung des Irdischen, nicht einmal des Unterirdischen. Es ist auch kein Ritual, denn das würde voraussetzen, dass man an etwas glaubt. Es ist die perfekte öffentliche Demonstration des Relativismus - alles ist möglich.

Manche zeitgenössischen Künstler benutzen eben Attribute des Religiösen, um damit Geld zu verdienen. Ein Christuskopf (als Foto oder auf Leinwand) wird übermalt, zigfach vervielfältigt und wie in einer Disneyindustrie in immer wieder neuen Variationen zur Schau gestellt. Und manche der ehemaligen Mitglieder des Wiener Aktionismus verwenden heute noch Sterkorales und Körpersäfte, vermischt mit religiösen Inhalten und Themen, um die Öffentlichkeit zu schockieren. Immer das Gleiche, nur die Größe der Werke ändert sich - mittlerweile zieren solche Arbeiten schon (auf Plastikfolie gedruckt) - Parkgaragen in Wien.

Mit großer Wahrscheinlichkeit gab es nie eine zynischere Umsetzung des Kunstwerkes und eine stärkere Diminuierung des Spirituellen als heute. Und nie zuvor haben sich Museumsdirektoren, Kuratoren und Kunstkritiker vor dieser Herabwürdigung der Kunst dermaßen verbeugt und ihr gehuldigt.

In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass Nitsch, Frohner und auch Rainer ihr eigenes, vom Land Niederösterreich gefördertes Museum besitzen. Es sind merkwürdige Verbindungen zwischen Politik, Museumsdirektoren, Finanziers und dem Wiener Aktionismus, die sich - retrospektiv betrachtet - da auftun. Die Aktionsanalytische Organisation (AAO), die Kommune am Friedrichshof, durfte jahrelang mit Duldung allerhöchster politischer Kreise ihr Unwesen treiben. Sammler gingen ein und aus und deckten sich mit Werken ein. Es war ein "gesellschaftliches Experiment“.

"Die etablierte Nichtunterscheidung zwischen Heiligem und Frevel ist der kürzeste Weg in die Barbarei.“ (Jean Claire, Direktor des National Picasso Museum in Paris)

Der Autor ist Architekturkritiker und freier Journalist in Wien

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