Eine Trendwende ist längst nicht in Sicht

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Kirchliche Statistik: Zwar gab es 2011 österreichweit um ein Drittel weniger Austritte aus der katholischen Kirche als im Annus horribilis 2010. Der Pastoraltheologe Franz Weber warnt vor seelsorglichen Großräumen und mahnt: Kirche muss weiterhin Präsenz in der Fläche zeigen.

Das Annus horribilis 2010 hat Österreichs katholische Kirche hinter sich lassen können. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger: Die am Dienstag veröffentlichten Austrittszahlen weisen österreichweit mehr als 58.000 Kirchenaustritte aus - das sind etwa ein Drittel weniger als im Jahr zuvor.

Das Jahr 2010 stellte allerdings mit den Austrittsfolgen aufgrund der Missbrauchsaffären einen einsamen Rekord dar, die Zahlen für 2011 sind jedoch immer noch das zweitschlechteste Ergebnis seit Ende des Zweiten Weltkriegs. In absoluten Zahlen gibt es in Österreich demnach 5,41 Millionen Katholiken.

Gleichzeitig mit den Austrittszahlen 2011 veröffentlichte die Österreichische Bischofskonferenz auch die Kirchenstatistik für das Jahr 2010. Die Zahlen darin sprechen eine drastischere Sprache als die reinen Austrittszahlen.

So hat nach diesen Angaben zwischen 2003 und 2010 der Gottesdienstbesuch österreichweit um etwa 200.000 abgenommen: Der sonntägliche Kirchenbesuch lag an den beiden Zählsonntagen 2010 bereits deutlich unter 700.000 Kirchgängern. Bei den Taufen gab es in diesem Zeitraum ein Minus von gut zehn Prozent, während interessanterweise die Zahl der kirchlichen Trauungen leicht zunahm.

Das größte Drama in den Zahlen lässt sich aber - wenig überraschend - bei den Priestern festmachen. Dass die Gesamtzahl der Priester sich von 4193 im Jahr 2003 auf 4066 (2010) reduziert hat, weist wenig auf das Ausmaß der Erosion hin.

Aber dass im Jahr 2010 österreichweit nur 22 Personen zu katholischen Priestern geweiht wurden, entspricht einem Allzeit-Tiefstand. Auch hier legt der Vergleich mit der kirchlichen Statistik 2003 die Entwicklung klar: Damals wurden im Land noch 36 Männer zu Priestern geweiht.

Schleichende Austrittswelle

Für den Innsbrucker Pastoraltheologen Franz Weber stellen dementsprechend auch die letztjährigen Austrittszahlen alles andere als eine Trendwende dar: "Die schleichende Austrittswelle wird weitergehen“, so Weber zur FURCHE, die Entfremdung sei unaufhaltsam.

Weber, der lange in Brasilien tätig war und der sich in seinen universitären Forschungen mit pastoralen Entwicklungen vor allem in Afrika und Lateinamerika beschäftigt hat, stellt sich vor allem die Frage, wie es die katholische Kirche schaffen kann, den religiösen Sehnsüchten der Menschen zu begegnen - insbesondere den Sehnsüchten nach religiöser Beheimatung und nach Ritualen. Der Theologe, der zwei Pfarren in der Diözese Innsbruck betreut, stellt fest, dass zumindest im ländlichen Bereich die Volkskirche bei Weitem nicht so tot ist, wie von manchen vermutet. Vor allem die Sehnsucht nach Ritualen an den Kreuzungen des Lebens - Taufe, Trauer, Tod etc. - halte viele Menschen in der Kirche. Und das sei einer der Punkte, auf die es in Zukunft ankomme.

"Eine Kirche, die nicht am Leben dran bleibt, bleibt nicht am Leben“, so formuliert Franz Weber seine Überzeugung. Und hier sieht er die - eben auch in den Zahlen ausgedrückt - große Gefährdung: Während in Afrika oder Lateinamerika große Pfarren bewusst in kleine Gemeinden geteilt würden - nicht zuletzt an der urbanen Peripherie -, finde hierzulande die genau gegenteilige Entwicklung statt. Die Zusammenfassung von Pfarren zu Pastoralräumen und noch größeren Einheiten werde zum "pastoralen Todesfall“ führen, so Weber.

Es führe kein Weg daran vorbei, dass Kirche "in der Fläche präsent“ sein müsse: "Wir werden immer weniger greifbar“, so analysiert der Pastoraltheologe die aktuelle Kirchenlage.

Dabei wäre es vordringlich, die regelmäßige Erfahrbarkeit und Greifbarkeit der Kirche zu gewährleisten. Genau das habe sich in Afrika wie in Lateinamerika bewährt, wo sich die katholische Kirche mit enormen Übertrittswellen zu den Pfingstkirchen konfrontiert sah, weil diese eben eine Präsenz in der Fläche bieten konnten. Weber plädiert daher, diese Entwicklungen und Erfahrungen gerade auch in der Situation hierzulande zu bedenken.

Neue Formen des Amtes notwendig

Aber wie kann die Kirchenpräsenz angesichts der sinkenden Priesterzahlen aufrechterhalten werden? Franz Weber, Theologe und Ordenspriester, spricht offen davon, dass neue Formen des kirchlichen Amtes notwendig sind.

War und ist das aber nicht genau das der Punkt, bei der auch die Forderungen der Pfarrer-Initiative ansetzen? Weber meint, auch wenn man bei der einen oder anderen Formulierung unterschiedlicher Meinung sein könne, handle es sich bei der Initiative, der er im Übrigen auch selber angehört, "um keine Lausbuben“: Gerade hier, so Weber, würden seelsorgliche Grundanliegen thematisiert.

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