Eine Schule der Verfeinerung

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Plakate um 1900 waren Kunstwerke. Passanten defilierten an Arbeiten von Alfons Mucha, Gustav Klimt, Henri de Toulouse-Lautrec vorbei und bekamen wie nebenbei Unterricht in der Ausbildung des guten Geschmacks. Das zeigt das Museum der Moderne Salzburg.

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Plakate um 1900 waren Kunstwerke. Passanten defilierten an Arbeiten von Alfons Mucha, Gustav Klimt, Henri de Toulouse-Lautrec vorbei und bekamen wie nebenbei Unterricht in der Ausbildung des guten Geschmacks. Das zeigt das Museum der Moderne Salzburg.

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Es gab eine Zeit, als Werbung noch Kunst war. Kein Künstler musste sich schämen, Aufmerksamkeit für Dinge des alltäglichen Gebrauchs oder Luxusgüter zu schaffen, seien es AEG Nitralampen und Milch oder Champagner und Autos. Er musste sich nicht verbiegen, um seinem Auftraggeber gerecht zu werden, schuf Arbeiten, in denen das Produkt, um das es eigentlich ging, oft nur bei sehr genauem, gezieltem Hinsehen auffiel. Das machte aber gar nichts, denn die Plakate, die er herstellte, waren Glücksfälle ästhetischer Gestaltung.

Plakate um 1900 waren Kunstwerke im öffentlichen Raum. Passanten defilierten an Arbeiten von Alfons Mucha, Gustav Klimt, Henri de Toulouse-Lautrec vorbei und bekamen wie nebenbei Unterricht in der Ausbildung des guten Geschmacks.

Solche Bilder erzählen Geschichten. Sie machen nicht nur aufmerksam auf ein Produkt, sie bilden einen kleinen Ausschnitt aus einem größeren Ereignis ab. Es gibt ein Vorher, ein Nachher, die kleine Momentaufnahme zwingt einen dazu, sich den Zusammenhang auszudenken. Das ist sogar unbedingt notwendig, wenn man die Ausstellung mit einem Kind, einem geschichtensüchtigen obendrein, besucht.

Mit Kinderaugen betrachtet

Wie ergeht es der dreijährigen Romy mit einer Plakatausstellung? Sie besteht darauf, genauen Aufschluss darüber zu bekommen, was eigentlich vorgeht. Ein Bild geht ihr besonders nah, das Théophile-Alexandre Steinlen im Jahr 1896 für eine Druckerei malte. Männer, Frauen, Kinder auf der Straße, ein ganz normales Treiben würde der vorbeihastende Passant meinen. Der Flaneur, der sich Zeit nimmt, bemerkt etwas anderes. Eine Frau trägt einen zugedeckten Korb, ein Mädchen, von Neugier getrieben, greift nach der Abdeckung und wird gerade noch von einer jungen Frau, ihrer Mutter wahrscheinlich, am Arm gepackt, um den dreisten Zugriff auf fremdes Gut zu verhindern. Sogar die Aufmerksamkeit eines Babys ist auf diese Szene gerichtet, so sehen kleine Dramen der Gewöhnlichkeit aus. Was sich in dem Korb verbirgt, bleibt ein Rätsel, das Romy noch lange beschäftigt, etwas zum Essen ist es gewiss, vermutlich sogar ein Kuchen. Solche Episoden aus dem dem Alltag abgerungenen aufregenden Leben lassen sich auf dem Gang durch das Museum in zahllosen Variationen erzählen. Mit jedem Plakat wächst die Neugier, und das betrifft nicht nur die Kinder.

Gewiss fasziniert die jungen Besucher das Märchenhafte der Bilder. Manche Szenen sind nicht dem Alltag abgeschaut, sie versetzen uns in eine mythisch aufgeladene, eine fantastische Welt, sie überhöhen Wirklichkeit und verfremden sie. Das bedarf für einen jungen Besucher, der sowieso Teil der magischen Welt ist, keiner Erklärung. Für den Erwachsenen eröffnet sich eine Fundgrube kulturhistorischer Entdeckungen.

Kunst der Verführung

Für die Künstler um 1900 war es selbstverständlich, dass Werbung nicht dazu da war, Erwartungen zu erfüllen, sie war angewiesen auf die Kunst der Verführung - und die lebt vom Versprechen. Es bedarf also der Irritation, der Verzauberung, des Witzes. Die Öffentlichkeit wird mit der Schönheit der Welt konfrontiert, etwas schöner, als es diese aus eigener Anschauung kennt, weil es das beworbene Produkt nicht daheim hat.

So wie die Plakate mit größter Sorgfalt hergestellt wurden, ließen sie darauf schließen, dass auch die Artikel, für die sie warben, einen Beitrag zur Veredelung des Lebens leisteten. Dass der heute zum Konsumenten degradierte Käufer bei seinem Geiz gepackt worden wäre, war um 1900 undenkbar. Der Betrachter sollte den Eindruck bekommen, dass er etwas aus sich machen könnte. Eleganz und kulturelle Verfeinerung waren Werte, die einem vermittelt wurden. Das zeigt sich schon an den Produkten, für die geworben wurde: Parfüm und Konfekt ebenso wie für Kulturzeitschriften und den neuesten Roman von Emile Zola.

Ernüchternd die Erfahrung, wenn man das Museum verlässt und unversehens mit der Werbung von heute konfrontiert wird. Dann erschrecken wir über unsere Duldsamkeit, wie wir uns mit den erbärmlichen Hervorbringungen der so mächtig gewordenen Agenturen abfinden. Ein guter Grund, den Reklamemachern nicht auf den Leim zu gehen.

Affichomanie

bis 10.7., Museum der Moderne Salzburg Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, www.museumdermoderne.at

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