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Notizen von einem Ausflug nach Kärnten - zu einer Ausstellung im Bleiburger Werner-Berg-Museum anlässlich des 75. Geburtstags der Künstlerin Kiki Kogelnik. Von Begegnungen rund um einen übersehenen Grabstein, einen beschädigten Kreuzweg und einen verschlossenen Karner. Eine spätherbstliche Spurensuche.

Bleiburg in Kärnten, im Spätherbst 2010, über dem langgezogenen 10.-Oktober-Platz wehen schlapp die blauen, roten, schwarzen, gelben und grünen Plastikimitationen von Kiki Kogelniks "Hangings" wie die verlassene Dekoration der Gespensterparty einer Schulklasse. Es beginnt zu regnen. Die Ausstellung im Werner-Berg-Museum zum 75. Geburtstag von Kiki Kogelnik, der gebürtigen Bleiburgerin, ist überschaubar. Aber liebevoll. Ein Film wird gezeigt. Man erfährt viel von der Kunst zwischen Ironie und tieferer Bedeutung und viel Menschliches zwischen Charme, Schönheit und Trauer. Zum Schluss, dass Kiki in Wien gestorben und in Bleiburg begraben ist. Wo, fragen wir an der Kassa des Museumshops. Auf dem Friedhof (gerade, dass die Dame nicht sagte, wo denn sonst) - aber fragen Sie mich nicht, wo genau. Gut, das werden wir schon finden. Ein Künstlergrab findet man immer.

Ein heller, fast abstrakter Marmorengel

Der Friedhof liegt gegenüber dem Bahnhof. Es regnet stärker. Wir gehen trotzdem zu Fuß. In der Manteltasche eine Kerze, besser gesagt: ein Grablicht, und das Feuerzeug. Einer geht links zwischen den Gräbern, die andere rechts. Beide sind wir schließlich erfolglos, wir finden nirgends "Kokelnik". Aber da ist doch ein Grab, das sich von den übrigen glattpolierten und gesichtslosen Kunststeinen abhebt: ein rufender, himmelwärts weisender heller, fast abstrakter Marmorengel, neben ihm ein Stein vor einem Loch. Kein Kreuz. Das könnte es sein, dieser Auferstehungsengel! Ja, schon, aber da ist kein Name. Eben ein Künstlergrab, sage ich. Es regnet wieder stärker. Also, wir zünden jedenfalls hier die Kerze an! Dann wollen wir gehen. Da schlurft eine alte Frau über den Kies und sammelt leergebrannte Grablichter ein. Die fragen wir noch! Aber sie hört fast nichts, redet irgendwas auf Slowenisch. Kogelnik! Kiki! Künstlerin!, schreien wir ihr ins Ohr und zeigen fragend auf die Gräber ringsum. Weiß nicht, zuckt sie mit den Schultern. Vielleicht dieses dort, sage ich und zeige auf den anonymen Marmorengel. Oh nein, wehrt sie ab, das ist einer, der sich umgebracht hat - oder eine andere Religion hat oder so was! Sagt es auf Deutsch und schlurft weiter. Wir schauen uns an: Dem nehmen wir die Kerze nicht wieder weg! Es regnet und dämmert und wir ziehen die Köpfe ein. Kiki kann warten, sage ich.

Am nächsten Morgen holen wir aus der Bleiburger Kirche ein rotes Wachslicht, werfen das Geld dafür ein - und läuten am Pfarrhoftor. Wir suchen das Grab der Künstlerin Kiki Kogelnik! Der Pfarrer nimmt ein Blatt Papier und skizziert den Lageplan. Ich hab sie ja schließlich begraben, sagt er. War sie gläubig? Nicht unbedingt kirchlich, aber sie hat sich sehr viel mit der Transzendenz auseinandergesetzt!

Diesmal fahren wir mit dem Auto zum Friedhof. Seiteneingang, dann höchstens zehn Meter nach rechts, an der Mauer. Erstes Grab, zweites Grab, drittes, viertes - wieder nichts. Ratlosigkeit. Da kommt eine Frau zu Hilfe. Sie weist auf ein respektables Grab mit hochaufragendem Mauerkreuz. Das haben wir übersehen, denn da steht in großen beherrschenden Buchstaben zuerst einmal FAMILIE HERBST-ZEIDLER. Dann aber - ziemlich klein - auch zweimal der Name Kokelnik. Also die Grabstätte der Vorfahren mütterlicherseits: Apotheker, Medizinalrat, Bürgermeister, Schuldirektor. Unter den Honoratioren auf der großen schwarzen Marmortafel eine angefügte kleinere mit den jüngsten Eintragungen: "Sieglinde Kogelnik, geb. Herbst, gest. 3. Febr. 2005". Die Mutter? Daneben: "Kiki Kogelnik, akad. Malerin, Ehrenbürgerin der Stadt Bleiburg, geb. 22. Jän. 1935, gest. 1. Febr. 1997". Wir zünden vor dem roten Geranienstock das Wachslicht aus der Kirche an.

Zum Karner in Stein im Jauntal fahren wir eine halbe Stunde. Herr S. hat sein Mobiltelefon abgeschaltet, ihn sollte man anrufen, wenn man das letzte größere Werk von Kiki Kogelnik besichtigen möchte, die Ausgestaltung dieses Karners mit einem Totentanz. So ist es jedenfalls auf einer Internetseite zu erfahren. Der Karner ist gewissermaßen Ziel und Ende jenes Kreuzwegs, der den steilen Hügel hinauf zur alten Kirche von Stein führt. Vor 15 Jahren haben ihn 14 namhafte Kärntner Künstler völlig neu gestaltet. Valentin Oman, Karl Brandstätter, Reimo Woukonig und andere. Und Kiki Kogelnik. Sie hat nicht nur den Karner, sondern auch die X. Station dieses Kreuzwegs geschaffen: "Jesus wird seiner Kleider beraubt." Das Mobiltelefon von Herrn S. ist noch immer abgeschaltet, also gehen wir alleine Berg und Kreuzweg hinauf, in der vagen Hoffnung, auch zum Karner Zutritt zu finden.

Die einzelnen Stationen sind von unterschiedlicher künstlerischer Technik und - man muss es sagen - auch von unterschiedlicher Qualität. Die überraschendste und radikalste Lösung ist jene X. Station von Kiki Kogelnik. Aus der Bildfläche ragen keramische Zapfen, und lassen, verschiedenfarbig glasiert, die Umrisse eines menschlichen Körpers erkennen. In der Beschreibung des Kreuzwegs, die ich mir eingesteckt hatte, lese ich, was die Künstlerin selber dazu geschrieben hat: "Der nackte Mensch ist ohne Abwehr und Schutz. Die keramischen Zapfen, die aus der Wand herauswachsen, haben diese Verletzbarkeit ? wie das Innere einer Frucht, die man öffnet: zart, verletzbar und wehrlos." Es ist die eindrucksvollste Station des Kreuzwegs von Stein geworden, denn inzwischen sind viele der Zapfen brutal abgeschlagen, zeigen ihre Stümpfe als inkarnatfarbene Wunden. Es ist die einzige Station, der man - zu spät - ein Glas vorgesetzt hat, nach den vandalischen Anschlägen. An eine Restaurierung dieser eindrucksvollen Arbeit denkt offenbar niemand. Dichte Spinnweben sind beredte Zeugen dafür.

Den Karner haben wir auch ohne Herrn S. gesehen. Wenigstens durch die Gitterstäbe der Tor- und Fensteröffnungen. Es reichte, um allein zu sein mit den tanzenden, grinsenden Skeletten, den riesigen Käfern, den Himmelsleitern im heiteren Striezelgewölbe. Es war gut so. Der Tod ist groß, wir sind die Seinen und dennoch lachenden Munds, wenn wir so an ihn erinnert werden.

? gewusst, dass sie bald sterben wird

Ein Katalog zu Kreuzweg und Karner liege beim Kirchenwirt und in der Fremdenverkehrszentrale von St. Kanzian auf, lesen wir irgendwo. Nein, den gibt's nicht mehr, sagt der schnauzbärtige Mann im Tourismusamt. Sind Sie Herr S., frage ich ihn. Nein, der ist schon lange in Pension. Aber Sie wissen, dass der Kreuzweg der Kärntner Künstler schwere Schäden aufweist? Wissen wir, Sie sind nicht der Erste, der sich beschwert. Aber da sind doch Kostbarkeiten darunter, die Kogelnik-Station zum Beispiel! Wem sagen Sie das, sagt der schnauzbärtige Mann: Ich hab' ja selber mitgearbeitet. Beim Kreuzweg? Nein, beim Karner. Mit der Frau Kogelnik? Ja. Sind Sie Künstler? Ich bin Tischler, ich habe die Balken behauen, die im Karner über den offen sichtbaren Gebeinen liegen. Wie war die Zusammenarbeit mit der Frau Kogelnik? Schön. War ja ihre letzte Arbeit. Ich glaub, sie hat schon gewusst, dass sie bald sterben wird. Und was könnte man tun, um ihre Kreuzwegstation zu retten? Weiß ich nicht, fragen Sie doch den Kulturreferenten. Kein Kunstwerk ist ewig, fügte er hinzu, auch die Zeit arbeitet mit an der Kunst. Oder sagte er: der Tod?

Wir fahren zurück nach Bleiburg. Da flattern im Herbstwind noch für ein paar Tage die "Hangings" der Kiki Kogelnik. Im Jänner hätte sie ihren 75. Geburtstag gehabt. Es regnet nicht mehr.

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