Eine Partei in Schockstarre

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Die Volkspartei ist von den Rücktritten in Kärnten und der Anklageerhebung gegen ihren früheren Minister Ernst Strasser schwerst schockiert. Zugleich formieren sich mögliche neue Parteien, die sich als Alternative anbieten.

Für Kommunikation, erst recht die politische, bestehen Erfahrungswerte. Etwa jener, dem zufolge Lärm zwar nervt, Ruhe aber verdächtig macht. Die betretene Stille rund um die in Schockstarre verfallene Volkspartei stimmt bedenklich. Im Schrecken über ihr Schicksal erkennt sie weder Ursache noch Wirkung des erlittenen größten anzunehmenden politischen Unfalls, nämlich des weitgehenden Verlustes an Vertrauen und an Glaubwürdigkeit.

Mit der - nicht rechtskräftigen - Anklageschrift gegen den ehemaligen Innenminister Ernst Strasser wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauches landet in den Augen der kritischen Öffentlichkeit das politische System des früheren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel auf der Anklagebank. War es nicht Schüssel, der sich gegen alle Bedenken Jörg Haider und die Freiheitlichen als Mehrheitsbeschaffer hielt? War es nicht Schüssel, der Karl-Heinz Grasser noch befördern wollte, als dieser nach Ansicht anderer schon längst moralisch abgewirtschaftet hatte? War es nicht Schüssel, der Privatisierungen gefordert hatte, aus denen dann Bereicherungen wurden?

Mit Strasser wird Schüssel ausgeschüttet

Sind die persönlichen Verfehlungen schon verwerflich genug, droht der Volkspartei bei deren gerichtlicher Behandlung erhebliches Ungemach: Mit der Affäre Strasser wird die Ära Schüssel ausgeschüttet. Das ist das Problem für Parteichef Michael Spindelegger. Eine zu einem guten Teil objektiv richtige Reformpolitik wird gegenwärtig öffentlich aufgerechnet gegen subjektive Verfehlungen. Das verwerfliche Verhalten Einzelner in ihren persönlichen Dispositionen soll das mit ihnen als Minister verbundene gesamte politische Programm als falsch erscheinen lassen. Für die politischen Gegner Wolfgang Schüssels gibt es keine gute Regierung mit ein oder zwei falschen Ministern, ist man versucht zu paraphrasieren. Unter der Wucht der Skandale, der Geständnisse und Anklageschriften droht die Volkspartei noch wesentlich mehr zu verlieren als lediglich ihre Fassung.

Niemand aus den schwarzen Reihen wagt es, die Ära Schüssel zu rechtfertigen. Kaum einer erhebt sich, für Europa zu argumentieren. Nur wenige sind in der Lage, bürgerliche, konservative Programmatik zu formulieren. Die Ratlosigkeit der Partei entblößt ihr Theoriedefizit. Die Mutlosigkeit der Mandatare zeugt von ihrer Schicksalsergebenheit. Ein politischer Körper, freigegeben zur Vivisektion, gibt keinen Laut des Schmerzes mehr von sich.

Während alle Parlamentsparteien die Lage der ÖVP im Chor beschweigen, formieren sich außerhalb des Hohen Hauses neue Kräfte, die im selben gedenken, Plätze einzunehmen. Entgegen journalistischen Kommentatoren bescheinigen die politikwissenschaftlichen unter ihnen dem Austro-Kanadier Frank Stronach reelle Chancen, bei der Nationalratswahl 2013 mehr als einen Heiterkeitserfolg erzielen zu können.

Scham an der Stelle von Selbstvertrauen

Klingt wie Geplauder, zeigt aber eine Gefahr: Weil es die ÖVP trotz ernsthafter Mahnungen und Versuche nicht geschafft hat, von einer Klientel- und Interessenpartei mit einem gemeinsamen Fundament zu einer Partei mit einem gemeinsamen programmatischen Dach zu werden, droht ihr weiterer Verfall: Für jeden Wähler, der mit ihr unzufrieden ist, gibt es eine Alternative, die sich wählen ließe. Für die ökologisch Gesinnten ebenso wie für die Wirtschaftsliberalen, für die Freunde Europas ebenso wie für die Gegner des Euro. Gut möglich, dass die ÖVP im Wahljahr 2013 an jedem ihrer vielen Ränder Eindringlinge in ihr Revier abzuwehren hat. In ihrer derzeitigen Verfassung wird das kaum gelingen.

Wie jegliche Gruppierung ist auch eine Partei nur bei Einheitlichkeit der Führung und Geschlossenheit des Teams erfolgreich. Das war unter Wolfgang Schüssel so. Doch in dem Ausmaß, in welchem sich die ÖVP die Scham über die Ära Schüssel aufdrängen lässt, verliert sie die Erinnerung daran und damit das Selbstvertrauen, das sie bräuchte, um die Schockstarre zu überwinden.

claus.reitan@furche.at

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