Eine tadellose Kindererziehung?

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Geht es nach Fachleuten in Sachen Erziehung und Mitarbeitermotivation, dann müsste mehr gelobt werden. Wird es auch. Doch manche befürchten, dass es schon zu viel "falsches" Lob gebe und weniger Kritikfähigkeit.

Es wird wieder mehr gelobt. Zumindest, wenn es nach Experten für Mitarbeitermotivation oder für den Erziehungsbereich geht. Nach denen gilt die anerkannte Formel: Anerkennung ausdrücken und Stärken betonen, dann erst konstruktive Kritik an Schwächen und Fehlern üben. Befragungen bestätigen, dass deren Ratschläge auch fruchten: Laut einer Umfrage vom deutschen Institut für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2006 berichten 51 Prozent der befragten 16- bis 29-Jährigen, dass sie in ihrer Kindheit viel gelobt wurden. Von den Pensionisten konnten das nur 26 Prozent behaupten. Es bestand auch ein Zusammenhang zwischen gutem Familienklima und häufigerem Loben.

Doch es gibt auch Schattenseiten dieser Entwicklung: Sie geht bei manchen so weit, dass nicht mehr das Loben schwer über die Lippen kommt, sondern die Kritik. So wird auch von Beobachtern vor allem im Bereich Erziehung moniert: Es werde heutzutage sogar zu viel und falsch gelobt. Und zuletzt reihen sich solche Diagnosen in jene Thesen ein, die jüngst der umstrittene Bonner Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff vertritt, wenn er davor warnt, dass Eltern zunehmend "Tyrannen" heranziehen würden, nicht zuletzt weil sie den Kindern eines ersparen würden: den Frust.

Auch der dänische Familientherapeut Jesper Juul setzt sich kritisch mit dem Lob auseinander. "Wenn wir von Selbstgefühl reden, ist Lob genauso destruktiv wie Kritik", schreibt er in seinem Buch "Das kompetente Kind". Er will lieber von Anerkennung sprechen. Er nennt ein Beispiel: Ein Kleinkind wartet auf seine Mutter. Um sich die Zeit zu vertreiben, malt es ein Bild. Als die Mutter kommt, zeigt ihr der Kleine das Bild. Die Mutter sagt dazu: "Das ist ja toll. Wie schön du malen kannst!" Das Lob war gut gemeint, aber nicht das, was das Kind wollte, es wollte einen Liebesbeweis, es wollte keine Bewertung von Leistungen. Zugespitzt könnte das auch dazu führen, dass sich Kinder in der Folge vor allem über ihre Leistungen definieren, nicht aber über ihre Existenz selbst.

"Kinder haben einen untrüglichen Sinn für das Echte", schreibt wiederum die Lebensberaterin Maria Neuberger-Schmidt in ihrem Buch "Erziehung ist (k)ein Kinderspiel" (Edition Tips, 2008) in diesem Zusammenhang. Sie weist darauf hin, dass Lob auch mit Rückfragen verbunden sein sollte, um Kinder zur Selbstreflexion und auch zur Einschätzung der eigenen Leistung zu motivieren und damit auch offener für Kritik zu machen. (bog)

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