Eine Pille für danach

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Kürzlich wurde ich vom Fernsehen über einen merkwürdigen französischen Neurologen unterrichtet. Der telegene Mann hat es mit Patienten zu tun, die durch Folterungen, Kriegserlebnisse, Verfolgung schwer traumatisiert wurden und immer neu jene Schrecken durchleben müssen, denen sie zu entrinnen hofften, indem sie ins Exil gingen. Das Leid, das ihnen zugefügt wurde, werden sie jedoch nicht mehr los, wohin immer sie aufbrechen, folgt es ihnen getreulich als Schatten, der zu ihnen gehört. Die Begabung des Menschen, sich zu erinnern, lastet auf ihnen als Fluch, das einmal Erlittene stets gegenwärtig zu halten.

Auch jahrelange Psychotherapie konnte vielen von ihnen nicht helfen, und darum hat der Neurologe der Hoffnung, dass die seelischen Wunden Traumatisierter jemals vernarben, entschieden abgesagt. Inneren Frieden verspricht er ihnen vielmehr durch sein neuartiges Medikament, das die erstaunliche Wirkung haben soll, ganz bestimmte, peinigende Erinnerungen durch eine chemische Reaktion im Gehirn zu löschen. Was seelisch nicht zu bewältigen ist, soll medikamentös aus dem Gedächtnis getilgt werden.

Ein katholischer Moraltheologe hat dagegen den prinzipiellen Einwand erhoben, es würde dieses Medikament, ist es erst einmal erhältlich, nicht nur den Gequälten zur Verfügung stehen, sondern auch denen, die sie einst gequält hatten. Tatsächlich, die Pille danach, die seliges Vergessen bringt, wäre zwar vielleicht für manches Opfer ein Segen, aber sicher für jeden potenziellen Täter eine heillose Ermunterung. Sondereinheiten des Militärs könnten prophylaktisch mit ausreichenden Rationen jener Arznei ausgestattet werden, für den Fall, dass einem der Mordgesellen oder Verhörspezialisten womöglich eines Nachts doch der Schlaf gestört werde durch die Erinnerung an das, was er tagsüber angerichtet hat.

Vergessen zu dürfen, muss ein Privileg des Opfers sein.

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