"Eine Rose ist eine Rose, aber ein Heim ist kein Heim"

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Ein Gedicht ist ein Aufruf gegen Verfügbarkeit, gegen Mitfunktionieren", schrieb die Lyrikerin Hilde Domin im Nachwort ihrer berühmten Anthologie "Nachkrieg und Unfrieden", die "die Kurve unserer politischen Hoffnungen und Enttäuschungen" spiegeln sollte.

Politisch und poetisch

So politisch war die studierte Nationalökonomin, Soziologin und Philosophin Hilde Domin, dass sie zusammen mit ihrem späteren Mann, dem Archäologen und Philologen Erwin Walter Palm, Deutschland bereits 1932 verließ. Und so poetisch, dass sie, gespeist aus der spanischen Tradition, ganz neue Klänge in das deutsche Nachkriegsgedicht einbrachte - Klänge, die ihren Weg zu vielen Leserinnen und Lesern fanden. In der spanischen Tradition schlug sie Wurzeln, als sie nach Exiljahren in Italien und England eineinhalb Jahrzehnte in der Dominikanischen Republik lebte. Deren Diktator Trujillo war ein "furchterregender Lebensretter", aber der Stadt Santo Domingo blieb die 1909 in Köln als Hilde Löwenstein geborene Autorin lebenslang verbunden.

Im Exil wurde die Sprache ihre Zuflucht - die Muttersprache, die für sie als Jüdin zugleich die Mördersprache war. Sie schlug sich als Lehrerin und Übersetzerin durch. Ihr erstes Gedicht schrieb sie erst mit 42 Jahren, nach dem Schock durch den Tod ihrer Mutter. 1954 kehrten ihr Mann und sie nach Deutschland zurück, 1959 erschien ihr erster Gedichtband "Nur eine Rose als Stütze". Fragil und dornig-widerständig steht die Rose für Hoffnung ebenso wie für Bedrohung und Vergänglichkeit. Es ist eine der großen poetischen Leistungen Hilde Domins, dieses Ur-Inventar der Dichtung neu belebt zu haben. Den berühmten Satz von Gertrude Stein "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose" verknüpfte die in vielen Poesien beheimatete Hilde Domin mit der lapidaren Formel ihrer Exil-Erfahrung: "aber ein Heim ist kein Heim."

Unbegründete Hoffnung

"Rückkehr der Schiffe", "Hier" oder "Ich will dich" sind weitere Gedichttitel, mit denen der Name Hilde Domin verbunden bleiben wird. Und der Band "Abel steh auf", der auch Prosa und Theorie enthält. "Abel steh auf - damit es anders anfängt / mit uns", so endet einer der einprägsamen Verse daraus. Weder sprachexperimentell noch mit hermetischen Bildern arbeitend, war Hilde Domin ein Fremdkörper in der Lyrik jener Jahre - und eroberte gerade so ihr treues Publikum. Selbst nicht religiös, war sie den Predigern und Festrednern, die ihre biblischen Anklänge gerne zitierten, haushoch überlegen. Ihre Gedichte sind getragen von einer Hoffnung, die weder religiös noch sonstwie begründet wird.

Gedicht und Gespräch

Wenn sie ihre Gedichte vortrug, las sie ein jedes zweimal und auf verschiedene Weise, um das Verstehen zu erleichtern. Die Prosa war nicht wirklich ihre Sache. Doch das Gespräch über Lyrik hat sie entscheidend geprägt, vor allem mit dem Essay "Wozu Lyrik heute". Der Umgang mit ihr war nicht immer einfach, und dass sie eitel sein konnte, zeigen schon die falschen Angaben ihres Geburtsjahres. Aber wer wäre schon ein einfacher Mensch mit ihrem Leben. Letzte Woche ist sie 96-jährig in Heidelberg verstorben. CH

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