Eine schmerzhafte Art von SCHRILLHEIT

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Juliette Binoche über "Die feine Gesellschaft" und andere Filme von Bruno Dumont. Und wie weit sie für das Groteske zu gehen bereit ist.

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Juliette Binoche über "Die feine Gesellschaft" und andere Filme von Bruno Dumont. Und wie weit sie für das Groteske zu gehen bereit ist.

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Mit "Die feine Gesellschaft" ging für die französische Schauspielerin Juliette Binoche der Wunsch in Erfüllung, endlich einmal in einer Komödie von Bruno Dumont spielen zu können. Es wäre natürlich kein Film von Dumont , täten sich darin nicht gerade auch im Humor dramatische Abgründe auf.

Die Furche: Dass Bruno Dumont Sie für diesen Film in der Hauptrolle besetzte, soll nicht reibungslos abgelaufen sein, stimmt das?

Juliette Binoche: Das ist richtig. Ich weiß noch, wie wir mitten in den Dreharbeiten zu Dumonts "Camille Claudel 1915" steckten und ich zu Bruno sagte, wir sollten unbedingt eine Komödie machen. Das war damals auch den Umständen geschuldet - wir haben uns ja jeden Tag mit Traurigkeit und Drama und Eingesperrtsein beschäftigt, da sehnt man sich schon nach Fluchtwegen. Jedenfalls haben wir einige Zeit später telefoniert, als er wusste, dass er "Die feine Gesellschaft" machen wollte. Aber wir konnten keine Termine finden. Dann sagte er einfach am Telefon zu mir: "Vielleicht ist das nicht so schlimm, ich bin ohnehin nicht ganz sicher, ob du diese Rolle spielen könntest." Da war ich wirklich beleidigt, denn ausgerechnet ich sollte die Rolle nicht spielen können?

Die Furche: Was qualifiziert Sie denn Ihrer Meinung nach für die Komödie?

Binoche: Ich weiß es gar nicht, aber mit Sicherheit habe ich eine wahnsinnige Lust auf Humor. Als Kind habe ich meinen Vater sehr stark imitiert, ich habe mich verkleidet und mir einen Bart aufgeklebt, ich hatte immer eine stark exaltierte Art. Gerade für den Beruf als Schauspielerin musste ich die Introspektion erst lernen und auch, dass ich mich zurücknehme. Ich könnte ja immer alles noch viel lauter machen, noch mit viel mehr Gesten, von allem viel mehr. Man sagt, Frauen können keine Burleske spielen, weil man nicht über eine Frau lachen darf und soll, die sich lächerlich macht. Wenn sie eine Treppe runterfällt, darf man nicht lachen. Ich wollte beweisen, dass das nicht so ist.

Die Furche: In diesem Film pushen Sie die Figur ins Groteske.

Binoche: Ja, das war die Idee, ins Lächerliche zu gehen. Da muss man schon furchtlos sein. Das entspricht mir, das ist wie von der Klippe springen. Davor habe ich keine Angst. Das Burleske an den Figuren in diesem Film hat mich sehr fasziniert. Alles, was wir meinen, nicht aussprechen zu können, können wir auf burleske Weise sagen. Wenn jemand hinfällt, zum Beispiel, sagt das auch etwas über seine Seele aus. Oder über den Zustand rund um ihn. Die Absurdität oder Unbegreiflichkeit einer Situation kann durch eine burleske Interpretation, durch einen Ausdruck im Grotesken, in einen Bewusstseinszustand verwandelt werden. Diese Überhöhung, diese Schrillheit gibt der Komödie natürlich eine Art schmerzhaften Aspekt. Gerade bei Dumont ist es ja die Tragikomödie, die sich durch all seine Arbeiten zieht. In der Traurigkeit liegt immer auch Humor.

DiE FurchE: Als eine politische sowie soziale Satire stellt der Film die selbstgefällige, dekadente, bourgeoise Familie der gewalttätigen, kannibalischen Arbeiterklasse entgegen. Welche Rolle spielt Klasse in diesem Film und was davon gilt heute noch?

Binoche: So ziemlich alles. Die Reichen, die sich davor fürchten, die Armen könnten ihnen was wegnehmen. Das ändert sich nicht. Klasse ist ein Machtbegriff, und diejenigen, die gerade Macht haben, wollen Klassen natürlich aufrechterhalten. Das ist heute nicht anders als früher. Viel von der Angst, die Menschen ja in Abhängigkeiten drängt und dort hält, hat mit Besitz zu tun und mit Besitzdenken. Könnte man sich davon endlich befreien, wäre das ein wichtiger Schritt. Gier, Hochmut. Die Menschen legen das nicht von selbst ab.

DiE FurchE: Zudem hat man den Eindruck, ein Angstklima wird aus verschiedenen Gründen auch medial geschaffen.

Binoche: Das kann man nicht leugnen. Ich glaube, wir stecken inmitten eines großen Umbruchs, vor allem auf der Ebene der Reflexion. Die analytische Auseinandersetzung mit der Gegenwart in Echtzeit ist eine immense Herausforderung und gelingt nur selten. Nach dem was in den vergangenen zwei Jahren in Paris passiert war, war schon fühlbar, dass jederzeit wieder etwas Schlimmes passieren könnte. Dieses Gefühl erzeugt wiederum eine Traurigkeit, einen Spirit, mit dem man nicht leicht leben kann. Man fühlt aber auch Trotz. Die Lösung, die man in Paris gefunden hat, scheint dieser Trotz zu sein: So zu leben wie zuvor. Als man noch keine Angst hatte. Als ob man nie wieder Angst hätte.

DiE FurchE: Wie war denn Ihre Zusammenarbeit mit Fabrice Luchini für diesen Film?

Binoche: Ich darf das sagen: Er hat ein Riesen -Ego. Ich liebe ihn, aber das muss man wissen. Er redet unfassbar viel vor jedem Take und direkt am Set. Direkt vor einer Szene bin ich das genaue Gegenteil, ich will mich wirklich konzentrieren. Da kann es schon zu Spannungen kommen. Man braucht auf jeden Fall viel Geduld. Er fordert immens viel Aufmerksamkeit ein. Ich habe immer das Gefühl, dass er innerlich total angespannt ist. Aber er ist großartig, soviel steht fest.

Die feine Gesellschaft (Ma Loute)

F/D 2016. Regie: Bruno Dumont. Mit Fabrice Luchini, Juliette Binoche, Valeria Bruni Tedeschi, Brandon Lavieville, Raph. Thimfilm. 122 Min.

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