Eine Hochzeit ganz ohne harmonie

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Jonathan Demme, Regisseur des Blockbusters "Schweigen der Lämmer" legt mit "Rachels Hochzeit" einen Film vor, der ganz ohne die Stilmittel des Hollywood-Kinos auskommt. Im "Dogma"-Stil erzählt er die traurig-komische Geschichte eines Familenfestes.

"Rachels Hochzeit" ist Jonathan Demmes erster Spielfilm seit fünf Jahren. Im FURCHE-Interview spricht der Regisseur über seinen Abscheu vor Hollywood, seine Anleihen bei "Dogma" und den Film als Hommage an Tschechow.

DIE FURCHE: Mr. Demme, seit "The Manchurian Candidate" (2004) haben Sie keinen Spielfilm mehr gedreht, sondern nur Dokumentarfilme. Wieso?

Jonathan Demme: Es wurde zu stressig. Einen Spielfilm zu drehen, ist die eine Sache. Was danach kommt, die andere: Gespräche über Marketing, Verleih usw. Ich war erschöpft und brauchte eine Auszeit. Dann rief mich Neil Young an und wir beschlossen, einen Musikfilm zu drehen. Plötzlich machte mir das Filmemachen wieder Spaß: Wir drehten eine Doku, außerhalb der üblichen Rahmenbedingungen, ganz entspannt.

DIE FURCHE: Was hat Sie so an der Hollywood-Maschinerie gestört?

Demme: Wie diese Industrie funktioniert: Die Studios üben einen ungeheuren Einfluss auf ihre Filme aus. Es gibt viele Quellen, die da mitreden: wovon der Film zu handeln hat, wie sein Look sein soll usw. Man verdient zwar sehr gut und kann mit großen Schauspielern drehen. Aber für eine sensible Seele wie mich war das keine Option mehr. Ich war ausgelaugt.

DIE FURCHE: Mit "Rachels Hochzeit" haben Sie nun doch wieder einen Spielfilm gedreht.

Demme: Mich rief Sidney Lumet an und sagte mir, seine Tochter Jenny Lumet hätte ein wunderbares Drehbuch geschrieben. Ich sagte Sidney, dass ich kein Interesse mehr an Spielfilmen habe - doch dann dachte ich: Halt, das ist Sidney Lumet, lies zumindest das Skript! (lacht) Dann dachte ich: Verdammt, hätte ich das Buch doch vor fünf Jahren gelesen, als ich solche Filme noch gemacht habe! Das Buch brachte mich zum Weinen, aber ich habe auch schallend gelacht. Es konzentrierte sich auf die Figuren - und ich spürte, dass man daraus einen Film mit Independent-Charakter drehen könnte. Ich liebe solche Filme. Ich schickte Anne Hathaway das Buch, weil ich sie bewundere. Wir trafen uns, die Chemie stimmte und von da an wollte ich den Film machen. Ich fühle mich aber trotzdem als Dokumentarfilmer.

DIE FURCHE: Die Familiengeschichte hat Tragik und Witz zugleich. Wie fanden Sie die Balance?

Demme: Das Drehbuch ist viel witziger als mein Film. Im Buch gab es viel mehr clowneske, irrwitzige Szenen. Aber ich exkludierte das, denn ich wollte mehr auf die tragische Dimension dieser Familiengeschichte hinweisen. Ich ließ mich zu diesem Film durch das dänische Dogma-Kino inspirieren - ich liebe "Dancer in the Dark" oder auch "After the Wedding" von Susanne Bier. Wir sahen diesen Film in der Vorbereitung zu "Rachels Hochzeit". Hier sieht man, wie unchoreografiert diese Szenen aussehen können.

DIE FURCHE: Optisch sieht "Rachels Hochzeit" so aus, als hätten Sie sich ein wenig am dänischen Dogma-Manifest orientiert.

Demme: Wir hatten beim Dreh sehr wohl die Dogma-Regeln im Kopf. Wenn man wie ich nur Dokumentarfilme dreht, dann hat man ständig mit diesem unmittelbaren Dogma-Stil zu tun. Ich mag ihn sehr. Dogma-Filme sind viel realistischer und daher zugänglicher.

DIE FURCHE: Also war Realismus Ihr Ausgangspunkt?

Demme: Wir wollten den Film als eine Art Homemovie inszenieren. Wenn wir Videos von der eigenen Familie sehen, wissen wir: Das ist die Realität. Diese Art des Filmens wollten wir einbringen. So haben wir Proben vermieden und auf Spontaneität gesetzt. Mein Motto dabei: Lassen wir den kollektiven Erfindungsgeist arbeiten.

DIE FURCHE: Hatten Sie keine Angst vor völligem Chaos am Set?

Demme: Nein! Wir haben Leute eingeladen, am Film mitzuarbeiten, anstatt sie zu casten. Wir drehten den Film chronologisch, und all die Hochzeitsgäste, die ankamen, sollten sich vor der Kamera treffen und sich kennen lernen, damit das Ganze organischer wirkt. Wir nahmen keine Statisten, denn die würden sich bemühen, professionell zu wirken. Ich stellte mir die Frage: Wen würde ich zu meiner Hochzeit einladen? Bei solchen Feiern entstehen die seltsamsten Gemeinschaften, die in dieser Form nie mehr zusammenkommen. Wissen Sie, woran mich das Drehbuch erinnert hat? An Tschechow. Ich liebe Tschechow - und ich denke, dass Jenny Lumet mit ihrem Drehbuch eine Tschechow-Geschichte für das 21. Jahrhundert geschrieben hat. Hat Tschechow nicht oft eine inhomogene Familie beschrieben, die er bei Feierlichkeiten zusammengebracht hat?

Die Furche: Wie war Ihre Rolle beim Dreh, wenn Sie es auf Spontaneität abgesehen hatten?

Demme: Ich habe mich sehr zurückgehalten. Sonst klebst du ja bei jedem Take an den Lippen der Akteure und machst dir Gedanken, wie man Sätze noch besser machen könnte. Diesmal sollten die Schauspieler ihren eigenen Zugang finden. Wir haben keine einzige Szene zweimal gedreht. Kameramann Declan Quinn besitzt ein ungeheures Gespür für dramatische Aktion. Er weiß, wie er Schauspieler richtig "einfängt". Ich drehte mit Declan bereits Dokus, und dort haben wir einen gemeinsamen Stil gefunden.

* Das Gespräch führte Matthias Greuling

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