Eine Liebe zu Pound

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Mit Hingabe betreut Mary de Rachewiltz den Nachlass ihres Vaters Ezra Pound. Am 7. Juli feierte die Schriftstellerin und Übersetzerin ihren 90. Geburtstag.

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Mit Hingabe betreut Mary de Rachewiltz den Nachlass ihres Vaters Ezra Pound. Am 7. Juli feierte die Schriftstellerin und Übersetzerin ihren 90. Geburtstag.

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Die Brunnenburg nimmt in der Topologie literarischer Orte einen besonderen Stellenwert ein; war sie doch das Refugium des amerikanischen Schriftstellers Ezra Pound, der dort nach seinen Aufenthalten in amerikanischen Gefängnissen und in einer psychiatrischen Anstalt Zuflucht bei der Familie seiner Tochter Mary de Rachewiltz fand. Ein Besuch der im Stil des Historismus errichteten Burg vermittelt immer noch die Atmosphäre, in der Pound gelebt hat.

Vom Innenhof aus ist bereits seine Stimme zu hören, die in einer Aufnahme der BBC Gedichte rezitiert; ich werde von Pounds Tochter Mary de Rachewiltz und seinem Enkel Siegfried de Rachewiltz, die seinen Nachlass betreuen, herzlich empfangen. Die rüstige, energiegeladene Schriftstellerin, die Pounds Hauptwerk "Die Cantos" ins Italienische übersetzte, spricht voll Leidenschaft über den Dichter, der sowohl höchste Bewunderung für sein literarisches Schaffen als auch Ablehnung und Hass wegen seines Eintretens für die faschistische Partei von Benito Mussolini erfahren hat.

Bäuerlich und mondän zugleich

Mary de Rachewiltz selbst, die am 7. Juli ihren 90. Geburtstag begeht, kann auf ein äußerst bewegtes Leben zurückblicken. Sie wurde als Tochter von Pound und der Violinvirtuosin Olga Rudge geboren; Pound war jedoch noch mit der Künstlerin Dorothy Shakespear verheiratet und so entschlossen sich die Eltern, Mary als Pflegekind einer Südtiroler Bauernfamilie anzuvertrauen.

So lebte Mary de Rachewiltz in zwei kaum zu vereinbarenden Lebenswelten, über die sie in ihren Erinnerungen "Diskretionen" anschaulich berichtet. Auf der einen Seite das bodenständige, bäuerliche Umfeld, wo sie völlig integriert war; auf der anderen Seite die mondäne Künstlerwelt ihrer Eltern in Venedig. Unter Anleitung ihrer Eltern lernte Mary de Rachewiltz Englisch, Italienisch und Französisch, was sie zu ihrer späteren umfangreichen Übersetzungstätigkeit befähigte.

Im Gespräch wird von Beginn an ihr bedingungsloses Engagement für das Werk ihres Vaters deutlich. "Er war als Dichter ein Visionär und Seher in der Tradition von William Blake und Arthur Rimbaud; deswegen hatte er auch Zugang zu chinesischer Lyrik und Philosophie, zur ägyptischen und sumerischen Kultur, deren Sprache er zwar nicht beherrschte, aber he got the feeling of it, was viele überhebliche Kritiker nicht verstanden, die ihm vorwarfen, dilettantisch übersetzt zu haben. Man kann von einer 'kreativen Fehlübersetzung' ('creative mistranslation') sprechen, die den Geist der jeweiligen Dichtung besser wiedergibt als eine wortgetreue Übersetzung."

Die lebenslange intensive Beschäftigung mit der Dichtung Pounds befähigt Mary de Rachewiltz, im Gespräch die drei Merkmale zu nennen, die Dichtung ausmacht: "'Melopoeia', wodurch Worte mit einer musikalischen Eigenschaft geladen werden, 'Phanopoeia', wodurch Bilder auf die visuelle Einbildungskraft projiziert werden, und 'Logopoeia' - der Tanz des Geistes unter den Worten, das heißt, die Worte werden nicht nur wegen ihrer sinnfälligen Bedeutung gebraucht."

Pounds Dichtung lebendig halten

Die Hingabe an Pound wird auch spürbar, wenn Mary de Rachewiltz berichtet, mit welcher Freude der Dichter von der gesamten Familie nach seiner Rückkehr nach Italien in der Brunnenburg empfangen wurde. Sie berichtet auch betrübt, dass sich Pound in dem für ihn rauen Klima Südtirols nicht wohlfühlte, weil er das Mittelmeer, Rapallo und die ligurische Küste liebte, wohin er nach einigen Monaten übersiedelte und wo er 1972 verstarb.

Auch heute geht der Tochter der katastrophale psychische Zustand, in dem sich Pound in seinen letzten Lebensjahren befand, zu Herzen: "Es war der leider verstorbene Kunsthistoriker Wieland Schmied, der sich sehr um meinen Vater bemühte. Er hat als Erster bemerkt, wie erschöpft er nach den traumatischen Erlebnissen in den Gefängnissen und der psychiatrischen Klinik war; dazu kam noch seine Entmündigung, die 1946 erfolgte, was bedeutete, dass seine Worte keinen juridischen Wert mehr hatten. T.S. Eliot hat gewusst, dass, wenn mein Vater entmündigt aus dem St. Elizabeths Hospital kommt, dies seinen zivilen Tod bedeutet".

Dennoch, für Mary de Rachewiltz ist die einzigartige, enigmatische Dichtung Pounds lebendig; sie hofft auf eine Lesergeneration, die seinen Ratschlag berücksichtigen wird: "Lesen, indes der weiße Flügelschlag der Zeit uns streift, / ist das nicht Seligkeit?"

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