Eine Mutter darf auch mal zornig sein

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Eine Mutter ist immer liebend und aufopfernd, so will es der mächtige Muttermythos, der ein idealisiertes Bild vorzeichnet. Die Schweizer Psychotherapeutin Gaby Gschwend will durch ihr Buch „Mütter ohne Liebe“ den Mythos aufbrechen, weil Frauen und Kinder darunter leiden. Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Wir brauchen ein realistischeres Mutterbild, argumentiert die Zürcher Psychologin Gaby Gschwend. Gute Mütter und Väter seien vor allem eines: authentisch.

Die Furche: Ihr Buch heißt „Mütter ohne Liebe“. Das ist ein Tabu. Warum setzen Sie sich gerade jetzt damit auseinander?

Gaby Gschwend: Es ist wieder eine Bewegung im Gange, die Mutterschaft stark zu verklären und als den höchsten Lebenszweck von Frauen zu propagieren. Das Thema beschäftigt mich schon länger. Ich habe es in meiner Praxis immer wieder mit Frauen zu tun, die in der einen oder anderen Weise am Mutterbild leiden. Auch in meiner persönlichen Erfahrung als Mutter muss ich mich fragen, was man als Mutter sagen darf, was nicht, wird man schief angeguckt, gilt man als Rabenmutter? Es gibt sehr viele Tabus, Gebote, Verbote in Bezug auf Mutterschaft.

Die Furche: Wie erleben Sie diese hohen Ansprüche in Ihrer täglichen Praxis?

Gschwend: Es kommen Mütter kleiner Kinder zu mir und sind völlig überlastet, weil sie zu wenig Unterstützung bekommen. Dann entdecken sie, dass sie nicht nur Liebe für ihre Kinder empfinden, sondern auch Gefühle von Wut und Zorn. Das erschreckt sie und sie meinen, sie seien abartige Mütter. Sie leiden dann einsam vor sich hin und trauen sich nicht, mit anderen Frauen darüber zu sprechen.

Die Furche: Diese Gefühle können viele sicher noch nachvollziehen. In Ihrem Buch beschreiben Sie Mütter ohne Liebe: ablehnend distanzierte, seelisch ausbeutende und aktiv Gewalt ausübende Mütter. Warum mussten Sie diese stark negativen Formen hernehmen, um den Mythos zu demontieren?

Gschwend: Diese problematischen und destruktiven Mutter-Kind-Beziehungen sind häufiger, als man denkt. Aber man spricht nicht darüber und hört nichts darüber. Ich habe in meiner Praxis Kinder aus solchen Beziehungen mit ihren Problemen. Ich erlebe, wie diese Kinder als Erwachsene eher bereit sind, sich selbst als krank und neurotisch anzusehen als die Mutter, die auf einem Podest steht, realistisch anzuschauen. Das sind alles Auswüchse dieses Muttermythos.

Die Furche: Wie kann man ihn durchbrechen?

Gschwend: Indem einem überhaupt einmal bewusst wird, dass ganz viele unbewusste Vorstellungen von Müttern existieren, die gar nicht realistisch sind. Dass Mütter sich endlich trauen, auch untereinander darüber zu sprechen, dass es nicht nur Liebe für ein Kind gibt, dass es auch Momente gibt, wo man Zorn, Ablehnung und Desinteresse hat – das ist ganz normal.

Die Furche: Man will doch, dass eine Mutter ihr Kind zärtlich und bedingungslos liebt?

Gschwend: Ja, der Mensch hat diese Sehnsucht, es ist bei Müttern auch häufig der Fall, dass sie das tun. Aber Mütter sind Menschen. Nur Götter und Göttinnen sind Wesen, die bedingungslos und stets lieben.

Die Furche: Führt der Mythos nicht auch dazu, dass sich Väter ausgeschlossen fühlen?

Gschwend: Wir erleben immer mehr, vor allem jüngere Männer, die sich trauen zu sagen, wir möchten unsere Kinder beim Heranwachsen begleiten und nicht nur am Wochenende oder abends sehen. Ich wünsche mir, dass sie eine Chance bekommen, ihre fürsorgliche Qualifikation leben zu können.

Die Furche: Gibt es einen Vatermythos?

Gschwend: Es gibt Vatertabus. Väter, die sich für Kinderbetreuung interessieren, werden immer noch nicht geschätzt, entweder ausgelacht oder man begegnet ihnen misstrauisch bis verachtend. Das animiert natürlich nicht.

Die Furche: Wie soll eine gute Mutter, ein guter Vater sein?

Gschwend: Authentisch. Sie sollen Mutterschaft und Vaterschaft so leben, wie sie es individuell möchten, statt es in bestehenden Schablonen zu tun und vielleicht im Groll zu leben. Eine gute Mutter akzeptiert auch, dass sie nicht immer gut ist, sondern auch Momente und Seiten hat, die nicht in das gute Mutterbild passen.

Die Furche: Die Entwicklungspsychologie betont, wie wichtig die ersten Lebensjahre und eine sichere Bindung sind. Das erzeugt weiteren Druck…

Gschwend: Sichere Bindungen sind wichtig, dennoch sollten Mütter sich nicht alleine um die Kinder kümmern müssen. Babys und Kleinkinder sind sehr anspruchsvoll. Daher plädiere ich dafür, dass von Anfang an andere Personen mit in diese Beziehung einbezogen werden, natürlich nicht zu viele. Aber es soll doch nicht alles auf der Mutter lasten, weil das der Mutter und dem Kind nicht gut tut, die Väter außen vor bleiben und auch die Gesellschaft sich nicht eigentlich zuständig fühlt. Wobei es sich einiges geändert hat: Es gibt immer mehr Krippen, wo Kinder liebevoll betreut und nicht nur aufbewahrt werden.

Die Furche: Sie plädieren für ein realistischeres Mutterbild. Was würde besser werden?

Gschwend: Mütter würden sich trauen zu sagen, dass es auch andere Seiten der Mutterschaft gibt; Mütter würden nicht täglich am Ideal scheitern, weil das keine Mutter erfüllen kann. Es würde mehr auf Kinder geachtet werden, die in problematischen Mutter-Kind-Beziehungen aufwachsen. Alle würden sich zuständiger fühlen, man würde nicht mehr sagen: Das ist die Sache der Mutter und des Kindes, und wir mischen uns nicht ein.

Die Furche: Der Mythos wirkt stark in Behörden und Gerichten hinein …

Gschwend: Ja, es weicht sich momentan zwar etwas auf, aber die meisten Kinder werden mehr oder minder automatisch im Fall einer Scheidung der Mutter zugesprochen. Mütter haben juristisch gesehen viel Macht. Was Gewalt ausübende Mütter anbelangt – das wird häufig von Behörden nicht gesehen.

Die Furche: Behörden argumentieren, dass es zum Großteil immer noch die Frauen sind, die sich vorwiegend um die Kinder kümmern.

Gschwend: Das verstehe ich schon. Aber die Alleinzuständigkeit der Mutter für das Kind kann gut sein, kann aber auch schlecht sein. Die Qualität der Betreuung sollte bei der Entscheidung schon auch eine Rolle spielen.

Die Furche: Können Frauen schwer vom Mythos loslassen, weil er Status verleiht ?

Gschwend: Ja. Die Frauen von heute sind im Umbruch. Auf der einen Seite hat sich das Bewusstsein durchgesetzt, dass die meisten Frauen auch im Beruf stehen und ihre Interessen verwirklichen wollen. Andererseits tun sie sich schwer, Verantwortung für Kind und Haushalt abzugeben, weil sie denken, sie machen es am besten. Das ist ein Dilemma. Dieses Abgeben lernen fällt den Frauen ebenso schwer, wie es den Männern schwer fällt, im Beruf abzugeben.

Zur Person

Gaby Gschwend ist Psychologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. Sie ist zudem Autorin psychologischer Fach- und Sachbücher. Zuletzt erschien ihr Buch: Nach dem Trauma – ein Handbuch für Betroffene und ihre Angehörigen (Hans Huber Verlag, 2006)

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